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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zentralasten.

auch andre Motive dazu drängten, in der .Hauptsache zu dem Zwecke unter-
nommen wurden, das Reich der Kaisar i Hind einzuengen, zu gefährden und
schließlich ganz oder teilweise wegzunehmen.

Mit diesen unaufhörlichen, immer wiederholten Versuchen, die Grenz- und
Nachbarlande Indiens, dessen Vorwerke gegen Norden, in russische Hände oder
unter russischen Einfluß zu bringe", um daraus eine Opcmtiousbasis zu end¬
lichem Angriff anf das Hauptobjekt zu bilden, hat die russische Politik den Eng¬
ländern in Indien auch indirekt großen Schaden zugefügt, indem sie dieselbe"
nötigte, eine" erheblichen Teil der Einnahmen des Landes auf Mittel und Ma߬
regeln der Abwehr zu verwenden, ihn also der Verwendung zur Verbesserung
innerer Zustände zu entziehen, die dringend Reformen erheischen Schon die in
Petersburg zugestaudne und von uns mehrfach hervorgeholme Thatsache, daß
die mittelasiatischen Erwerbungen Rußlands dem kaiserlichen Schatze nicht nur
nichts eindringen, sondern sehr erhebliche Ausgaben verursachen, welche sich auch
in der nächsten Zukunft ans diesen Ländern kaum verzinsen, geschweige denn
amortisiren lassen werden, ist ein Beweis für den rein politischen Zweck, der mit
dieser Eroberungspolitik verfolgt wird. Nicht eine einzige der neuen zentral¬
asiatischen Provinzen deckte bisher auch nur die Kohle" der bürgerlichen und
militärischen Verwaltung, und dies gilt selbst von den ältern Erwerbungen, deu
trauskaukasischeir Besitzungen. Die Feldzüge, welche die Russen uach Georgien
und Armenien führten, waren gegen die Türkei gerichtet, die ungeheuern Er¬
oberungen am Ann Darja und jenseits dieses Stromes zielten auf die Herr¬
schaft Großbritanniens in Südvstasien und bis auf die neueste Zeit, d. h. bis
auf die Entstehung des deutschen Reiches und dessen Defeusivbündnis mit Öster¬
reich-Ungarn, zugleich auf Konstantinopel. Dieses war bis dahin das nächste
Hauptziel, und die gegen die Vorlande Indiens ins Feld geführten russischen
Streitkräfte, die in diesen Vorlanden versuchten und teilweise geglückten diplo¬
matischen Schachzüge waren in erster Linie nur Mittel, in denen der Zweck
verfolgt wurde, Englands Aufmerksamkeit und Kraft abzulenken, es hier zu be¬
schäftigen und es zu nötigen, seinen Widerstand gegen die Öffnung des Bos¬
porus und der Dardanellen für Rußland und gegen die Besitznahme der Gro߬
stadt am Gvlducu Horn aufzugeben. Seit Deutschland und Österreich-Ungarn
dieser Absicht in den Weg getreten sind, ist sie, wie wir glauben, aufgegeben,
wie andre meinen, vertagt worden. Die Flut der russischen Eroberung strömt
fortan nicht mehr nach Südwesten, aber umso kräftiger geht ihr östlicher Arm,
bisher nur ein Nebenstrom, "ach Süden. Er suchte seinen Weg durch die
Steppenländer und Oase" am Oxus und jenseits desselben, er füllte zuletzt die
Gegenden am Margab, Merw und die Steppe am Nordflnsse des Parvpannsns;
nicht lange mehr, und er wird dicht vor den Maklern HeratS stehen und nach
dessen Fall in der Richtung voll Kandahar ablenken, wenn die Engländer ihm
nicht bei Zeiten Dämme von genügender Stärke vorbauen. Lassen sie den


Die Russen in Zentralasten.

auch andre Motive dazu drängten, in der .Hauptsache zu dem Zwecke unter-
nommen wurden, das Reich der Kaisar i Hind einzuengen, zu gefährden und
schließlich ganz oder teilweise wegzunehmen.

