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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Englische Musik.

Nach jener Madrigalenperiode hat sich die englische Musik nie wieder
über die Höhe anständiger Mittelmäßigkeit emporgeschwungen. Die Arnold,
Arne, Dibdin, Storace, Bishop -- sie alle haben sehr hübsche Sachen in ihren
Opern, und namentlich sind es volkstümliche Elemente, die ihre Musik zuweilen
traulich machen. Aber keiner von ihnen hat es zu einer imponirenden Origi¬
nalität gebracht. Man sieht die Begabung, aber es scheint der künstlerischen
Atmosphäre diejenige Kraft zu fehlen, welche das Talent in die Höhe fördert
und zu seiner vollen Entfaltung bringt. Größer noch als auf dem vokalen Ge¬
biete ist die Differenz zwischen kontinentaler und englischer Musik auf dem in¬
strumentalen. Eine einzige halbe Säule: Sterudale Bennett, vertritt die Ehre
des Landes im ganzen neunzehnten Jahrhundert! Neuerdings scheint es besser
zu werden. Die "skandinavische Symphonie" von F. Cowen, die in mehreren
deutschen Konzertsälen während der letzten Winter aufgeführt worden ist, darf
sich wohl hören lassen. Sie ist nicht ganz reif, aber sie hat kräftige Phantasie.
Und Cowen steht nicht mehr allein, namentlich einige junge Schotten haben
lebensfähige und talentvolle Jnstrumentalkompositionen über den Kanal geschickt.

So wenige Komponisten -- und doch so lohnend, in England zu kompo-
niren! Die Honorare, welche in London von den Musikverlegcrn für gangbare
Sachen bezahlt werden, machen einem deutschen Tonkünstler das Wasser im
Munde zusammenlaufen. Da ist Herr A. Snllivan, der gegenwärtige Matador
der englischen Tondichter, ein Talent in der Sphäre und von der Größe unsers
verstorbnen Abt etwa und ein praktischer Kopf, der seiue augenblicklichen Chancen
durch unermüdliche Lieferung von neuen Operetten und Liedern auszunutzen
weiß. Er erzählt selbst durch den Mund eines Interviewer, daß er für eins
seiner frühern Lieder, welches sehr einschlug, 700 Pfd. Honorar 14000 Mark)
erhalten habe und für einen der letzten seiner ?g,vorn, scmM (das hübsche
I^ÄZt Oliorä, das ihm wohl nicht mehr als zwei Stunden Arbeit gekostet haben
kann) bezieht er eine jährliche Rente von 300 Pfund.

Bekannt ist es, daß auch die Unterrichtshonvrare in England sehr hoch sind.
Eine Stunde bei Gesangs- und Klavierlehrern, die sich zu deu bessern rechnen, ist
nicht unter 20 Mark zu haben, und die Spitzen der musikalischen Pädagogik,
Männer, die größtenteils auf dein Kontinent nicht einmal dem Namen nach
bekannt sind, sind für diesen Preis nicht einmal zugänglich. Der Unterricht
liegt zum großen Teile in den Händen von Ausländern, Deutschen für das
Instrumentale, Italiener für den Gesang; die Eingebornen genießen nicht das¬
selbe Vertrauen. Und doch sind die Engländer keine schlechten Musiklehrer.
Bis zu einem gewissen Grade kommt ihnen für dieses Fach ihr praktischer Sinn
zu gute. Auch im Theoretischen bewährt sich das. Die Harmonielehre von
Macfarren z. B. gehört zu den instruktivsten Werken ihrer Gattung -- die
Gabe, ja selbst die Einsicht von der Notwendigkeit, die Lehrsätze durch gute
Paradigmen anschaulich zu machen, zeigt sich in wenigen deutschen Lehrbüchern


Englische Musik.

Nach jener Madrigalenperiode hat sich die englische Musik nie wieder
über die Höhe anständiger Mittelmäßigkeit emporgeschwungen. Die Arnold,
Arne, Dibdin, Storace, Bishop — sie alle haben sehr hübsche Sachen in ihren
Opern, und namentlich sind es volkstümliche Elemente, die ihre Musik zuweilen
traulich machen. Aber keiner von ihnen hat es zu einer imponirenden Origi¬
nalität gebracht. Man sieht die Begabung, aber es scheint der künstlerischen
Atmosphäre diejenige Kraft zu fehlen, welche das Talent in die Höhe fördert
und zu seiner vollen Entfaltung bringt. Größer noch als auf dem vokalen Ge¬
biete ist die Differenz zwischen kontinentaler und englischer Musik auf dem in¬
strumentalen. Eine einzige halbe Säule: Sterudale Bennett, vertritt die Ehre
des Landes im ganzen neunzehnten Jahrhundert! Neuerdings scheint es besser
zu werden. Die „skandinavische Symphonie" von F. Cowen, die in mehreren
deutschen Konzertsälen während der letzten Winter aufgeführt worden ist, darf
sich wohl hören lassen. Sie ist nicht ganz reif, aber sie hat kräftige Phantasie.
Und Cowen steht nicht mehr allein, namentlich einige junge Schotten haben
lebensfähige und talentvolle Jnstrumentalkompositionen über den Kanal geschickt.

