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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Englische Musik.

wie die der beliebten Altistin Patey, aber man kann ganz gut jede Regung des
Vortrcigs verfolgen, wenn die Künstler nur über Vvrirag verfügen. Strauß
aus Wien spielte kürzlich dort mit fünfundvierzig Mann, und mit ganz
gutem Effekt. Am besten wirkten die langsamen Stücke mit Sortiren im Streich¬
orchester. Man kann sich die Summe denken, welche ein so gefülltes Hans
einbringt, und es ist nicht zu verwundern, daß der geschäftliche Unternehmungs¬
geist die Chorinstitute in Regie genommen hat. In der großartigsten Weise
ist dies bei den sogenannten Händelfesten der Fall, welche die Aktiengesellschaft, der
der Krystallpalast gehört, aller drei Jahre in ihrem Händelsaale veranstaltet. Man
giebt das durchschnittliche Geschäftsergebnis dieser Händelfeste auf 10 000 Pfund
Ausgabe und 30 000 Pfund Einnahme an. Das ergiebt einen Reingewinn von
20 000 Pfund für die Kompagnie. Wer einen Begriff von der Besetzung bei
diesen Händelfesten haben will, der gehe in den Saal. Gerade gegenüber von
der großen, schönen Orgel steht ein Pavillon von den Dimensionen eines kleinen
Gartenhäuschens. Dieser Pavillon enthält ein Modell von dem Chor- und
Orchesterkörper, wie er bei den Händelfesten zusammentritt: die Hauptfiguren
sind handgroß und porträtgetren. Wir konnten Costa, den frühern Dirigenten,
und einige Solisten erkennen, und fingen dann an, im Orchester die einzelnen
Instrumente zu zählen. Es waren fünfundsiebzig Kontrabässe! Das genügt.
Wir rechnen in Deutschland ein Konzcrtorchester unter die großen, das über¬
haupt mit fünfundsiebzig Instrumenten besetzt ist. Das Gewandhausorchester
im alten Saale war nicht stärker. Verschweigen läßt sich allerdings nicht, daß
diese Riesenhaie auch etwas demoralisirend gewirkt haben und der so wie so schon
landesüblichen Rohheit im Mnsiziren noch mehr Vorschub leisten. Ich bin
einmal aus einer Mcssiasaufführung in Albert-Hall hinausgegangen, weil ich
(außer der ledernen Direktion des Herrn Baruby) die den Chören zugeschriebene
Baßposaune uicht mehr vertragen konnte. Es war, wie wenn man der Rcifaelschcn
Sixtina die Backen mit Ziegelrot überstreichen wollte, um sie für die Ferner¬
stehenden besser erkenntlich zu machen! Gegen jene Baßposauneu, Ophilleidcn
und ähnliche Gemeinheiten, die dein Händel und Beethoven versetzt werden, sagt
aber kein Mensch etwas. Die englische Kritik, die bis ans wenige Ausnahmen
unter aller Kritik ist, sagt garnichts davon, weiß vielleicht garnicht, daß das
nicht in Ordnung ist. Und solche Barbareien sind vollständig überflüssig, denn
man hat zur Verstärkung die besten, gewaltigsten Orgeln zur Hand. In Eng¬
land ist -- anders als bei uns -- die Orgel als Begleitnngs- und Fnllinsiru-
ment bei Choraufführungen nie anßer Dienst gekommen, und für die in Deutsch¬
land so viel ventilirte Beglcituugsfrage ist die Tradition nie unterbrochen worden.

