Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Humanität und der fortschreitenden Zivilisation annimmt, ist aber die Sache
nicht abgethan. Es fällt niemandem ein, die Schreckensstrafen der Carolina
oder nur des Laudrcchts wiederherstellen zu wollen. Gegenüber der milde"
Praxis aber, wie sie sich aus der Statistik ergiebt, ist die Frage gestattet, was
eigentlich mit solchen Strafen erzielt werden soll. Sie können weder zur Ab¬
schreckung noch zur Besserung dienen und haben schließlich nur den einen Erfolg,
daß die Anfänger auf der Laufbahn des Verbrechens durch die Gemeinschaftshaft
in den kleinen Gefängnissen für das Verbrechertum reif gemacht werden und sich
nach und nach an die Gefängnishaft gewöhnen, während die fertigen Verbrecher,
die Diebe von Profession, nach Verbüßung der gegen sie erkannten kurzen Strafen
den Krieg gegen das Eigentum ihrer Mitbürger mit ungeschwächtem Mute fort¬
setzen, bis sie, wieder und wieder rückfällig, schließlich das Zuchthaus als eine
Art von Versorgungsanstalt ansehen. Der gemeine Mann schätzt die Schwere
der Verbrechen nach der Strafe, und wenn diese allzu gelinde wird, dann lernt
er auch die Missethat gering anschlagen. So lange die gegenwärtige Strafpraxis
fortbesteht, kann unsre Strafrechtspflege als ein Mittel der Nepresston gegen
das Verbrechertum uicht zur vollen Geltung kommen.


Karl Meisel.


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.
2> Fürstin Eleonore Liechtenstein.

WtzS
D
Hn der Geschichte der Staaten sind es nicht bloß allbekannte, vor
jedermanns Augen sich vollziehende Thatsachen, die ans den Gang
der Politik bestimmenden Einfluß üben; vielleicht vorzugsweise
ziehen sich die eigentlichen tonangebenden Motive in ein geheimnis¬
volles Dunkel zurück, aus dem sie nur der dem innersten Kern
der Dinge nachspürende Fleiß und Scharfsinn späterer Geschlechter wieder hervor¬
zuziehen vermag. Wir wissen nicht, ob dies überall gelungen ist und überhaupt
gelingen kann; bei manchen wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte sind wir
wohl öfters in Verlegenheit, wie wir uns den Zusammenhang von Ursache und
Wirkung zu denken habe". Wir fiihleu deutlich, daß dieses und jenes über¬
lieferte Faktum nicht der letzte Grund einer Handlungsweise gewesen sein kann,
daß das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ein zu ungleiches ist, als
daß wir den von der naiven Anschauungsweise der alten Schriftsteller angege-


Grnizbutt'ii III. 1885. 64
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Humanität und der fortschreitenden Zivilisation annimmt, ist aber die Sache
nicht abgethan. Es fällt niemandem ein, die Schreckensstrafen der Carolina
oder nur des Laudrcchts wiederherstellen zu wollen. Gegenüber der milde»
Praxis aber, wie sie sich aus der Statistik ergiebt, ist die Frage gestattet, was
eigentlich mit solchen Strafen erzielt werden soll. Sie können weder zur Ab¬
schreckung noch zur Besserung dienen und haben schließlich nur den einen Erfolg,
daß die Anfänger auf der Laufbahn des Verbrechens durch die Gemeinschaftshaft
in den kleinen Gefängnissen für das Verbrechertum reif gemacht werden und sich
nach und nach an die Gefängnishaft gewöhnen, während die fertigen Verbrecher,
die Diebe von Profession, nach Verbüßung der gegen sie erkannten kurzen Strafen
den Krieg gegen das Eigentum ihrer Mitbürger mit ungeschwächtem Mute fort¬
setzen, bis sie, wieder und wieder rückfällig, schließlich das Zuchthaus als eine
Art von Versorgungsanstalt ansehen. Der gemeine Mann schätzt die Schwere
der Verbrechen nach der Strafe, und wenn diese allzu gelinde wird, dann lernt
er auch die Missethat gering anschlagen. So lange die gegenwärtige Strafpraxis
fortbesteht, kann unsre Strafrechtspflege als ein Mittel der Nepresston gegen
das Verbrechertum uicht zur vollen Geltung kommen.


Karl Meisel.


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.
2> Fürstin Eleonore Liechtenstein.

WtzS
D
Hn der Geschichte der Staaten sind es nicht bloß allbekannte, vor
jedermanns Augen sich vollziehende Thatsachen, die ans den Gang
der Politik bestimmenden Einfluß üben; vielleicht vorzugsweise
ziehen sich die eigentlichen tonangebenden Motive in ein geheimnis¬
volles Dunkel zurück, aus dem sie nur der dem innersten Kern
der Dinge nachspürende Fleiß und Scharfsinn späterer Geschlechter wieder hervor¬
zuziehen vermag. Wir wissen nicht, ob dies überall gelungen ist und überhaupt
gelingen kann; bei manchen wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte sind wir
wohl öfters in Verlegenheit, wie wir uns den Zusammenhang von Ursache und
Wirkung zu denken habe». Wir fiihleu deutlich, daß dieses und jenes über¬
lieferte Faktum nicht der letzte Grund einer Handlungsweise gewesen sein kann,
daß das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ein zu ungleiches ist, als
daß wir den von der naiven Anschauungsweise der alten Schriftsteller angege-


