Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethiana.

Publikum vor. Er hatte die Übersetzung ein Goethe nach Weimar geschickt, und
ein herzlicher Brief Goethes, der im Dezember 1824 in Carlyles Hände kam
(er ist ohne genaues Datum, zuerst von Fronde abgedruckt im I.it'6 I, 265,
Kap. 15; dann auch im Goethe-Jahrbuch IV, 407), war der erste Schritt zu
dem nähern Bekanntwerden der beiden Großen. Das persönliche freundschaft¬
liche Verhältnis mit Goethe dauerte bis zu dessen Tode, und ein ziemlich reger
Briefwechsel war die Frucht davon.

Wir brauchen hier auf die einzelnen bis jetzt der Veröffentlichung über-
gebenen oder für verloren gehaltenen Briefe nicht einzugehen, da wir aus erster
Hand wissen, daß die Veröffentlichung der (wahrscheinlich fast ohne Lücke er¬
haltenen) Korrespondenz demnächst zu erwarten ist, von der berufnen Hemd des
Professors Norton in Cambridge (Massachusetts), dem wir schon die Ausgabe
des Briefwechsels zwischen Carlyle und Emerson verdanken. Wir begnügen uns,
nur einiges anzuführen, was zur unmittelbaren Einleitung für die beiden fol¬
genden Briefe nötig ist.

Nach seiner Heirat (1826) mit Jane Welsh hatte sich Carlyle in Edin¬
burgh niedergelassen, und von größter Wichtigkeit wurde hier die Annäherung
Jcsfrey, der -- ein Verwandter von Carlyles Frau -- nun auch die Spalten
seiner Minden-ZK Nsvlov dem "deutschen Mystizismus" öffnete, so bittere
Kämpfe es auch kostete, denn Jcffrey hielt daran fest, daß es unbedingter Wahn¬
sinn sei, den englischen Geist zum "deutschen Glaubensbekenntnis bekehren" zu
wollen nud die "absurden Träume dieser Kehrichtkärrner (hierunter verstand
Jcffrey Schiller, Goethe, Jean Paul und so viel er von den Romantikern dem
Namen nach kannte!) für das englische Publikum aufzuputzen." Das englische
Publikum, so prophezeite er -- zum Glück ganz falsch --, werde genug Ge¬
schmack besitze", diese Nahrung nicht anzunehmen, und Carlyle möchte sich doch
die Mühe sparen, "die plumpen Extravaganzen und langweiligen Anmaßungen
dieser Leute genießbar zu macheu." Er solle doch endlich diese loocl" Lnpvr-
"Wo aufgeben.

So schrieb der "große Kritiker" zu derselben Zeit, als Goethe seine -- für
die Engländer damals (und noch jetzt?) "mystischen" -- Ideen über "allgemeine
Länder- und Völkeraunüherung" der Welt offenbarte!

Carlyle ließ sich natürlich nicht von seinen Bahnen ablenken und arbeitete
rastlos auf sein großes Ziel los, das ihm damals allerdings nur dunkel vor¬
schwebte. Um sich seinen Plänen mehr widmen zu können und seine Gesund¬
heit zu kräftigen, siedelte er 1828 nach Craigenputtoch über, jenem einsamen,
öden Landhause in Dumfricsshire, von dem Goethe 1830 für die deutsche Über¬
setzung des "Lebens Schillers" eine Abbildung fertigen ließ, "um dem jetzigen
gefühlvollen Leser, vielleicht noch mehr dem künftigen einen freundlichen Ge¬
fallen zu erweisen." Dort verlebte Carlyle, treulichst vou seiner Frau gepflegt,
die Jahre bis 1834, wohl die bedeutungsvollste Zeit seines Lebens.


Goethiana.