Die Orgel ersetzt dem englischen Musikfreunde in deu Proviuzstädten einen
Teil der Genüsse, die der Deutsche in den Orchesterkvnzerten findet. 0rMn-rsoit,ii,lL
finden überall und regelmäßig statt; während der musikalischen Jahreszeit wöchent¬
lich. Sie sind sehr gut von einem sehr dankbaren Publikum besucht. Die eng-


Englische Musik.

wie die der beliebten Altistin Patey, aber man kann ganz gut jede Regung des
Vortrcigs verfolgen, wenn die Künstler nur über Vvrirag verfügen. Strauß
aus Wien spielte kürzlich dort mit fünfundvierzig Mann, und mit ganz
gutem Effekt. Am besten wirkten die langsamen Stücke mit Sortiren im Streich¬
orchester. Man kann sich die Summe denken, welche ein so gefülltes Hans
einbringt, und es ist nicht zu verwundern, daß der geschäftliche Unternehmungs¬
geist die Chorinstitute in Regie genommen hat. In der großartigsten Weise
ist dies bei den sogenannten Händelfesten der Fall, welche die Aktiengesellschaft, der
der Krystallpalast gehört, aller drei Jahre in ihrem Händelsaale veranstaltet. Man
giebt das durchschnittliche Geschäftsergebnis dieser Händelfeste auf 10 000 Pfund
Ausgabe und 30 000 Pfund Einnahme an. Das ergiebt einen Reingewinn von
20 000 Pfund für die Kompagnie. Wer einen Begriff von der Besetzung bei
diesen Händelfesten haben will, der gehe in den Saal. Gerade gegenüber von
der großen, schönen Orgel steht ein Pavillon von den Dimensionen eines kleinen
Gartenhäuschens. Dieser Pavillon enthält ein Modell von dem Chor- und
Orchesterkörper, wie er bei den Händelfesten zusammentritt: die Hauptfiguren
sind handgroß und porträtgetren. Wir konnten Costa, den frühern Dirigenten,
und einige Solisten erkennen, und fingen dann an, im Orchester die einzelnen
Instrumente zu zählen. Es waren fünfundsiebzig Kontrabässe! Das genügt.
Wir rechnen in Deutschland ein Konzcrtorchester unter die großen, das über¬
haupt mit fünfundsiebzig Instrumenten besetzt ist. Das Gewandhausorchester
im alten Saale war nicht stärker. Verschweigen läßt sich allerdings nicht, daß
diese Riesenhaie auch etwas demoralisirend gewirkt haben und der so wie so schon
landesüblichen Rohheit im Mnsiziren noch mehr Vorschub leisten. Ich bin
einmal aus einer Mcssiasaufführung in Albert-Hall hinausgegangen, weil ich
(außer der ledernen Direktion des Herrn Baruby) die den Chören zugeschriebene
Baßposaune uicht mehr vertragen konnte. Es war, wie wenn man der Rcifaelschcn
Sixtina die Backen mit Ziegelrot überstreichen wollte, um sie für die Ferner¬
stehenden besser erkenntlich zu machen! Gegen jene Baßposauneu, Ophilleidcn
und ähnliche Gemeinheiten, die dein Händel und Beethoven versetzt werden, sagt
aber kein Mensch etwas. Die englische Kritik, die bis ans wenige Ausnahmen
unter aller Kritik ist, sagt garnichts davon, weiß vielleicht garnicht, daß das
nicht in Ordnung ist. Und solche Barbareien sind vollständig überflüssig, denn
man hat zur Verstärkung die besten, gewaltigsten Orgeln zur Hand. In Eng¬
land ist — anders als bei uns — die Orgel als Begleitnngs- und Fnllinsiru-
ment bei Choraufführungen nie anßer Dienst gekommen, und für die in Deutsch¬
land so viel ventilirte Beglcituugsfrage ist die Tradition nie unterbrochen worden.

Die Orgel ersetzt dem englischen Musikfreunde in deu Proviuzstädten einen
Teil der Genüsse, die der Deutsche in den Orchesterkvnzerten findet. 0rMn-rsoit,ii,lL
finden überall und regelmäßig statt; während der musikalischen Jahreszeit wöchent¬
lich. Sie sind sehr gut von einem sehr dankbaren Publikum besucht. Die eng-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/532>, abgerufen am 01.09.2024.