So wenige Komponisten — und doch so lohnend, in England zu kompo-
niren! Die Honorare, welche in London von den Musikverlegcrn für gangbare
Sachen bezahlt werden, machen einem deutschen Tonkünstler das Wasser im
Munde zusammenlaufen. Da ist Herr A. Snllivan, der gegenwärtige Matador
der englischen Tondichter, ein Talent in der Sphäre und von der Größe unsers
verstorbnen Abt etwa und ein praktischer Kopf, der seiue augenblicklichen Chancen
durch unermüdliche Lieferung von neuen Operetten und Liedern auszunutzen
weiß. Er erzählt selbst durch den Mund eines Interviewer, daß er für eins
seiner frühern Lieder, welches sehr einschlug, 700 Pfd. Honorar 14000 Mark)
erhalten habe und für einen der letzten seiner ?g,vorn, scmM (das hübsche
I^ÄZt Oliorä, das ihm wohl nicht mehr als zwei Stunden Arbeit gekostet haben
kann) bezieht er eine jährliche Rente von 300 Pfund.

Bekannt ist es, daß auch die Unterrichtshonvrare in England sehr hoch sind.
Eine Stunde bei Gesangs- und Klavierlehrern, die sich zu deu bessern rechnen, ist
nicht unter 20 Mark zu haben, und die Spitzen der musikalischen Pädagogik,
Männer, die größtenteils auf dein Kontinent nicht einmal dem Namen nach
bekannt sind, sind für diesen Preis nicht einmal zugänglich. Der Unterricht
liegt zum großen Teile in den Händen von Ausländern, Deutschen für das
Instrumentale, Italiener für den Gesang; die Eingebornen genießen nicht das¬
selbe Vertrauen. Und doch sind die Engländer keine schlechten Musiklehrer.
Bis zu einem gewissen Grade kommt ihnen für dieses Fach ihr praktischer Sinn
zu gute. Auch im Theoretischen bewährt sich das. Die Harmonielehre von
Macfarren z. B. gehört zu den instruktivsten Werken ihrer Gattung — die
Gabe, ja selbst die Einsicht von der Notwendigkeit, die Lehrsätze durch gute
Paradigmen anschaulich zu machen, zeigt sich in wenigen deutschen Lehrbüchern


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[0528] Englische Musik. Nach jener Madrigalenperiode hat sich die englische Musik nie wieder über die Höhe anständiger Mittelmäßigkeit emporgeschwungen. Die Arnold, Arne, Dibdin, Storace, Bishop — sie alle haben sehr hübsche Sachen in ihren Opern, und namentlich sind es volkstümliche Elemente, die ihre Musik zuweilen traulich machen. Aber keiner von ihnen hat es zu einer imponirenden Origi¬ nalität gebracht. Man sieht die Begabung, aber es scheint der künstlerischen Atmosphäre diejenige Kraft zu fehlen, welche das Talent in die Höhe fördert und zu seiner vollen Entfaltung bringt. Größer noch als auf dem vokalen Ge¬ biete ist die Differenz zwischen kontinentaler und englischer Musik auf dem in¬ strumentalen. Eine einzige halbe Säule: Sterudale Bennett, vertritt die Ehre des Landes im ganzen neunzehnten Jahrhundert! Neuerdings scheint es besser zu werden. Die „skandinavische Symphonie" von F. Cowen, die in mehreren deutschen Konzertsälen während der letzten Winter aufgeführt worden ist, darf sich wohl hören lassen. Sie ist nicht ganz reif, aber sie hat kräftige Phantasie. Und Cowen steht nicht mehr allein, namentlich einige junge Schotten haben lebensfähige und talentvolle Jnstrumentalkompositionen über den Kanal geschickt. So wenige Komponisten — und doch so lohnend, in England zu kompo- niren! Die Honorare, welche in London von den Musikverlegcrn für gangbare Sachen bezahlt werden, machen einem deutschen Tonkünstler das Wasser im Munde zusammenlaufen. Da ist Herr A. Snllivan, der gegenwärtige Matador der englischen Tondichter, ein Talent in der Sphäre und von der Größe unsers verstorbnen Abt etwa und ein praktischer Kopf, der seiue augenblicklichen Chancen durch unermüdliche Lieferung von neuen Operetten und Liedern auszunutzen weiß. Er erzählt selbst durch den Mund eines Interviewer, daß er für eins seiner frühern Lieder, welches sehr einschlug, 700 Pfd. Honorar 14000 Mark) erhalten habe und für einen der letzten seiner ?g,vorn, scmM (das hübsche I^ÄZt Oliorä, das ihm wohl nicht mehr als zwei Stunden Arbeit gekostet haben kann) bezieht er eine jährliche Rente von 300 Pfund. Bekannt ist es, daß auch die Unterrichtshonvrare in England sehr hoch sind. Eine Stunde bei Gesangs- und Klavierlehrern, die sich zu deu bessern rechnen, ist nicht unter 20 Mark zu haben, und die Spitzen der musikalischen Pädagogik, Männer, die größtenteils auf dein Kontinent nicht einmal dem Namen nach bekannt sind, sind für diesen Preis nicht einmal zugänglich. Der Unterricht liegt zum großen Teile in den Händen von Ausländern, Deutschen für das Instrumentale, Italiener für den Gesang; die Eingebornen genießen nicht das¬ selbe Vertrauen. Und doch sind die Engländer keine schlechten Musiklehrer. Bis zu einem gewissen Grade kommt ihnen für dieses Fach ihr praktischer Sinn zu gute. Auch im Theoretischen bewährt sich das. Die Harmonielehre von Macfarren z. B. gehört zu den instruktivsten Werken ihrer Gattung — die Gabe, ja selbst die Einsicht von der Notwendigkeit, die Lehrsätze durch gute Paradigmen anschaulich zu machen, zeigt sich in wenigen deutschen Lehrbüchern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/528>, abgerufen am 01.09.2024.