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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

Wie könnte sie! war Floridas Antwort gewesen, und sie hatte hinzugefügt:
Ich sehne mich nach ihrer Stille. Wo giebt es heute eine andre Freistatt?

Dann gehe zu den Schwestern des heiligen Augustin, hatte der Greis sich
weiter vernehmen lassen, und von einer Anwandlung seines alten Ehrgeizes
überkommen, hatte er an den welken Fingern zusammengerechnet, wie viele
Äbtissinnen aus dem Vnonacolsi-Geschlechte im Laufe der Zeit hervorgegangen
seien; zwei, sagte er, bildeten den Glanz und die Ehre des Klosters zur heiligen
Klara in Guastalla; die dritte verhalf dem hiesigen Kloster des heiligen Augustin
zu hohem Ansehen und großen Schenkungen. Auch ich -- so ungefähr hatten
sich seine Worte ihrem Gedächtnis eingeprägt --, auch ich habe in meinem
Testament für dieses Kloster gesorgt. Mau wird dich dort, dessen bin ich gewiß,
bei der nächsten Vakanz nicht übergehen. Von jeher haben die unverehelicht
gebliebenen Töchter fürstlicher Häuser hohe geistliche Posten bekleidet. Ich sterbe
beruhigt, uun ich dich auf dem Wege weiß, unserm edeln Geschlechte wie bisher,
so auch bis zu deinem letzten Atemzüge den ihm gebührenden Rang zu bewahren.

Mit Wehmut versenkte sich die Nonne in die Erinnerung der Gefühle,
welche, gemischt aus Schmerz und Freude, beim Hören jener Worte ihre Brust
bewegt hatten. Wie bisher! Keine Bitterkeit war also in seinem Herzen geblieben.

Aber Pater Vigilio, welcher zugegen gewesen war, hatte zu dem Erkaufen
und Erstreben hoher geistlicher Würden den Kopf geschüttelt, und ehe sie es
hatte verhindern können, war dem für die letzte Wanderschaft sich Bereitenden
von ihm mit vorwurfsvollen Worten zu Gemüt geführt wordeu, er solle am
Rande des Grabes seinem Hochmute Valet geben. Was sind irdische Rang-
unterschiede, was sind Krone und Zepter, was sind Pallium und Inful, was
sind Stab und Ring angesichts der Majestät des Ewigen! so hatte der um das
Seelenheil seines alten Freundes besorgte Pater gemahnt; gedenke der Worte
unsers Erlösers, Marcello, hatte er gesagt, denn wie willst du ihm gegenüber
bestehen, wenn du auch noch im Verscheiden nicht von deinem Dünkel der
Herrschervornehmheit zu lassen vermagst? -- Und taub für Floridas Bitten
hatte er weiter gemahnt: Der Größte unter euch soll euer Diener sein, so
lehrt die heilige Schrift. Und ferner: Einer nur ist euer Meister, Christus;
ihr aber seid alle Brüder. Demütige dich, Marcello, und hast du das in
deinem Herzen gethan, so wirf auch noch den letzten Groll aus ihm hinaus --
ich weiß, du meinest eiuen solchen Groll, den Groll gegen unser Herrscherhaus,
versteckt hinüberschmuggeln zu können, wie der Pascher zuunterst in seinem Sacke
mit ehrlich versteuerter Waare ein verbotenes Gut den Augen des Thorwächters
verbirgt. Aber der heilige Petrus hat schärfere Augen, Marcello, als ein
simpler Thorwächter, und er wird dich mit deinem Bündel ein paar hundert
Jührchen auf Wanderschaft schicken wie den Ahasverus, den ewigen Juden, und
unter der Last des einen Grolls wirst du noch hundert und aberhundert male
zusammenbrechen.


Um eine Perle.

Wie könnte sie! war Floridas Antwort gewesen, und sie hatte hinzugefügt:
Ich sehne mich nach ihrer Stille. Wo giebt es heute eine andre Freistatt?

Dann gehe zu den Schwestern des heiligen Augustin, hatte der Greis sich
weiter vernehmen lassen, und von einer Anwandlung seines alten Ehrgeizes
überkommen, hatte er an den welken Fingern zusammengerechnet, wie viele
Äbtissinnen aus dem Vnonacolsi-Geschlechte im Laufe der Zeit hervorgegangen
seien; zwei, sagte er, bildeten den Glanz und die Ehre des Klosters zur heiligen
Klara in Guastalla; die dritte verhalf dem hiesigen Kloster des heiligen Augustin
zu hohem Ansehen und großen Schenkungen. Auch ich — so ungefähr hatten
sich seine Worte ihrem Gedächtnis eingeprägt —, auch ich habe in meinem
Testament für dieses Kloster gesorgt. Mau wird dich dort, dessen bin ich gewiß,
bei der nächsten Vakanz nicht übergehen. Von jeher haben die unverehelicht
gebliebenen Töchter fürstlicher Häuser hohe geistliche Posten bekleidet. Ich sterbe
beruhigt, uun ich dich auf dem Wege weiß, unserm edeln Geschlechte wie bisher,
so auch bis zu deinem letzten Atemzüge den ihm gebührenden Rang zu bewahren.

Mit Wehmut versenkte sich die Nonne in die Erinnerung der Gefühle,
welche, gemischt aus Schmerz und Freude, beim Hören jener Worte ihre Brust
bewegt hatten. Wie bisher! Keine Bitterkeit war also in seinem Herzen geblieben.

