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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Nordamerikanische Lisenbahnzustände.

Dieselben Erfahrungen macht man in den Vereinigten Staaten, wo übrigens
die Aufsichtsämter noch nicht sehr verbreitet sind -- erst in zweiundzwanzig von
den achtunddreißig Unionsstaaten bestehen sie -- und wo von diesen selbst die Ein¬
setzung einer bundesstaatlichen Aufsichtsbehörde als ein "heroisches, beinahe ver¬
zweifeltes Mittel" gelegentlich bekämpft wird. Ihre Befugnisse sind insbesondre
in den östlichen Staaten nicht weitreichend; sie sollen mehr durch sanfte Über¬
redung und Vermittlung als durch Zwang und Strenge Übelstände zu beseitigen
sich bemühen, und da, wo wie z. B. im Staate Massachusetts wirkliche Erfolge
erzielt worden sind, werden diese als "eine vereinzelte, auf besondern Verhält¬
nissen beruhende Erscheinung" hingestellt. Aber selbst in Massachusetts, das
im ganzen von den verderblichen Auswüchsen der reinen Privatbahnpolitik
verschont geblieben ist, werfen die Berichte der Behörde, wie v. d. Lehen im
einzelnen zeigt, gerade keine günstige Beleuchtung auf die Eisenbahnen, lassen
u. a. die Betriebssicherheit als nicht über alle Zweifel erhaben erscheinen. Und
in Newhork, wo allerdings das Aufsichtsamt erst eine zweijährige Existenz aus¬
weist, trotzdem aber sich sehr anerkennend über das Gesetz, dem es seine Be¬
gründung verdankt, und dessen Folgen äußert, möchte nach den von v. d. Lehen
mitgeteilten Proben der Schluß, daß es mit den Eiseubahuzuständeu wesentlich
besser geworden sei, ein voreiliger sein. Der Wille der Aufsichtsbehörden ist
gut, aber der Widerstand der Bahnen, bald aktiv, bald passiv, läßt nur geringe
Erfolge reifen. So bringt denn die amerikanische Erfahrung einen neuen Beleg
für die UnHaltbarkeit des Vorschlages, mit Aufsichtsbehörden mächtige Aktien¬
gesellschaften zu einem das Publikum mit gehöriger Rücksicht behandelnden Ver¬
fahren anzuhalten. "Bei einfachen, normalen Verhältnissen, sagt v. d. Lehen
(S. 175), kann ein staatliches Aufsichtsamt in kleinen Dingen nützlich wirken.
In dem Wesen der Sache, der großen Aufgabe, die Eisenbahnen zu Dienerinnen
des allgemeinen Verkehrs zu machen, sie anzuhalten zu einer dauernden, wahr¬
haft gemeinnützigen Wirksamkeit, können Aufsichtsbehörden den mächtigen Eisen¬
bahngesellschaften gegenüber so gut wie nichts ausrichten, nicht in England, noch
viel weniger in den Vereinigten Staaten von Amerika."

Nur an einige Punkte in dem reichen Inhalte des interessanten Buches
konnte hier angeknüpft werdeu. Wer noch nicht überzeugt ist von den Seg¬
nungen des Staatsbahuwcsens, der lese bei v. d. Leyen uach, was für Zustände
sich bei der Freiheit des Eisenbahnwesens ausbilden. Da England, Nußland,
Amerika auf diesem Gebiete übereinstimmende Erscheinungen zeigen, möchte man
fast hinzufügen: zu welchen Zuständen naturgemäß die schrankenlose Freiheit
Veranlassung bieten muß.




Nordamerikanische Lisenbahnzustände.

Dieselben Erfahrungen macht man in den Vereinigten Staaten, wo übrigens
die Aufsichtsämter noch nicht sehr verbreitet sind — erst in zweiundzwanzig von
den achtunddreißig Unionsstaaten bestehen sie — und wo von diesen selbst die Ein¬
setzung einer bundesstaatlichen Aufsichtsbehörde als ein „heroisches, beinahe ver¬
zweifeltes Mittel" gelegentlich bekämpft wird. Ihre Befugnisse sind insbesondre
in den östlichen Staaten nicht weitreichend; sie sollen mehr durch sanfte Über¬
redung und Vermittlung als durch Zwang und Strenge Übelstände zu beseitigen
sich bemühen, und da, wo wie z. B. im Staate Massachusetts wirkliche Erfolge
erzielt worden sind, werden diese als „eine vereinzelte, auf besondern Verhält¬
nissen beruhende Erscheinung" hingestellt. Aber selbst in Massachusetts, das
im ganzen von den verderblichen Auswüchsen der reinen Privatbahnpolitik
verschont geblieben ist, werfen die Berichte der Behörde, wie v. d. Lehen im
einzelnen zeigt, gerade keine günstige Beleuchtung auf die Eisenbahnen, lassen
u. a. die Betriebssicherheit als nicht über alle Zweifel erhaben erscheinen. Und
in Newhork, wo allerdings das Aufsichtsamt erst eine zweijährige Existenz aus¬
weist, trotzdem aber sich sehr anerkennend über das Gesetz, dem es seine Be¬
gründung verdankt, und dessen Folgen äußert, möchte nach den von v. d. Lehen
mitgeteilten Proben der Schluß, daß es mit den Eiseubahuzuständeu wesentlich
besser geworden sei, ein voreiliger sein. Der Wille der Aufsichtsbehörden ist
gut, aber der Widerstand der Bahnen, bald aktiv, bald passiv, läßt nur geringe
Erfolge reifen. So bringt denn die amerikanische Erfahrung einen neuen Beleg
für die UnHaltbarkeit des Vorschlages, mit Aufsichtsbehörden mächtige Aktien¬
gesellschaften zu einem das Publikum mit gehöriger Rücksicht behandelnden Ver¬
fahren anzuhalten. „Bei einfachen, normalen Verhältnissen, sagt v. d. Lehen
(S. 175), kann ein staatliches Aufsichtsamt in kleinen Dingen nützlich wirken.
In dem Wesen der Sache, der großen Aufgabe, die Eisenbahnen zu Dienerinnen
des allgemeinen Verkehrs zu machen, sie anzuhalten zu einer dauernden, wahr¬
haft gemeinnützigen Wirksamkeit, können Aufsichtsbehörden den mächtigen Eisen¬
bahngesellschaften gegenüber so gut wie nichts ausrichten, nicht in England, noch
viel weniger in den Vereinigten Staaten von Amerika."

