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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkaxitals.

Maße mindert, als der Zinsfuß an der Börse gedrückt ist. Er hat also das
größte Interesse, in dieser Richtung zu wirken, d, h. den Kurs der 4prozcntigen
Papiere hinaufzutreiben. Die Bankiers vertreten also mit aller ihrer Macht
und ihrem direkten oder indirekten Einfluß das einseitige Interesse des konver-
tirenden Anlchensschuldners und ihr eignes gegen den Privatkapitalisten, der in
seiner Unselbständigkeit sich einem Vorgehe" willenlos ergeben muß, das allen
seinen berechtigten Interessen entgegen ist. Das Privatkapital verliert, das Gro߬
kapital gewinnt bei dem sinkenden Zinsfuß!

Mau wird nun einwenden, daß der Rückgang des Zinsfußes vou allge¬
meine" wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von der Willkür der Bankiers
veranlaßt werde, daß also die Bankiers nur bestehende thatsächliche Verhältnisse
geschäftlich aufhenke", wozu ihnen die Berechtigung nicht abzusprechen wäre.
Dies mag sei"; immerhin aber läßt es sich nicht bezweifeln, daß sie den Rück¬
gang des Ziufnßes fördern, daß sie das natürliche Verhältnis zwischen der
Nachfrage und dem wirklichen ernsthaften Angebot durch ihre Dazwischenkunft
zum Nachteil des letzter" störe", und es ist ""zweifelhaft, daß sich die Kon-
versionc" i" weit mäßigeren Tempo und mit geringerem Erfolg vollzogen
haben würden, daß also der Zinsfuß nicht so rasch und stetig gesunken wäre,
wenn die Intervention des Großkapitals nicht stattgefunden hätte, wenn die
lonversionslnstigen Staaten, .Gemeinden, Gesellschaften genötigt gewesen wären,
für die eventuelle Rückzahlung gekündigter Obligationen selbst zu sorgen, kurz,
wenn dem Privatkapital nicht jede Mit- nud Einwirkung abgeschnitten gewesen
wäre. Jedenfalls hätten solche Anlehensschulbner, denen vertragsmüßig ein
Recht der Kündigung nicht zustand, nicht kouvertiren können, wie es vielfach
nnter Einschüchterung der Obligatiousiuhaber geschehen ist.

In solchen Zeiten ist Sonnenschein an der Börse, alle Papiere steigen, und
mich der Privatkapitalist erfreut sich in seiner Verblendung an den hohen Kursen.
Er sollte aber einsehen, daß hohe Kurse niedrige Rente bedeuten, und daß er,
soweit er von Rente leben muß, mit seinem Kapital jetzt weniger Rente kaufen
kann als früher. Wenn er seine Bücher nachsieht, wird er finden, daß er heute
ein Fünftel weniger Einkommen hat als noch vor einigen Jahren, als sein Ver¬
mögen noch sehr solide in fünfprozentigen Werten angelegt war. Vielleicht wird
er sich damit trösten wollen, daß die Welt rund sei, daß die Zeiten für ihn
besser werden können, daß der Zinsfuß wieder steigen werde. Allein er irrt,
nicht darin, daß die Welt rund sei, aber darin, daß sie für ihn werde besser
werden; denn wenn der Zinsfuß wieder auf 3 Prozent hinaufgeht, so fallen
seine vierprozentigen Papiere bedeutend unter xg,ri, er muß sie also behalten,
oder wenn er sie verkauft, z. B. weil er ein Kind ausstatten muß oder ein
Geschäft gründen will, oder weil seine Renten zum Unterhalt der Familie nicht
mehr genügen, bedeutendem Verlust am Kapital erleiden. Er verliert also in
allen Füllen, soweit er von der Börse abhängig ist, d. h. sein Kapital in Börsen-


Grcnzbvten III. 133S. 74
Der Notstand des Privatkaxitals.

Maße mindert, als der Zinsfuß an der Börse gedrückt ist. Er hat also das
größte Interesse, in dieser Richtung zu wirken, d, h. den Kurs der 4prozcntigen
Papiere hinaufzutreiben. Die Bankiers vertreten also mit aller ihrer Macht
und ihrem direkten oder indirekten Einfluß das einseitige Interesse des konver-
tirenden Anlchensschuldners und ihr eignes gegen den Privatkapitalisten, der in
seiner Unselbständigkeit sich einem Vorgehe» willenlos ergeben muß, das allen
seinen berechtigten Interessen entgegen ist. Das Privatkapital verliert, das Gro߬
kapital gewinnt bei dem sinkenden Zinsfuß!

Mau wird nun einwenden, daß der Rückgang des Zinsfußes vou allge¬
meine» wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von der Willkür der Bankiers
veranlaßt werde, daß also die Bankiers nur bestehende thatsächliche Verhältnisse
geschäftlich aufhenke», wozu ihnen die Berechtigung nicht abzusprechen wäre.
Dies mag sei»; immerhin aber läßt es sich nicht bezweifeln, daß sie den Rück¬
gang des Ziufnßes fördern, daß sie das natürliche Verhältnis zwischen der
Nachfrage und dem wirklichen ernsthaften Angebot durch ihre Dazwischenkunft
zum Nachteil des letzter» störe», und es ist »»zweifelhaft, daß sich die Kon-
versionc» i» weit mäßigeren Tempo und mit geringerem Erfolg vollzogen
haben würden, daß also der Zinsfuß nicht so rasch und stetig gesunken wäre,
wenn die Intervention des Großkapitals nicht stattgefunden hätte, wenn die
lonversionslnstigen Staaten, .Gemeinden, Gesellschaften genötigt gewesen wären,
für die eventuelle Rückzahlung gekündigter Obligationen selbst zu sorgen, kurz,
wenn dem Privatkapital nicht jede Mit- nud Einwirkung abgeschnitten gewesen
wäre. Jedenfalls hätten solche Anlehensschulbner, denen vertragsmüßig ein
Recht der Kündigung nicht zustand, nicht kouvertiren können, wie es vielfach
nnter Einschüchterung der Obligatiousiuhaber geschehen ist.

