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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Englische Musik.

so trefflich wie in diesem englischen. In neuerer Zeit scheinen sich die Engländer
ihrer pädagogischen Befähigung bewußt zu werden: das neue, vielbesprochene
LoM (üollogö ot' Nusie, hat in seinem Lehrpersonal die Ausländer so gut
wie ausgeschlossen. Dieses Institut ist wohl das reichst dotirte Konservatorium,
welches zur Zeit existirt: Paris, Neapel, Mailand sind gegen seine Fonds
Bettelkinder. Ob es aber den jungen englischen Musikern einen Anfenthalt in
Berlin, Leipzig, München oder einer andern musikalischen Hauptstadt Deutsch¬
lands wird ersetzen könne", bezweifeln wir. Ja, es scheint uns etwas bornirt,
das; man das überhaupt null. Darin liegt wohl derselbe verblendete National¬
dünkel, der die englischen Musiker ab und zu plötzlich ergreift und zu einer
starken Blamage treibt. S. Bennett, der doch ohne Mendelssohn und Schu¬
mann nichts gewesen wäre, erklärte einmal als Direktor der jetzt in die zweite
Linie degradirten Koznl ^.e^nten^ ok NuÄo, daß die englische Musik der
deutschen, französischen, italienischen ebenbürtig, daß sie groß, selbständig, genial
sei. Sein Nachfolger im Amte, der obengenannte Maefarren, hat diesen Aus-
spruch häufig wiederholt und sich zu demselben Glauben bekannt. Der praktische
Beweis ist immer ausgeblieben, die wiederkehrenden Versuche, ihn zu führen,
z. V. durch eine englische Nativualopcr, fielen bei den eignen Landsleuten durch.

Es ist nicht z" verkennen, jener praktische Sinn, dessen wir oben erwähnten,
hat seine Schattenseiten. Er macht die Menschen zu mancher höhern Erkenntnis
einfach unfähig, wenn er zu sehr in den Vordergrund gestellt wird. Wer Eng¬
land kennt, wird für diese Behauptung eine große Anzahl Beispiele beibringen
können. Wie leer und schwach das geistige Leben in den englischen Mittel¬
klassen! Wäre nicht Religion. Menschenfreundlichkeit und Wohlthätigkeit dnrch
die alte Sitte geheiligt und gefestigt, wo bliebe das Ideal in jenem Lande!
Die Hingabe, mit welcher der deutsche Gelehrte, der deutsche Künstler über das
zum Leben Erforderliche hinaus sich seinem Berufe widmet -- wie wenige üben
sie da drüben, und noch viel weniger sind es, die sie zu schätzen wissen und
nicht für eine Untugend halten! Ja, eS ist dort anf der schönen, reichen Insel,
welche von unsern Vettern bewohnt wird, des praktischen Sinnes etwas zu viel.
Er hat die Phantasie dieses Volkes gelähmt, seinen Geist verarmt, die großen
Gesichtspunkte selten gemacht. Es wird vielleicht ein Tag kommen, wo dieser
Mangel sich anch an der politischen Stellung dieses Landes, an seinem gemeinen
und praktischen Leben selbst rächt!

Daß dieses übermäßige Vorwalten des praktischen Sinnes mit dazu bei¬
getragen hat, die Entwicklung der englischen Musik hintanzuhalten -- wer wollte
dies leugnen? Die Stagnation begann genau in dem Moment, in welchem in
Deutschland die Instrumentalmusik in den Vordergrund trat, jener Zweig der
Tonkunst also, welcher an die Phantasie der schaffenden wie an die der Hörer
die größten Anforderungen stellt. Der Abstand zwischen England und Deutsch¬
land hätte aber nie so groß, wie er ist, werden können, wenn England mehr


Grmzwtm III. 1885.
Englische Musik.

so trefflich wie in diesem englischen. In neuerer Zeit scheinen sich die Engländer
ihrer pädagogischen Befähigung bewußt zu werden: das neue, vielbesprochene
LoM (üollogö ot' Nusie, hat in seinem Lehrpersonal die Ausländer so gut
wie ausgeschlossen. Dieses Institut ist wohl das reichst dotirte Konservatorium,
welches zur Zeit existirt: Paris, Neapel, Mailand sind gegen seine Fonds
Bettelkinder. Ob es aber den jungen englischen Musikern einen Anfenthalt in
Berlin, Leipzig, München oder einer andern musikalischen Hauptstadt Deutsch¬
lands wird ersetzen könne», bezweifeln wir. Ja, es scheint uns etwas bornirt,
das; man das überhaupt null. Darin liegt wohl derselbe verblendete National¬
dünkel, der die englischen Musiker ab und zu plötzlich ergreift und zu einer
starken Blamage treibt. S. Bennett, der doch ohne Mendelssohn und Schu¬
mann nichts gewesen wäre, erklärte einmal als Direktor der jetzt in die zweite
Linie degradirten Koznl ^.e^nten^ ok NuÄo, daß die englische Musik der
deutschen, französischen, italienischen ebenbürtig, daß sie groß, selbständig, genial
sei. Sein Nachfolger im Amte, der obengenannte Maefarren, hat diesen Aus-
spruch häufig wiederholt und sich zu demselben Glauben bekannt. Der praktische
Beweis ist immer ausgeblieben, die wiederkehrenden Versuche, ihn zu führen,
z. V. durch eine englische Nativualopcr, fielen bei den eignen Landsleuten durch.