Publikum vor. Er hatte die Übersetzung ein Goethe nach Weimar geschickt, und
ein herzlicher Brief Goethes, der im Dezember 1824 in Carlyles Hände kam
(er ist ohne genaues Datum, zuerst von Fronde abgedruckt im I.it'6 I, 265,
Kap. 15; dann auch im Goethe-Jahrbuch IV, 407), war der erste Schritt zu
dem nähern Bekanntwerden der beiden Großen. Das persönliche freundschaft¬
liche Verhältnis mit Goethe dauerte bis zu dessen Tode, und ein ziemlich reger
Briefwechsel war die Frucht davon.

Wir brauchen hier auf die einzelnen bis jetzt der Veröffentlichung über-
gebenen oder für verloren gehaltenen Briefe nicht einzugehen, da wir aus erster
Hand wissen, daß die Veröffentlichung der (wahrscheinlich fast ohne Lücke er¬
haltenen) Korrespondenz demnächst zu erwarten ist, von der berufnen Hemd des
Professors Norton in Cambridge (Massachusetts), dem wir schon die Ausgabe
des Briefwechsels zwischen Carlyle und Emerson verdanken. Wir begnügen uns,
nur einiges anzuführen, was zur unmittelbaren Einleitung für die beiden fol¬
genden Briefe nötig ist.

Nach seiner Heirat (1826) mit Jane Welsh hatte sich Carlyle in Edin¬
burgh niedergelassen, und von größter Wichtigkeit wurde hier die Annäherung
Jcsfrey, der — ein Verwandter von Carlyles Frau — nun auch die Spalten
seiner Minden-ZK Nsvlov dem „deutschen Mystizismus" öffnete, so bittere
Kämpfe es auch kostete, denn Jcffrey hielt daran fest, daß es unbedingter Wahn¬
sinn sei, den englischen Geist zum „deutschen Glaubensbekenntnis bekehren" zu
wollen nud die „absurden Träume dieser Kehrichtkärrner (hierunter verstand
Jcffrey Schiller, Goethe, Jean Paul und so viel er von den Romantikern dem
Namen nach kannte!) für das englische Publikum aufzuputzen." Das englische
Publikum, so prophezeite er — zum Glück ganz falsch —, werde genug Ge¬
schmack besitze», diese Nahrung nicht anzunehmen, und Carlyle möchte sich doch
die Mühe sparen, „die plumpen Extravaganzen und langweiligen Anmaßungen
dieser Leute genießbar zu macheu." Er solle doch endlich diese loocl» Lnpvr-
«Wo aufgeben.

So schrieb der „große Kritiker" zu derselben Zeit, als Goethe seine — für
die Engländer damals (und noch jetzt?) „mystischen" — Ideen über „allgemeine
Länder- und Völkeraunüherung" der Welt offenbarte!