Aber Pater Vigilio, welcher zugegen gewesen war, hatte zu dem Erkaufen
und Erstreben hoher geistlicher Würden den Kopf geschüttelt, und ehe sie es
hatte verhindern können, war dem für die letzte Wanderschaft sich Bereitenden
von ihm mit vorwurfsvollen Worten zu Gemüt geführt wordeu, er solle am
Rande des Grabes seinem Hochmute Valet geben. Was sind irdische Rang-
unterschiede, was sind Krone und Zepter, was sind Pallium und Inful, was
sind Stab und Ring angesichts der Majestät des Ewigen! so hatte der um das
Seelenheil seines alten Freundes besorgte Pater gemahnt; gedenke der Worte
unsers Erlösers, Marcello, hatte er gesagt, denn wie willst du ihm gegenüber
bestehen, wenn du auch noch im Verscheiden nicht von deinem Dünkel der
Herrschervornehmheit zu lassen vermagst? — Und taub für Floridas Bitten
hatte er weiter gemahnt: Der Größte unter euch soll euer Diener sein, so
lehrt die heilige Schrift. Und ferner: Einer nur ist euer Meister, Christus;
ihr aber seid alle Brüder. Demütige dich, Marcello, und hast du das in
deinem Herzen gethan, so wirf auch noch den letzten Groll aus ihm hinaus —
ich weiß, du meinest eiuen solchen Groll, den Groll gegen unser Herrscherhaus,
versteckt hinüberschmuggeln zu können, wie der Pascher zuunterst in seinem Sacke
mit ehrlich versteuerter Waare ein verbotenes Gut den Augen des Thorwächters
verbirgt. Aber der heilige Petrus hat schärfere Augen, Marcello, als ein
simpler Thorwächter, und er wird dich mit deinem Bündel ein paar hundert
Jührchen auf Wanderschaft schicken wie den Ahasverus, den ewigen Juden, und
unter der Last des einen Grolls wirst du noch hundert und aberhundert male
zusammenbrechen.


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[0431] Um eine Perle. Wie könnte sie! war Floridas Antwort gewesen, und sie hatte hinzugefügt: Ich sehne mich nach ihrer Stille. Wo giebt es heute eine andre Freistatt? Dann gehe zu den Schwestern des heiligen Augustin, hatte der Greis sich weiter vernehmen lassen, und von einer Anwandlung seines alten Ehrgeizes überkommen, hatte er an den welken Fingern zusammengerechnet, wie viele Äbtissinnen aus dem Vnonacolsi-Geschlechte im Laufe der Zeit hervorgegangen seien; zwei, sagte er, bildeten den Glanz und die Ehre des Klosters zur heiligen Klara in Guastalla; die dritte verhalf dem hiesigen Kloster des heiligen Augustin zu hohem Ansehen und großen Schenkungen. Auch ich — so ungefähr hatten sich seine Worte ihrem Gedächtnis eingeprägt —, auch ich habe in meinem Testament für dieses Kloster gesorgt. Mau wird dich dort, dessen bin ich gewiß, bei der nächsten Vakanz nicht übergehen. Von jeher haben die unverehelicht gebliebenen Töchter fürstlicher Häuser hohe geistliche Posten bekleidet. Ich sterbe beruhigt, uun ich dich auf dem Wege weiß, unserm edeln Geschlechte wie bisher, so auch bis zu deinem letzten Atemzüge den ihm gebührenden Rang zu bewahren. Mit Wehmut versenkte sich die Nonne in die Erinnerung der Gefühle, welche, gemischt aus Schmerz und Freude, beim Hören jener Worte ihre Brust bewegt hatten. Wie bisher! Keine Bitterkeit war also in seinem Herzen geblieben. Aber Pater Vigilio, welcher zugegen gewesen war, hatte zu dem Erkaufen und Erstreben hoher geistlicher Würden den Kopf geschüttelt, und ehe sie es hatte verhindern können, war dem für die letzte Wanderschaft sich Bereitenden von ihm mit vorwurfsvollen Worten zu Gemüt geführt wordeu, er solle am Rande des Grabes seinem Hochmute Valet geben. Was sind irdische Rang- unterschiede, was sind Krone und Zepter, was sind Pallium und Inful, was sind Stab und Ring angesichts der Majestät des Ewigen! so hatte der um das Seelenheil seines alten Freundes besorgte Pater gemahnt; gedenke der Worte unsers Erlösers, Marcello, hatte er gesagt, denn wie willst du ihm gegenüber bestehen, wenn du auch noch im Verscheiden nicht von deinem Dünkel der Herrschervornehmheit zu lassen vermagst? — Und taub für Floridas Bitten hatte er weiter gemahnt: Der Größte unter euch soll euer Diener sein, so lehrt die heilige Schrift. Und ferner: Einer nur ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder. Demütige dich, Marcello, und hast du das in deinem Herzen gethan, so wirf auch noch den letzten Groll aus ihm hinaus — ich weiß, du meinest eiuen solchen Groll, den Groll gegen unser Herrscherhaus, versteckt hinüberschmuggeln zu können, wie der Pascher zuunterst in seinem Sacke mit ehrlich versteuerter Waare ein verbotenes Gut den Augen des Thorwächters verbirgt. Aber der heilige Petrus hat schärfere Augen, Marcello, als ein simpler Thorwächter, und er wird dich mit deinem Bündel ein paar hundert Jührchen auf Wanderschaft schicken wie den Ahasverus, den ewigen Juden, und unter der Last des einen Grolls wirst du noch hundert und aberhundert male zusammenbrechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/431>, abgerufen am 22.11.2024.