Nur an einige Punkte in dem reichen Inhalte des interessanten Buches
konnte hier angeknüpft werdeu. Wer noch nicht überzeugt ist von den Seg¬
nungen des Staatsbahuwcsens, der lese bei v. d. Leyen uach, was für Zustände
sich bei der Freiheit des Eisenbahnwesens ausbilden. Da England, Nußland,
Amerika auf diesem Gebiete übereinstimmende Erscheinungen zeigen, möchte man
fast hinzufügen: zu welchen Zuständen naturgemäß die schrankenlose Freiheit
Veranlassung bieten muß.




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[0506] Nordamerikanische Lisenbahnzustände. Dieselben Erfahrungen macht man in den Vereinigten Staaten, wo übrigens die Aufsichtsämter noch nicht sehr verbreitet sind — erst in zweiundzwanzig von den achtunddreißig Unionsstaaten bestehen sie — und wo von diesen selbst die Ein¬ setzung einer bundesstaatlichen Aufsichtsbehörde als ein „heroisches, beinahe ver¬ zweifeltes Mittel" gelegentlich bekämpft wird. Ihre Befugnisse sind insbesondre in den östlichen Staaten nicht weitreichend; sie sollen mehr durch sanfte Über¬ redung und Vermittlung als durch Zwang und Strenge Übelstände zu beseitigen sich bemühen, und da, wo wie z. B. im Staate Massachusetts wirkliche Erfolge erzielt worden sind, werden diese als „eine vereinzelte, auf besondern Verhält¬ nissen beruhende Erscheinung" hingestellt. Aber selbst in Massachusetts, das im ganzen von den verderblichen Auswüchsen der reinen Privatbahnpolitik verschont geblieben ist, werfen die Berichte der Behörde, wie v. d. Lehen im einzelnen zeigt, gerade keine günstige Beleuchtung auf die Eisenbahnen, lassen u. a. die Betriebssicherheit als nicht über alle Zweifel erhaben erscheinen. Und in Newhork, wo allerdings das Aufsichtsamt erst eine zweijährige Existenz aus¬ weist, trotzdem aber sich sehr anerkennend über das Gesetz, dem es seine Be¬ gründung verdankt, und dessen Folgen äußert, möchte nach den von v. d. Lehen mitgeteilten Proben der Schluß, daß es mit den Eiseubahuzuständeu wesentlich besser geworden sei, ein voreiliger sein. Der Wille der Aufsichtsbehörden ist gut, aber der Widerstand der Bahnen, bald aktiv, bald passiv, läßt nur geringe Erfolge reifen. So bringt denn die amerikanische Erfahrung einen neuen Beleg für die UnHaltbarkeit des Vorschlages, mit Aufsichtsbehörden mächtige Aktien¬ gesellschaften zu einem das Publikum mit gehöriger Rücksicht behandelnden Ver¬ fahren anzuhalten. „Bei einfachen, normalen Verhältnissen, sagt v. d. Lehen (S. 175), kann ein staatliches Aufsichtsamt in kleinen Dingen nützlich wirken. In dem Wesen der Sache, der großen Aufgabe, die Eisenbahnen zu Dienerinnen des allgemeinen Verkehrs zu machen, sie anzuhalten zu einer dauernden, wahr¬ haft gemeinnützigen Wirksamkeit, können Aufsichtsbehörden den mächtigen Eisen¬ bahngesellschaften gegenüber so gut wie nichts ausrichten, nicht in England, noch viel weniger in den Vereinigten Staaten von Amerika." Nur an einige Punkte in dem reichen Inhalte des interessanten Buches konnte hier angeknüpft werdeu. Wer noch nicht überzeugt ist von den Seg¬ nungen des Staatsbahuwcsens, der lese bei v. d. Leyen uach, was für Zustände sich bei der Freiheit des Eisenbahnwesens ausbilden. Da England, Nußland, Amerika auf diesem Gebiete übereinstimmende Erscheinungen zeigen, möchte man fast hinzufügen: zu welchen Zuständen naturgemäß die schrankenlose Freiheit Veranlassung bieten muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/506>, abgerufen am 25.11.2024.