In solchen Zeiten ist Sonnenschein an der Börse, alle Papiere steigen, und
mich der Privatkapitalist erfreut sich in seiner Verblendung an den hohen Kursen.
Er sollte aber einsehen, daß hohe Kurse niedrige Rente bedeuten, und daß er,
soweit er von Rente leben muß, mit seinem Kapital jetzt weniger Rente kaufen
kann als früher. Wenn er seine Bücher nachsieht, wird er finden, daß er heute
ein Fünftel weniger Einkommen hat als noch vor einigen Jahren, als sein Ver¬
mögen noch sehr solide in fünfprozentigen Werten angelegt war. Vielleicht wird
er sich damit trösten wollen, daß die Welt rund sei, daß die Zeiten für ihn
besser werden können, daß der Zinsfuß wieder steigen werde. Allein er irrt,
nicht darin, daß die Welt rund sei, aber darin, daß sie für ihn werde besser
werden; denn wenn der Zinsfuß wieder auf 3 Prozent hinaufgeht, so fallen
seine vierprozentigen Papiere bedeutend unter xg,ri, er muß sie also behalten,
oder wenn er sie verkauft, z. B. weil er ein Kind ausstatten muß oder ein
Geschäft gründen will, oder weil seine Renten zum Unterhalt der Familie nicht
mehr genügen, bedeutendem Verlust am Kapital erleiden. Er verliert also in
allen Füllen, soweit er von der Börse abhängig ist, d. h. sein Kapital in Börsen-


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[0593] Der Notstand des Privatkaxitals. Maße mindert, als der Zinsfuß an der Börse gedrückt ist. Er hat also das größte Interesse, in dieser Richtung zu wirken, d, h. den Kurs der 4prozcntigen Papiere hinaufzutreiben. Die Bankiers vertreten also mit aller ihrer Macht und ihrem direkten oder indirekten Einfluß das einseitige Interesse des konver- tirenden Anlchensschuldners und ihr eignes gegen den Privatkapitalisten, der in seiner Unselbständigkeit sich einem Vorgehe» willenlos ergeben muß, das allen seinen berechtigten Interessen entgegen ist. Das Privatkapital verliert, das Gro߬ kapital gewinnt bei dem sinkenden Zinsfuß! Mau wird nun einwenden, daß der Rückgang des Zinsfußes vou allge¬ meine» wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von der Willkür der Bankiers veranlaßt werde, daß also die Bankiers nur bestehende thatsächliche Verhältnisse geschäftlich aufhenke», wozu ihnen die Berechtigung nicht abzusprechen wäre. Dies mag sei»; immerhin aber läßt es sich nicht bezweifeln, daß sie den Rück¬ gang des Ziufnßes fördern, daß sie das natürliche Verhältnis zwischen der Nachfrage und dem wirklichen ernsthaften Angebot durch ihre Dazwischenkunft zum Nachteil des letzter» störe», und es ist »»zweifelhaft, daß sich die Kon- versionc» i» weit mäßigeren Tempo und mit geringerem Erfolg vollzogen haben würden, daß also der Zinsfuß nicht so rasch und stetig gesunken wäre, wenn die Intervention des Großkapitals nicht stattgefunden hätte, wenn die lonversionslnstigen Staaten, .Gemeinden, Gesellschaften genötigt gewesen wären, für die eventuelle Rückzahlung gekündigter Obligationen selbst zu sorgen, kurz, wenn dem Privatkapital nicht jede Mit- nud Einwirkung abgeschnitten gewesen wäre. Jedenfalls hätten solche Anlehensschulbner, denen vertragsmüßig ein Recht der Kündigung nicht zustand, nicht kouvertiren können, wie es vielfach nnter Einschüchterung der Obligatiousiuhaber geschehen ist. In solchen Zeiten ist Sonnenschein an der Börse, alle Papiere steigen, und mich der Privatkapitalist erfreut sich in seiner Verblendung an den hohen Kursen. Er sollte aber einsehen, daß hohe Kurse niedrige Rente bedeuten, und daß er, soweit er von Rente leben muß, mit seinem Kapital jetzt weniger Rente kaufen kann als früher. Wenn er seine Bücher nachsieht, wird er finden, daß er heute ein Fünftel weniger Einkommen hat als noch vor einigen Jahren, als sein Ver¬ mögen noch sehr solide in fünfprozentigen Werten angelegt war. Vielleicht wird er sich damit trösten wollen, daß die Welt rund sei, daß die Zeiten für ihn besser werden können, daß der Zinsfuß wieder steigen werde. Allein er irrt, nicht darin, daß die Welt rund sei, aber darin, daß sie für ihn werde besser werden; denn wenn der Zinsfuß wieder auf 3 Prozent hinaufgeht, so fallen seine vierprozentigen Papiere bedeutend unter xg,ri, er muß sie also behalten, oder wenn er sie verkauft, z. B. weil er ein Kind ausstatten muß oder ein Geschäft gründen will, oder weil seine Renten zum Unterhalt der Familie nicht mehr genügen, bedeutendem Verlust am Kapital erleiden. Er verliert also in allen Füllen, soweit er von der Börse abhängig ist, d. h. sein Kapital in Börsen- Grcnzbvten III. 133S. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/593>, abgerufen am 27.07.2024.