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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

Eine von der Pest genehme Nonne, welche in dem großen, am Mineio
gelegenen, von immergrünen Eichen beschatteten Garten des Mcmtnaner Klosters
der Angustincrinnen sich heute im Friihlichte eines milden Märztages erging,
war nicht in solchem Grade entmutigt und fragte nicht so, wie ernst sich
auch ihre geschwungenen dunkeln Augenbrauen wölbten. Sie stützte sich auf den
Arm einer robusten Halbnonne, die jedoch nicht zu dem Kloster des heiligen
Augustin gehörte, einer jener kougregirten Ursulinerinnen, welche kein Gelübde
ablegen lind anch in der Welt verkehren, sich aber der Armen- und Kranken¬
pflege widmen und in dieser Eigenschaft auch wie Nonnen gekleidet gehen. Die
von der gesnndheitsirvtzendcn Pflegerin geführte war, so schien es, noch schwach,
und die kleinen goldblonden Löckchen, welche hie und da unter dem schwarzen
Vortuch und der weißen Stirnbinde der Nonne hervorguckten und sich im
Morgenwinde kräuselten, zeugten von der langen Dauer des endlich von ihr
überstandenen Krankenlagers, denn nur wühvend eine Nonne zu den noch nicht
völlig Hergestellten zählte, wurde ihr Haupt von der Scheermeisterin verschont.

Als die Ursulinerin, der es uicht an Unterhaltungsgabe fehlte, an den
spärlicher werdenden Antworten der Nonne bemerkte, daß es nnn wohl des
Redens zu viel werden könne, beurlaubte sie sich, um im Kloster sich über den
Stand einer Verhandlung zu unterrichten, deren Ausgnng der Gegenstand ihrer
redseligen Auslassungen gewesen war; und so blieb die Nonne allein.

Die Krankheit hatte sie weniger entkräftet, als es scheinen konnte, so lange
die Nonne von der ländlich-rotbäckiger Ursnlinerin geführt wurde. Ihre blauen,
fast schwarzbewimperten Augen glänzten im dankbaren Erfassen des lenzfreund-
lichen Bildes um sie her, ihre Haltung war nicht gebeugt, sie hatte fast etwas
so Stattliches, wie einst ihrer schönen Urahne, der Veltlinerin, nachgerühmt
worden war, und nur hin und wieder verriet etwas in ihren Bewegungen die
Nachwehen der Krankheit, vielleicht auch die Wucht der zwei Jahrzehnte, welche
die Nonne von der frohen Zeit der Jugend trennten.

Von diesen zwei Jahrzehnten hatte sie das erste noch an der Seite ihres
Vaters verleben dürfen, und heute, wo sein Sterbetag zum zehutenmale wieder¬
kehrte, prüfte sie noch ernster, als sie es schon oft gethan hatte, ihr Gewissen auf
die Frage hin: wieviel sie ihm gewesen war und wieviel sie ihm hätte sein sollen?

Mit Deutlichkeit traten die Stunden, die seinem Scheiden vorangegangen
waren, ihr wieder vor die Seele.

Was wirst du thun, mein armes Kind? so hatte er mit schon schwächer
werdendem Atem gefragt.

Und ihre Antwort war gewesen:

Befehlt, mein Vater.

Widerstrebt dir die Klausur? hatte er dann weiter gefragt, zum erstenmale,
denn seit langem hatte er Gespräche gemieden, welche den Fall seines Todes
berührten.


Um eine Perle.

Eine von der Pest genehme Nonne, welche in dem großen, am Mineio
gelegenen, von immergrünen Eichen beschatteten Garten des Mcmtnaner Klosters
der Angustincrinnen sich heute im Friihlichte eines milden Märztages erging,
war nicht in solchem Grade entmutigt und fragte nicht so, wie ernst sich
auch ihre geschwungenen dunkeln Augenbrauen wölbten. Sie stützte sich auf den
Arm einer robusten Halbnonne, die jedoch nicht zu dem Kloster des heiligen
Augustin gehörte, einer jener kougregirten Ursulinerinnen, welche kein Gelübde
ablegen lind anch in der Welt verkehren, sich aber der Armen- und Kranken¬
pflege widmen und in dieser Eigenschaft auch wie Nonnen gekleidet gehen. Die
von der gesnndheitsirvtzendcn Pflegerin geführte war, so schien es, noch schwach,
und die kleinen goldblonden Löckchen, welche hie und da unter dem schwarzen
Vortuch und der weißen Stirnbinde der Nonne hervorguckten und sich im
Morgenwinde kräuselten, zeugten von der langen Dauer des endlich von ihr
überstandenen Krankenlagers, denn nur wühvend eine Nonne zu den noch nicht
völlig Hergestellten zählte, wurde ihr Haupt von der Scheermeisterin verschont.

Als die Ursulinerin, der es uicht an Unterhaltungsgabe fehlte, an den
spärlicher werdenden Antworten der Nonne bemerkte, daß es nnn wohl des
Redens zu viel werden könne, beurlaubte sie sich, um im Kloster sich über den
Stand einer Verhandlung zu unterrichten, deren Ausgnng der Gegenstand ihrer
redseligen Auslassungen gewesen war; und so blieb die Nonne allein.

