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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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achtzehnten Jahrhunderts, aber ihre Bildung wurzelte in der Kultur der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts und war deswegen ganz französisch. Sie verstand
wenig von der bildenden Kunst, wenig von der Musik und noch weniger von
den Naturwissenschaften; nur in der Geschichte und Literatur besaß sie gründliche
und umfassende Kenntnisse, die sie aber nicht im Kloster zu Straßburg, sondern
durch spätere fleißige Lektüre erworben hatte. Sie sing mit den französischen
Klassikern an und endete mit den deutschen. Nur Rousseau ist ihr zeitlebens
fremd geblieben. "Ich danke Gott, sagte sie 1806, daß ich niemals die Werke
dieses verführerischen Autors gelesen habe; mein Abbe hielt mich immer davon
zurück, er hätte mir eher Voltaire erlaubt." Im Wiener Verkehr lernte sie
zwar Deutsch, aber sie vermochte sich darin mir unvollkommen und schwer aus¬
zudrücken, und wenn sie auch später die besten Werke der deutschen Literatur
kennen gelernt hat, den tiefern Gehalt derselben hat sie nicht erfaßt, so wenig
wie den Wohllaut, die Kraft und Innigkeit der deutschen Sprache. Sie erkannte
dies und drang bei ihren Kindern frühzeitig darauf, daß sie deutsch denken,
sprechen und schreiben lernten. Sie munterte ihre Tochter auf, deutsche Briefe
zu schreiben; "wenn dn auch nicht so gut schreibst als die Frau Herder, welche
sich durch ihr ganzes Leben geübt hat und unter einem solchen Meister, wie ihr
Mann ist." Dagegen blieb sie den Aufklürungstheorien zeitlebens abgeneigt,
indem sie in ihnen nur die Negation aller positiven Religion und der altüber¬
kommenen sozialen Verhältnisse erblickte. Ein wahres Entsetzen mußte ihr daher
die französische Revolution einjagen. In der Politik war sie eine Freundin
der alten feudal-föderalistischen Zustände, wenn sie auch Wohl erkannte, daß
dieselben nicht für jede Zeit paßten. Als 1802 eine Restauration der theresianischen
Staatsordnung angestrebt wurde, sagte sie: "Die Zeit der Kaiserin Maria
Theresia war vielleicht die glücklichste für die Monarchie, aber ich wünsche sie
nicht zurück; ist auch nicht möglich, die politischen Verhältnisse sind anders
geworden." Mit ganzer Seele hing sie an der alten Ordnung des Reiches,
und als dieselbe zusammenbrach und das Kaisertum sang- und klanglos zu Grabe
getragen wurde, war sie tief erschüttert. Sie war ein durch und durch gesunder
und offner Charakter, alles Mystische und Phantastische war ihr zuwider. Es
erregte nur ihre Heiterkeit, als in den siebziger Jahren Mahner mit dem
tierischen Magnetismus seinen Schwindel trieb, als Gall über die Schädellehre
Vorlesungen hielt und der Abenteurer Casanova so viele wnndersüchtige Frauen
begeisterte. Ebenso haßte sie alle Geheimthuerei und Geheimbündlerei und molten
weder von den Freimaurern und Illuminaten, uoch von den Nvscnkreuzern
etwas wissen.


(Llzristiau tlleyer.


achtzehnten Jahrhunderts, aber ihre Bildung wurzelte in der Kultur der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts und war deswegen ganz französisch. Sie verstand
wenig von der bildenden Kunst, wenig von der Musik und noch weniger von
den Naturwissenschaften; nur in der Geschichte und Literatur besaß sie gründliche
und umfassende Kenntnisse, die sie aber nicht im Kloster zu Straßburg, sondern
durch spätere fleißige Lektüre erworben hatte. Sie sing mit den französischen
Klassikern an und endete mit den deutschen. Nur Rousseau ist ihr zeitlebens
fremd geblieben. „Ich danke Gott, sagte sie 1806, daß ich niemals die Werke
dieses verführerischen Autors gelesen habe; mein Abbe hielt mich immer davon
zurück, er hätte mir eher Voltaire erlaubt." Im Wiener Verkehr lernte sie
zwar Deutsch, aber sie vermochte sich darin mir unvollkommen und schwer aus¬
zudrücken, und wenn sie auch später die besten Werke der deutschen Literatur
kennen gelernt hat, den tiefern Gehalt derselben hat sie nicht erfaßt, so wenig
wie den Wohllaut, die Kraft und Innigkeit der deutschen Sprache. Sie erkannte
dies und drang bei ihren Kindern frühzeitig darauf, daß sie deutsch denken,
sprechen und schreiben lernten. Sie munterte ihre Tochter auf, deutsche Briefe
zu schreiben; „wenn dn auch nicht so gut schreibst als die Frau Herder, welche
sich durch ihr ganzes Leben geübt hat und unter einem solchen Meister, wie ihr
Mann ist." Dagegen blieb sie den Aufklürungstheorien zeitlebens abgeneigt,
indem sie in ihnen nur die Negation aller positiven Religion und der altüber¬
kommenen sozialen Verhältnisse erblickte. Ein wahres Entsetzen mußte ihr daher
die französische Revolution einjagen. In der Politik war sie eine Freundin
der alten feudal-föderalistischen Zustände, wenn sie auch Wohl erkannte, daß
dieselben nicht für jede Zeit paßten. Als 1802 eine Restauration der theresianischen
Staatsordnung angestrebt wurde, sagte sie: „Die Zeit der Kaiserin Maria
Theresia war vielleicht die glücklichste für die Monarchie, aber ich wünsche sie
nicht zurück; ist auch nicht möglich, die politischen Verhältnisse sind anders
geworden." Mit ganzer Seele hing sie an der alten Ordnung des Reiches,
und als dieselbe zusammenbrach und das Kaisertum sang- und klanglos zu Grabe
getragen wurde, war sie tief erschüttert. Sie war ein durch und durch gesunder
und offner Charakter, alles Mystische und Phantastische war ihr zuwider. Es
erregte nur ihre Heiterkeit, als in den siebziger Jahren Mahner mit dem
tierischen Magnetismus seinen Schwindel trieb, als Gall über die Schädellehre
Vorlesungen hielt und der Abenteurer Casanova so viele wnndersüchtige Frauen
begeisterte. Ebenso haßte sie alle Geheimthuerei und Geheimbündlerei und molten
weder von den Freimaurern und Illuminaten, uoch von den Nvscnkreuzern
etwas wissen.


(Llzristiau tlleyer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/526>, abgerufen am 25.11.2024.