Mit diesen unaufhörlichen, immer wiederholten Versuchen, die Grenz- und
Nachbarlande Indiens, dessen Vorwerke gegen Norden, in russische Hände oder
unter russischen Einfluß zu bringe», um daraus eine Opcmtiousbasis zu end¬
lichem Angriff anf das Hauptobjekt zu bilden, hat die russische Politik den Eng¬
ländern in Indien auch indirekt großen Schaden zugefügt, indem sie dieselbe»
nötigte, eine» erheblichen Teil der Einnahmen des Landes auf Mittel und Ma߬
regeln der Abwehr zu verwenden, ihn also der Verwendung zur Verbesserung
innerer Zustände zu entziehen, die dringend Reformen erheischen Schon die in
Petersburg zugestaudne und von uns mehrfach hervorgeholme Thatsache, daß
die mittelasiatischen Erwerbungen Rußlands dem kaiserlichen Schatze nicht nur
nichts eindringen, sondern sehr erhebliche Ausgaben verursachen, welche sich auch
in der nächsten Zukunft ans diesen Ländern kaum verzinsen, geschweige denn
amortisiren lassen werden, ist ein Beweis für den rein politischen Zweck, der mit
dieser Eroberungspolitik verfolgt wird. Nicht eine einzige der neuen zentral¬
asiatischen Provinzen deckte bisher auch nur die Kohle» der bürgerlichen und
militärischen Verwaltung, und dies gilt selbst von den ältern Erwerbungen, deu
trauskaukasischeir Besitzungen. Die Feldzüge, welche die Russen uach Georgien
und Armenien führten, waren gegen die Türkei gerichtet, die ungeheuern Er¬
oberungen am Ann Darja und jenseits dieses Stromes zielten auf die Herr¬
schaft Großbritanniens in Südvstasien und bis auf die neueste Zeit, d. h. bis
auf die Entstehung des deutschen Reiches und dessen Defeusivbündnis mit Öster¬
reich-Ungarn, zugleich auf Konstantinopel. Dieses war bis dahin das nächste
Hauptziel, und die gegen die Vorlande Indiens ins Feld geführten russischen
Streitkräfte, die in diesen Vorlanden versuchten und teilweise geglückten diplo¬
matischen Schachzüge waren in erster Linie nur Mittel, in denen der Zweck
verfolgt wurde, Englands Aufmerksamkeit und Kraft abzulenken, es hier zu be¬
schäftigen und es zu nötigen, seinen Widerstand gegen die Öffnung des Bos¬
porus und der Dardanellen für Rußland und gegen die Besitznahme der Gro߬
stadt am Gvlducu Horn aufzugeben. Seit Deutschland und Österreich-Ungarn
dieser Absicht in den Weg getreten sind, ist sie, wie wir glauben, aufgegeben,
wie andre meinen, vertagt worden. Die Flut der russischen Eroberung strömt
fortan nicht mehr nach Südwesten, aber umso kräftiger geht ihr östlicher Arm,
bisher nur ein Nebenstrom, »ach Süden. Er suchte seinen Weg durch die
Steppenländer und Oase» am Oxus und jenseits desselben, er füllte zuletzt die
Gegenden am Margab, Merw und die Steppe am Nordflnsse des Parvpannsns;
nicht lange mehr, und er wird dicht vor den Maklern HeratS stehen und nach
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[0543] Die Russen in Zentralasten. auch andre Motive dazu drängten, in der .Hauptsache zu dem Zwecke unter- nommen wurden, das Reich der Kaisar i Hind einzuengen, zu gefährden und schließlich ganz oder teilweise wegzunehmen. Mit diesen unaufhörlichen, immer wiederholten Versuchen, die Grenz- und Nachbarlande Indiens, dessen Vorwerke gegen Norden, in russische Hände oder unter russischen Einfluß zu bringe», um daraus eine Opcmtiousbasis zu end¬ lichem Angriff anf das Hauptobjekt zu bilden, hat die russische Politik den Eng¬ ländern in Indien auch indirekt großen Schaden zugefügt, indem sie dieselbe» nötigte, eine» erheblichen Teil der Einnahmen des Landes auf Mittel und Ma߬ regeln der Abwehr zu verwenden, ihn also der Verwendung zur Verbesserung innerer Zustände zu entziehen, die dringend Reformen erheischen Schon die in Petersburg zugestaudne und von uns mehrfach hervorgeholme Thatsache, daß die mittelasiatischen Erwerbungen Rußlands dem kaiserlichen Schatze nicht nur nichts eindringen, sondern sehr erhebliche Ausgaben verursachen, welche sich auch in der nächsten Zukunft ans diesen Ländern kaum verzinsen, geschweige denn amortisiren lassen werden, ist ein Beweis für den rein politischen Zweck, der mit dieser Eroberungspolitik verfolgt wird. Nicht eine einzige der neuen zentral¬ asiatischen Provinzen deckte bisher auch nur die Kohle» der bürgerlichen und militärischen Verwaltung, und dies gilt selbst von den ältern Erwerbungen, deu trauskaukasischeir Besitzungen. Die Feldzüge, welche die Russen uach Georgien und Armenien führten, waren gegen die Türkei gerichtet, die ungeheuern Er¬ oberungen am Ann Darja und jenseits dieses Stromes zielten auf die Herr¬ schaft Großbritanniens in Südvstasien und bis auf die neueste Zeit, d. h. bis auf die Entstehung des deutschen Reiches und dessen Defeusivbündnis mit Öster¬ reich-Ungarn, zugleich auf Konstantinopel. Dieses war bis dahin das nächste Hauptziel, und die gegen die Vorlande Indiens ins Feld geführten russischen Streitkräfte, die in diesen Vorlanden versuchten und teilweise geglückten diplo¬ matischen Schachzüge waren in erster Linie nur Mittel, in denen der Zweck verfolgt wurde, Englands Aufmerksamkeit und Kraft abzulenken, es hier zu be¬ schäftigen und es zu nötigen, seinen Widerstand gegen die Öffnung des Bos¬ porus und der Dardanellen für Rußland und gegen die Besitznahme der Gro߬ stadt am Gvlducu Horn aufzugeben. Seit Deutschland und Österreich-Ungarn dieser Absicht in den Weg getreten sind, ist sie, wie wir glauben, aufgegeben, wie andre meinen, vertagt worden. Die Flut der russischen Eroberung strömt fortan nicht mehr nach Südwesten, aber umso kräftiger geht ihr östlicher Arm, bisher nur ein Nebenstrom, »ach Süden. Er suchte seinen Weg durch die Steppenländer und Oase» am Oxus und jenseits desselben, er füllte zuletzt die Gegenden am Margab, Merw und die Steppe am Nordflnsse des Parvpannsns; nicht lange mehr, und er wird dicht vor den Maklern HeratS stehen und nach dessen Fall in der Richtung voll Kandahar ablenken, wenn die Engländer ihm nicht bei Zeiten Dämme von genügender Stärke vorbauen. Lassen sie den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/543>, abgerufen am 01.09.2024.