Die Krankheit hatte sie weniger entkräftet, als es scheinen konnte, so lange
die Nonne von der ländlich-rotbäckiger Ursnlinerin geführt wurde. Ihre blauen,
fast schwarzbewimperten Augen glänzten im dankbaren Erfassen des lenzfreund-
lichen Bildes um sie her, ihre Haltung war nicht gebeugt, sie hatte fast etwas
so Stattliches, wie einst ihrer schönen Urahne, der Veltlinerin, nachgerühmt
worden war, und nur hin und wieder verriet etwas in ihren Bewegungen die
Nachwehen der Krankheit, vielleicht auch die Wucht der zwei Jahrzehnte, welche
die Nonne von der frohen Zeit der Jugend trennten.

Von diesen zwei Jahrzehnten hatte sie das erste noch an der Seite ihres
Vaters verleben dürfen, und heute, wo sein Sterbetag zum zehutenmale wieder¬
kehrte, prüfte sie noch ernster, als sie es schon oft gethan hatte, ihr Gewissen auf
die Frage hin: wieviel sie ihm gewesen war und wieviel sie ihm hätte sein sollen?

Mit Deutlichkeit traten die Stunden, die seinem Scheiden vorangegangen
waren, ihr wieder vor die Seele.

Was wirst du thun, mein armes Kind? so hatte er mit schon schwächer
werdendem Atem gefragt.

Und ihre Antwort war gewesen:

Befehlt, mein Vater.

Widerstrebt dir die Klausur? hatte er dann weiter gefragt, zum erstenmale,
denn seit langem hatte er Gespräche gemieden, welche den Fall seines Todes
berührten.


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[0430] Um eine Perle. Eine von der Pest genehme Nonne, welche in dem großen, am Mineio gelegenen, von immergrünen Eichen beschatteten Garten des Mcmtnaner Klosters der Angustincrinnen sich heute im Friihlichte eines milden Märztages erging, war nicht in solchem Grade entmutigt und fragte nicht so, wie ernst sich auch ihre geschwungenen dunkeln Augenbrauen wölbten. Sie stützte sich auf den Arm einer robusten Halbnonne, die jedoch nicht zu dem Kloster des heiligen Augustin gehörte, einer jener kougregirten Ursulinerinnen, welche kein Gelübde ablegen lind anch in der Welt verkehren, sich aber der Armen- und Kranken¬ pflege widmen und in dieser Eigenschaft auch wie Nonnen gekleidet gehen. Die von der gesnndheitsirvtzendcn Pflegerin geführte war, so schien es, noch schwach, und die kleinen goldblonden Löckchen, welche hie und da unter dem schwarzen Vortuch und der weißen Stirnbinde der Nonne hervorguckten und sich im Morgenwinde kräuselten, zeugten von der langen Dauer des endlich von ihr überstandenen Krankenlagers, denn nur wühvend eine Nonne zu den noch nicht völlig Hergestellten zählte, wurde ihr Haupt von der Scheermeisterin verschont. Als die Ursulinerin, der es uicht an Unterhaltungsgabe fehlte, an den spärlicher werdenden Antworten der Nonne bemerkte, daß es nnn wohl des Redens zu viel werden könne, beurlaubte sie sich, um im Kloster sich über den Stand einer Verhandlung zu unterrichten, deren Ausgnng der Gegenstand ihrer redseligen Auslassungen gewesen war; und so blieb die Nonne allein. Die Krankheit hatte sie weniger entkräftet, als es scheinen konnte, so lange die Nonne von der ländlich-rotbäckiger Ursnlinerin geführt wurde. Ihre blauen, fast schwarzbewimperten Augen glänzten im dankbaren Erfassen des lenzfreund- lichen Bildes um sie her, ihre Haltung war nicht gebeugt, sie hatte fast etwas so Stattliches, wie einst ihrer schönen Urahne, der Veltlinerin, nachgerühmt worden war, und nur hin und wieder verriet etwas in ihren Bewegungen die Nachwehen der Krankheit, vielleicht auch die Wucht der zwei Jahrzehnte, welche die Nonne von der frohen Zeit der Jugend trennten. Von diesen zwei Jahrzehnten hatte sie das erste noch an der Seite ihres Vaters verleben dürfen, und heute, wo sein Sterbetag zum zehutenmale wieder¬ kehrte, prüfte sie noch ernster, als sie es schon oft gethan hatte, ihr Gewissen auf die Frage hin: wieviel sie ihm gewesen war und wieviel sie ihm hätte sein sollen? Mit Deutlichkeit traten die Stunden, die seinem Scheiden vorangegangen waren, ihr wieder vor die Seele. Was wirst du thun, mein armes Kind? so hatte er mit schon schwächer werdendem Atem gefragt. Und ihre Antwort war gewesen: Befehlt, mein Vater. Widerstrebt dir die Klausur? hatte er dann weiter gefragt, zum erstenmale, denn seit langem hatte er Gespräche gemieden, welche den Fall seines Todes berührten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/430>, abgerufen am 01.09.2024.