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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Nordamerikanische Lisenbahnzustände.

lich eingezahlt, d.h. 25)000 Dollars, mit gleichzeitig wurde eine Anleihe in der
Höhe des Bankapitals gemacht. Jeder Zeichner einer Obligation bekam die
gleiche Summe in Aktien umsonst, und das gesamte Aktienkapital oder we¬
nigstens ein großer Teil desselben hatte auf diese Weise nur fiktiven Wert.
Auch Geschenke in Aktien vonseiten der Griinder an Gemeinden, Korporationen
und Behörden, welche ihnen nützlich gewesen waren oder es voraussichtlich sein
konnten, kamen vor. Unter solchen Umständen rechnete natürlich niemand auf
eine Dividende der Stammaktien, und die Verwaltung der Bahn war froh, wenn
der Ertrag soviel abwarf, daß die Zinsen der Obligationen -- sechs bis sieben
Prozent -- bestritten werden konnten. Die Aktien aber, die den ersten Aktio¬
nären so gut wie nichts gekostet hatten, wurden ans den Markt gebracht und
fanden bei gehöriger Anwendung der Reklametrommel auch Absatz. Das ging,
sofern die Bahn sich einigermaßen rentirte, ganz gut. Wurden dagegen die
Zeiten schlecht, sanken die Erträge, fing die Zinszahlung für die Obligationen
an, Schwierigkeiten zu bereiten, so krachte das ganze Kartenhaus zusammen, und
die Aktien verschwanden für immer oder mußten wenigstens für einige Zeit von?
Schauplätze abtreten, v. d. Lehen giebt an, daß von 2093 Millionen Dollars,
um welche in den Jahren 1881 bis 1.883 das Anlagekapital dem Nennwerte
nach vermehrt worden ist, nicht weniger als 1200 Millionen Dollars derartig
fingirte Werte darstellten.

Dieser Gründungsschwindel, zusammengehalten mit dem unheilvollen Ein¬
flüsse, den ein kleiner Teil der Aktionäre oft auf die Verwaltung zu gewinnen
weiß, hat das absolute selbstherrliche Eiseubahuköuigtum geschaffen, das den
Vereinigten Staaten eigentümlich ist. Bei den Generalversammlungen gewährt
eine Aktie auch eine Stimme. Es giebt ferner völlige Freiheit in der Stell¬
vertretung, und diejenige Partei oder Person, welche eine Aktie mehr als die
Hälfte aller vorhandnen besitzt, hat meist die gesamte Verwaltung in ihrer
Hand. Ohne jedes Bedeuten wird dies dann ausgenutzt, die Partei wählt ihre
Mitglieder in den Verwaltungsrat, stellt die ihr ergebner Personen als Be¬
amte an und leitet das Unternehmen so, wie es ihr gerade paßt. So ist es zu
erklären, daß einzelne reich begüterte und mächtige Persönlichkeiten immer höher
und höher gestiegen sind, daß schließlich ihrem Szepter sich alles beugt. Zwei
der mächtigsten solcher Eiscnbcchnkönigc sind im Osten William Vanderbilt, der
Besitzer der New-Aork Central- und Hudson--River-Eisenbahn, und im Westen
Jny Gould, der Hanpteigentümer des Systems der ältern pazifischen Bahnen,
gleichzeitig auch der Beherrscher der größten Telegraphengesellschaft. Man stelle
sich vor, daß der letztgenannte mit einigen Genossen Gebieter über sieben ver-
schiedne Eisenbahnunternehmungen mit zusammen 32800 Kilometern ist, daß er
auch an den Eisenbahnen in Mexiko stark beteiligt ist und viele der in den öst¬
lichen Staaten gelegnen Eisenbahnen, beispielsweise die Newhorker Hochbahnen,
mit verwaltet!


Nordamerikanische Lisenbahnzustände.

lich eingezahlt, d.h. 25)000 Dollars, mit gleichzeitig wurde eine Anleihe in der
Höhe des Bankapitals gemacht. Jeder Zeichner einer Obligation bekam die
gleiche Summe in Aktien umsonst, und das gesamte Aktienkapital oder we¬
nigstens ein großer Teil desselben hatte auf diese Weise nur fiktiven Wert.
Auch Geschenke in Aktien vonseiten der Griinder an Gemeinden, Korporationen
und Behörden, welche ihnen nützlich gewesen waren oder es voraussichtlich sein
konnten, kamen vor. Unter solchen Umständen rechnete natürlich niemand auf
eine Dividende der Stammaktien, und die Verwaltung der Bahn war froh, wenn
der Ertrag soviel abwarf, daß die Zinsen der Obligationen — sechs bis sieben
Prozent — bestritten werden konnten. Die Aktien aber, die den ersten Aktio¬
nären so gut wie nichts gekostet hatten, wurden ans den Markt gebracht und
fanden bei gehöriger Anwendung der Reklametrommel auch Absatz. Das ging,
sofern die Bahn sich einigermaßen rentirte, ganz gut. Wurden dagegen die
Zeiten schlecht, sanken die Erträge, fing die Zinszahlung für die Obligationen
an, Schwierigkeiten zu bereiten, so krachte das ganze Kartenhaus zusammen, und
die Aktien verschwanden für immer oder mußten wenigstens für einige Zeit von?
Schauplätze abtreten, v. d. Lehen giebt an, daß von 2093 Millionen Dollars,
um welche in den Jahren 1881 bis 1.883 das Anlagekapital dem Nennwerte
nach vermehrt worden ist, nicht weniger als 1200 Millionen Dollars derartig
fingirte Werte darstellten.

Dieser Gründungsschwindel, zusammengehalten mit dem unheilvollen Ein¬
flüsse, den ein kleiner Teil der Aktionäre oft auf die Verwaltung zu gewinnen
weiß, hat das absolute selbstherrliche Eiseubahuköuigtum geschaffen, das den
Vereinigten Staaten eigentümlich ist. Bei den Generalversammlungen gewährt
eine Aktie auch eine Stimme. Es giebt ferner völlige Freiheit in der Stell¬
vertretung, und diejenige Partei oder Person, welche eine Aktie mehr als die
Hälfte aller vorhandnen besitzt, hat meist die gesamte Verwaltung in ihrer
Hand. Ohne jedes Bedeuten wird dies dann ausgenutzt, die Partei wählt ihre
Mitglieder in den Verwaltungsrat, stellt die ihr ergebner Personen als Be¬
amte an und leitet das Unternehmen so, wie es ihr gerade paßt. So ist es zu
erklären, daß einzelne reich begüterte und mächtige Persönlichkeiten immer höher
und höher gestiegen sind, daß schließlich ihrem Szepter sich alles beugt. Zwei
der mächtigsten solcher Eiscnbcchnkönigc sind im Osten William Vanderbilt, der
Besitzer der New-Aork Central- und Hudson--River-Eisenbahn, und im Westen
Jny Gould, der Hanpteigentümer des Systems der ältern pazifischen Bahnen,
gleichzeitig auch der Beherrscher der größten Telegraphengesellschaft. Man stelle
sich vor, daß der letztgenannte mit einigen Genossen Gebieter über sieben ver-
schiedne Eisenbahnunternehmungen mit zusammen 32800 Kilometern ist, daß er
auch an den Eisenbahnen in Mexiko stark beteiligt ist und viele der in den öst¬
lichen Staaten gelegnen Eisenbahnen, beispielsweise die Newhorker Hochbahnen,
mit verwaltet!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/503>, abgerufen am 25.11.2024.