Es ist nicht z» verkennen, jener praktische Sinn, dessen wir oben erwähnten,
hat seine Schattenseiten. Er macht die Menschen zu mancher höhern Erkenntnis
einfach unfähig, wenn er zu sehr in den Vordergrund gestellt wird. Wer Eng¬
land kennt, wird für diese Behauptung eine große Anzahl Beispiele beibringen
können. Wie leer und schwach das geistige Leben in den englischen Mittel¬
klassen! Wäre nicht Religion. Menschenfreundlichkeit und Wohlthätigkeit dnrch
die alte Sitte geheiligt und gefestigt, wo bliebe das Ideal in jenem Lande!
Die Hingabe, mit welcher der deutsche Gelehrte, der deutsche Künstler über das
zum Leben Erforderliche hinaus sich seinem Berufe widmet — wie wenige üben
sie da drüben, und noch viel weniger sind es, die sie zu schätzen wissen und
nicht für eine Untugend halten! Ja, eS ist dort anf der schönen, reichen Insel,
welche von unsern Vettern bewohnt wird, des praktischen Sinnes etwas zu viel.
Er hat die Phantasie dieses Volkes gelähmt, seinen Geist verarmt, die großen
Gesichtspunkte selten gemacht. Es wird vielleicht ein Tag kommen, wo dieser
Mangel sich anch an der politischen Stellung dieses Landes, an seinem gemeinen
und praktischen Leben selbst rächt!

Daß dieses übermäßige Vorwalten des praktischen Sinnes mit dazu bei¬
getragen hat, die Entwicklung der englischen Musik hintanzuhalten — wer wollte
dies leugnen? Die Stagnation begann genau in dem Moment, in welchem in
Deutschland die Instrumentalmusik in den Vordergrund trat, jener Zweig der
Tonkunst also, welcher an die Phantasie der schaffenden wie an die der Hörer
die größten Anforderungen stellt. Der Abstand zwischen England und Deutsch¬
land hätte aber nie so groß, wie er ist, werden können, wenn England mehr


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[0529] Englische Musik. so trefflich wie in diesem englischen. In neuerer Zeit scheinen sich die Engländer ihrer pädagogischen Befähigung bewußt zu werden: das neue, vielbesprochene LoM (üollogö ot' Nusie, hat in seinem Lehrpersonal die Ausländer so gut wie ausgeschlossen. Dieses Institut ist wohl das reichst dotirte Konservatorium, welches zur Zeit existirt: Paris, Neapel, Mailand sind gegen seine Fonds Bettelkinder. Ob es aber den jungen englischen Musikern einen Anfenthalt in Berlin, Leipzig, München oder einer andern musikalischen Hauptstadt Deutsch¬ lands wird ersetzen könne», bezweifeln wir. Ja, es scheint uns etwas bornirt, das; man das überhaupt null. Darin liegt wohl derselbe verblendete National¬ dünkel, der die englischen Musiker ab und zu plötzlich ergreift und zu einer starken Blamage treibt. S. Bennett, der doch ohne Mendelssohn und Schu¬ mann nichts gewesen wäre, erklärte einmal als Direktor der jetzt in die zweite Linie degradirten Koznl ^.e^nten^ ok NuÄo, daß die englische Musik der deutschen, französischen, italienischen ebenbürtig, daß sie groß, selbständig, genial sei. Sein Nachfolger im Amte, der obengenannte Maefarren, hat diesen Aus- spruch häufig wiederholt und sich zu demselben Glauben bekannt. Der praktische Beweis ist immer ausgeblieben, die wiederkehrenden Versuche, ihn zu führen, z. V. durch eine englische Nativualopcr, fielen bei den eignen Landsleuten durch. Es ist nicht z» verkennen, jener praktische Sinn, dessen wir oben erwähnten, hat seine Schattenseiten. Er macht die Menschen zu mancher höhern Erkenntnis einfach unfähig, wenn er zu sehr in den Vordergrund gestellt wird. Wer Eng¬ land kennt, wird für diese Behauptung eine große Anzahl Beispiele beibringen können. Wie leer und schwach das geistige Leben in den englischen Mittel¬ klassen! Wäre nicht Religion. Menschenfreundlichkeit und Wohlthätigkeit dnrch die alte Sitte geheiligt und gefestigt, wo bliebe das Ideal in jenem Lande! Die Hingabe, mit welcher der deutsche Gelehrte, der deutsche Künstler über das zum Leben Erforderliche hinaus sich seinem Berufe widmet — wie wenige üben sie da drüben, und noch viel weniger sind es, die sie zu schätzen wissen und nicht für eine Untugend halten! Ja, eS ist dort anf der schönen, reichen Insel, welche von unsern Vettern bewohnt wird, des praktischen Sinnes etwas zu viel. Er hat die Phantasie dieses Volkes gelähmt, seinen Geist verarmt, die großen Gesichtspunkte selten gemacht. Es wird vielleicht ein Tag kommen, wo dieser Mangel sich anch an der politischen Stellung dieses Landes, an seinem gemeinen und praktischen Leben selbst rächt! Daß dieses übermäßige Vorwalten des praktischen Sinnes mit dazu bei¬ getragen hat, die Entwicklung der englischen Musik hintanzuhalten — wer wollte dies leugnen? Die Stagnation begann genau in dem Moment, in welchem in Deutschland die Instrumentalmusik in den Vordergrund trat, jener Zweig der Tonkunst also, welcher an die Phantasie der schaffenden wie an die der Hörer die größten Anforderungen stellt. Der Abstand zwischen England und Deutsch¬ land hätte aber nie so groß, wie er ist, werden können, wenn England mehr Grmzwtm III. 1885.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/529>, abgerufen am 01.09.2024.