Carlyle ließ sich natürlich nicht von seinen Bahnen ablenken und arbeitete
rastlos auf sein großes Ziel los, das ihm damals allerdings nur dunkel vor¬
schwebte. Um sich seinen Plänen mehr widmen zu können und seine Gesund¬
heit zu kräftigen, siedelte er 1828 nach Craigenputtoch über, jenem einsamen,
öden Landhause in Dumfricsshire, von dem Goethe 1830 für die deutsche Über¬
setzung des „Lebens Schillers" eine Abbildung fertigen ließ, „um dem jetzigen
gefühlvollen Leser, vielleicht noch mehr dem künftigen einen freundlichen Ge¬
fallen zu erweisen." Dort verlebte Carlyle, treulichst vou seiner Frau gepflegt,
die Jahre bis 1834, wohl die bedeutungsvollste Zeit seines Lebens.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196667"/>
            <fw type="header" place="top"> Goethiana.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2136" prev="#ID_2135"> Publikum vor. Er hatte die Übersetzung ein Goethe nach Weimar geschickt, und<lb/>
ein herzlicher Brief Goethes, der im Dezember 1824 in Carlyles Hände kam<lb/>
(er ist ohne genaues Datum, zuerst von Fronde abgedruckt im I.it'6 I, 265,<lb/>
Kap. 15; dann auch im Goethe-Jahrbuch IV, 407), war der erste Schritt zu<lb/>
dem nähern Bekanntwerden der beiden Großen. Das persönliche freundschaft¬<lb/>
liche Verhältnis mit Goethe dauerte bis zu dessen Tode, und ein ziemlich reger<lb/>
Briefwechsel war die Frucht davon.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2137"> Wir brauchen hier auf die einzelnen bis jetzt der Veröffentlichung über-<lb/>
gebenen oder für verloren gehaltenen Briefe nicht einzugehen, da wir aus erster<lb/>
Hand wissen, daß die Veröffentlichung der (wahrscheinlich fast ohne Lücke er¬<lb/>
haltenen) Korrespondenz demnächst zu erwarten ist, von der berufnen Hemd des<lb/>
Professors Norton in Cambridge (Massachusetts), dem wir schon die Ausgabe<lb/>
des Briefwechsels zwischen Carlyle und Emerson verdanken. Wir begnügen uns,<lb/>
nur einiges anzuführen, was zur unmittelbaren Einleitung für die beiden fol¬<lb/>
genden Briefe nötig ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2138"> Nach seiner Heirat (1826) mit Jane Welsh hatte sich Carlyle in Edin¬<lb/>
burgh niedergelassen, und von größter Wichtigkeit wurde hier die Annäherung<lb/>
Jcsfrey, der &#x2014; ein Verwandter von Carlyles Frau &#x2014; nun auch die Spalten<lb/>
seiner Minden-ZK Nsvlov dem &#x201E;deutschen Mystizismus" öffnete, so bittere<lb/>
Kämpfe es auch kostete, denn Jcffrey hielt daran fest, daß es unbedingter Wahn¬<lb/>
sinn sei, den englischen Geist zum &#x201E;deutschen Glaubensbekenntnis bekehren" zu<lb/>
wollen nud die &#x201E;absurden Träume dieser Kehrichtkärrner (hierunter verstand<lb/>
Jcffrey Schiller, Goethe, Jean Paul und so viel er von den Romantikern dem<lb/>
Namen nach kannte!) für das englische Publikum aufzuputzen." Das englische<lb/>
Publikum, so prophezeite er &#x2014; zum Glück ganz falsch &#x2014;, werde genug Ge¬<lb/>
schmack besitze», diese Nahrung nicht anzunehmen, und Carlyle möchte sich doch<lb/>
die Mühe sparen, &#x201E;die plumpen Extravaganzen und langweiligen Anmaßungen<lb/>
dieser Leute genießbar zu macheu." Er solle doch endlich diese loocl» Lnpvr-<lb/>
«Wo aufgeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2139"> So schrieb der &#x201E;große Kritiker" zu derselben Zeit, als Goethe seine &#x2014; für<lb/>
die Engländer damals (und noch jetzt?) &#x201E;mystischen" &#x2014; Ideen über &#x201E;allgemeine<lb/>
Länder- und Völkeraunüherung" der Welt offenbarte!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2140"> Carlyle ließ sich natürlich nicht von seinen Bahnen ablenken und arbeitete<lb/>
rastlos auf sein großes Ziel los, das ihm damals allerdings nur dunkel vor¬<lb/>