Grnizbutt'ii III. 1885. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196613"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1989" prev="#ID_1988"> Humanität und der fortschreitenden Zivilisation annimmt, ist aber die Sache<lb/>
nicht abgethan. Es fällt niemandem ein, die Schreckensstrafen der Carolina<lb/>
oder nur des Laudrcchts wiederherstellen zu wollen. Gegenüber der milde»<lb/>
Praxis aber, wie sie sich aus der Statistik ergiebt, ist die Frage gestattet, was<lb/>
eigentlich mit solchen Strafen erzielt werden soll. Sie können weder zur Ab¬<lb/>
schreckung noch zur Besserung dienen und haben schließlich nur den einen Erfolg,<lb/>
daß die Anfänger auf der Laufbahn des Verbrechens durch die Gemeinschaftshaft<lb/>
in den kleinen Gefängnissen für das Verbrechertum reif gemacht werden und sich<lb/>
nach und nach an die Gefängnishaft gewöhnen, während die fertigen Verbrecher,<lb/>
die Diebe von Profession, nach Verbüßung der gegen sie erkannten kurzen Strafen<lb/>
den Krieg gegen das Eigentum ihrer Mitbürger mit ungeschwächtem Mute fort¬<lb/>
setzen, bis sie, wieder und wieder rückfällig, schließlich das Zuchthaus als eine<lb/>
Art von Versorgungsanstalt ansehen. Der gemeine Mann schätzt die Schwere<lb/>
der Verbrechen nach der Strafe, und wenn diese allzu gelinde wird, dann lernt<lb/>
er auch die Missethat gering anschlagen. So lange die gegenwärtige Strafpraxis<lb/>
fortbesteht, kann unsre Strafrechtspflege als ein Mittel der Nepresston gegen<lb/>
das Verbrechertum uicht zur vollen Geltung kommen.</p><lb/>
          <note type="byline"> Karl Meisel.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1990"> Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.<lb/>
2&gt; Fürstin Eleonore Liechtenstein. </p><lb/>
          <p xml:id="ID_1991" next="#ID_1992"> WtzS<lb/>
D<lb/>
Hn der Geschichte der Staaten sind es nicht bloß allbekannte, vor<lb/>
jedermanns Augen sich vollziehende Thatsachen, die ans den Gang<lb/>
der Politik bestimmenden Einfluß üben; vielleicht vorzugsweise<lb/>
ziehen sich die eigentlichen tonangebenden Motive in ein geheimnis¬<lb/>
volles Dunkel zurück, aus dem sie nur der dem innersten Kern<lb/>
der Dinge nachspürende Fleiß und Scharfsinn späterer Geschlechter wieder hervor¬<lb/>
zuziehen vermag. Wir wissen nicht, ob dies überall gelungen ist und überhaupt<lb/>
gelingen kann; bei manchen wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte sind wir<lb/>
wohl öfters in Verlegenheit, wie wir uns den Zusammenhang von Ursache und<lb/>
Wirkung zu denken habe». Wir fiihleu deutlich, daß dieses und jenes über¬<lb/>
lieferte Faktum nicht der letzte Grund einer Handlungsweise gewesen sein kann,<lb/>
daß das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ein zu ungleiches ist, als<lb/>
daß wir den von der naiven Anschauungsweise der alten Schriftsteller angege-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grnizbutt'ii III. 1885. 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. Humanität und der fortschreitenden Zivilisation annimmt, ist aber die Sache nicht abgethan. Es fällt niemandem ein, die Schreckensstrafen der Carolina oder nur des Laudrcchts wiederherstellen zu wollen. Gegenüber der milde» Praxis aber, wie sie sich aus der Statistik ergiebt, ist die Frage gestattet, was eigentlich mit solchen Strafen erzielt werden soll. Sie können weder zur Ab¬ schreckung noch zur Besserung dienen und haben schließlich nur den einen Erfolg, daß die Anfänger auf der Laufbahn des Verbrechens durch die Gemeinschaftshaft in den kleinen Gefängnissen für das Verbrechertum reif gemacht werden und sich nach und nach an die Gefängnishaft gewöhnen, während die fertigen Verbrecher, die Diebe von Profession, nach Verbüßung der gegen sie erkannten kurzen Strafen den Krieg gegen das Eigentum ihrer Mitbürger mit ungeschwächtem Mute fort¬ setzen, bis sie, wieder und wieder rückfällig, schließlich das Zuchthaus als eine Art von Versorgungsanstalt ansehen. Der gemeine Mann schätzt die Schwere der Verbrechen nach der Strafe, und wenn diese allzu gelinde wird, dann lernt er auch die Missethat gering anschlagen. So lange die gegenwärtige Strafpraxis fortbesteht, kann unsre Strafrechtspflege als ein Mittel der Nepresston gegen das Verbrechertum uicht zur vollen Geltung kommen. Karl Meisel. Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. 2> Fürstin Eleonore Liechtenstein. WtzS D Hn der Geschichte der Staaten sind es nicht bloß allbekannte, vor jedermanns Augen sich vollziehende Thatsachen, die ans den Gang der Politik bestimmenden Einfluß üben; vielleicht vorzugsweise ziehen sich die eigentlichen tonangebenden Motive in ein geheimnis¬ volles Dunkel zurück, aus dem sie nur der dem innersten Kern der Dinge nachspürende Fleiß und Scharfsinn späterer Geschlechter wieder hervor¬ zuziehen vermag. Wir wissen nicht, ob dies überall gelungen ist und überhaupt gelingen kann; bei manchen wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte sind wir wohl öfters in Verlegenheit, wie wir uns den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu denken habe». Wir fiihleu deutlich, daß dieses und jenes über¬ lieferte Faktum nicht der letzte Grund einer Handlungsweise gewesen sein kann, daß das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ein zu ungleiches ist, als daß wir den von der naiven Anschauungsweise der alten Schriftsteller angege- Grnizbutt'ii III. 1885. 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/513>, abgerufen am 01.09.2024.