schwebte. Um sich seinen Plänen mehr widmen zu können und seine Gesund¬<lb/>
heit zu kräftigen, siedelte er 1828 nach Craigenputtoch über, jenem einsamen,<lb/>
öden Landhause in Dumfricsshire, von dem Goethe 1830 für die deutsche Über¬<lb/>
setzung des &#x201E;Lebens Schillers" eine Abbildung fertigen ließ, &#x201E;um dem jetzigen<lb/>
gefühlvollen Leser, vielleicht noch mehr dem künftigen einen freundlichen Ge¬<lb/>
fallen zu erweisen." Dort verlebte Carlyle, treulichst vou seiner Frau gepflegt,<lb/>
die Jahre bis 1834, wohl die bedeutungsvollste Zeit seines Lebens.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0567] Goethiana. Publikum vor. Er hatte die Übersetzung ein Goethe nach Weimar geschickt, und ein herzlicher Brief Goethes, der im Dezember 1824 in Carlyles Hände kam (er ist ohne genaues Datum, zuerst von Fronde abgedruckt im I.it'6 I, 265, Kap. 15; dann auch im Goethe-Jahrbuch IV, 407), war der erste Schritt zu dem nähern Bekanntwerden der beiden Großen. Das persönliche freundschaft¬ liche Verhältnis mit Goethe dauerte bis zu dessen Tode, und ein ziemlich reger Briefwechsel war die Frucht davon. Wir brauchen hier auf die einzelnen bis jetzt der Veröffentlichung über- gebenen oder für verloren gehaltenen Briefe nicht einzugehen, da wir aus erster Hand wissen, daß die Veröffentlichung der (wahrscheinlich fast ohne Lücke er¬ haltenen) Korrespondenz demnächst zu erwarten ist, von der berufnen Hemd des Professors Norton in Cambridge (Massachusetts), dem wir schon die Ausgabe des Briefwechsels zwischen Carlyle und Emerson verdanken. Wir begnügen uns, nur einiges anzuführen, was zur unmittelbaren Einleitung für die beiden fol¬ genden Briefe nötig ist. Nach seiner Heirat (1826) mit Jane Welsh hatte sich Carlyle in Edin¬ burgh niedergelassen, und von größter Wichtigkeit wurde hier die Annäherung Jcsfrey, der — ein Verwandter von Carlyles Frau — nun auch die Spalten seiner Minden-ZK Nsvlov dem „deutschen Mystizismus" öffnete, so bittere Kämpfe es auch kostete, denn Jcffrey hielt daran fest, daß es unbedingter Wahn¬ sinn sei, den englischen Geist zum „deutschen Glaubensbekenntnis bekehren" zu wollen nud die „absurden Träume dieser Kehrichtkärrner (hierunter verstand Jcffrey Schiller, Goethe, Jean Paul und so viel er von den Romantikern dem Namen nach kannte!) für das englische Publikum aufzuputzen." Das englische Publikum, so prophezeite er — zum Glück ganz falsch —, werde genug Ge¬ schmack besitze», diese Nahrung nicht anzunehmen, und Carlyle möchte sich doch die Mühe sparen, „die plumpen Extravaganzen und langweiligen Anmaßungen dieser Leute genießbar zu macheu." Er solle doch endlich diese loocl» Lnpvr- «Wo aufgeben. So schrieb der „große Kritiker" zu derselben Zeit, als Goethe seine — für die Engländer damals (und noch jetzt?) „mystischen" — Ideen über „allgemeine Länder- und Völkeraunüherung" der Welt offenbarte! Carlyle ließ sich natürlich nicht von seinen Bahnen ablenken und arbeitete rastlos auf sein großes Ziel los, das ihm damals allerdings nur dunkel vor¬ schwebte. Um sich seinen Plänen mehr widmen zu können und seine Gesund¬ heit zu kräftigen, siedelte er 1828 nach Craigenputtoch über, jenem einsamen, öden Landhause in Dumfricsshire, von dem Goethe 1830 für die deutsche Über¬ setzung des „Lebens Schillers" eine Abbildung fertigen ließ, „um dem jetzigen gefühlvollen Leser, vielleicht noch mehr dem künftigen einen freundlichen Ge¬ fallen zu erweisen." Dort verlebte Carlyle, treulichst vou seiner Frau gepflegt, die Jahre bis 1834, wohl die bedeutungsvollste Zeit seines Lebens.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/567
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/567>, abgerufen am 27.07.2024.