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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Brauch und INischrauch,

Aber litt" beginnt der Sport, die Mnttie, das "Fexentum." Nicht NIN
jene Fülle von Genüssen ist es heutzutage Unzähligen zu thun. Nicht um sich
um der Aussicht zu erfreuen, klettern sie empor, sondern nur um zu klettern, und
das nicht zur Stählung der Muskeln und Nerven, sondern -- des Ruhmes
halber. Das Wagnis ist der Kern der Sache. Mit Verachtung blicken sie auf
die Philister herab, die den Gipfel auf gebahnten oder doch gefahrlosen Wegen
erreichen Wollen: das hat keinen Reiz für den professionellen Bergsteiger. Ein
Punkt muß erklommen werden, den noch keines Menschen Fuß betreten hat,
oder zu dem doch wenigstens noch nie jemand auf diesem Wege gekommen ist.
Hat aber schon einer den Ruhm vorweggenommen, unter steter Lebensgefahr
an der steilen Wand aufgestiegen zu sein, so muß der zweite das Kunststück in
kürzerer Zeit vollbringen. Ein Führer? Lächerlich, den braucht der Sonntags¬
tourist; der Bergsteiger von echtem Schrot und Korn würde sich schämen, die
Gefahr seines Unternehmens irgendwie zu verringern. Wer aber reiht sich gern
in die Schaar der Dilettanten ein? So wächst denn von Jahr zu Jahr die
Zahl der Mitglieder der Touristenvereine, deren Mitgliedskarte wohlfeilere
Fahrt auf den Eisenbahnen verschafft, aber leider nicht die Kurzsichtigkeit heilt,
kräftige Muskeln und Bänder, Besonnenheit und Geistesgegenwart verleiht.

Und ist das Wagnis mißlungen, ist der Kletterer ausgeglitten und in den
Abgrund gestürzt, oder hat er, vom Nebel überrascht, einen uoch furchtbareren
Tod auf einem Eisfelde gefunden, oder hat er als einzige Ausbeute die Lungen¬
schwindsucht mit nach Hause gebracht, dann bringen Touristen-Zeitschriften und
Tagesblätter schwungvolle Nachrufe ans den Heldenmütigen, welcher sein junges
Leben der guten Sache zum Opfer gebracht hat.

Der guten Sache? Welcher denn eigentlich? Würde das geglückte Unter¬
nehmen etwa der Wissenschaft irgendeine Frucht geliefert haben? Bei den aller¬
meisten geht das Verständnis für die Dinge, welche da in Frage kommen könnten,
nicht über den ordinären Dilettantismus hinaus, sodaß ihre etwaigen Messungen,
meteorologischen, geologischen u. s. w. Beobachtungen keinerlei Sicherheit ge¬
währen. Um Mut und Ehrgeiz ist es wahrlich eine schöne Sache, aber wenn
sie nicht im Dienste eines vernünftigen Zweckes stehen, giebt man ihnen andre
Namen. Mit Recht ist bemerkt worden, daß Leute, welche ihre Thatkraft und
ihre Beherztheit nur ans Bahnen bewähren können, auf welchen uns andre der
Schwindel ergreifen würde, die nützliche Beschäftigung des Dachdeckers ergreifen
sollten: da könnten sie zwischen Himmel und Erde ans Eisensprvssen ans- und
abspazieren, auf Dachfirsten balanciren und ans einem Turmknopf stehend die
Bewunderung des unten versammelten Volkes erregen; und begegnete ihnen da
ein Unglück, so wären sie wirklich in einem Berufe, für eine gute Sache gestorben
wie der Soldat im Felde.

Aber es ist ein Stück Größenwahn, was so viele junge Männer und --
Damen zu den waghalsigen Unternehmungen treibt, und wie jeder Wahnsinn


Brauch und INischrauch,

Aber litt» beginnt der Sport, die Mnttie, das „Fexentum." Nicht NIN
jene Fülle von Genüssen ist es heutzutage Unzähligen zu thun. Nicht um sich
um der Aussicht zu erfreuen, klettern sie empor, sondern nur um zu klettern, und
das nicht zur Stählung der Muskeln und Nerven, sondern — des Ruhmes
halber. Das Wagnis ist der Kern der Sache. Mit Verachtung blicken sie auf
die Philister herab, die den Gipfel auf gebahnten oder doch gefahrlosen Wegen
erreichen Wollen: das hat keinen Reiz für den professionellen Bergsteiger. Ein
Punkt muß erklommen werden, den noch keines Menschen Fuß betreten hat,
oder zu dem doch wenigstens noch nie jemand auf diesem Wege gekommen ist.
Hat aber schon einer den Ruhm vorweggenommen, unter steter Lebensgefahr
an der steilen Wand aufgestiegen zu sein, so muß der zweite das Kunststück in
kürzerer Zeit vollbringen. Ein Führer? Lächerlich, den braucht der Sonntags¬
tourist; der Bergsteiger von echtem Schrot und Korn würde sich schämen, die
Gefahr seines Unternehmens irgendwie zu verringern. Wer aber reiht sich gern
in die Schaar der Dilettanten ein? So wächst denn von Jahr zu Jahr die
Zahl der Mitglieder der Touristenvereine, deren Mitgliedskarte wohlfeilere
Fahrt auf den Eisenbahnen verschafft, aber leider nicht die Kurzsichtigkeit heilt,
kräftige Muskeln und Bänder, Besonnenheit und Geistesgegenwart verleiht.

Und ist das Wagnis mißlungen, ist der Kletterer ausgeglitten und in den
Abgrund gestürzt, oder hat er, vom Nebel überrascht, einen uoch furchtbareren
Tod auf einem Eisfelde gefunden, oder hat er als einzige Ausbeute die Lungen¬
schwindsucht mit nach Hause gebracht, dann bringen Touristen-Zeitschriften und
Tagesblätter schwungvolle Nachrufe ans den Heldenmütigen, welcher sein junges
Leben der guten Sache zum Opfer gebracht hat.

Der guten Sache? Welcher denn eigentlich? Würde das geglückte Unter¬
nehmen etwa der Wissenschaft irgendeine Frucht geliefert haben? Bei den aller¬
meisten geht das Verständnis für die Dinge, welche da in Frage kommen könnten,
nicht über den ordinären Dilettantismus hinaus, sodaß ihre etwaigen Messungen,
meteorologischen, geologischen u. s. w. Beobachtungen keinerlei Sicherheit ge¬
währen. Um Mut und Ehrgeiz ist es wahrlich eine schöne Sache, aber wenn
sie nicht im Dienste eines vernünftigen Zweckes stehen, giebt man ihnen andre
Namen. Mit Recht ist bemerkt worden, daß Leute, welche ihre Thatkraft und
ihre Beherztheit nur ans Bahnen bewähren können, auf welchen uns andre der
Schwindel ergreifen würde, die nützliche Beschäftigung des Dachdeckers ergreifen
sollten: da könnten sie zwischen Himmel und Erde ans Eisensprvssen ans- und
abspazieren, auf Dachfirsten balanciren und ans einem Turmknopf stehend die
Bewunderung des unten versammelten Volkes erregen; und begegnete ihnen da
ein Unglück, so wären sie wirklich in einem Berufe, für eine gute Sache gestorben
wie der Soldat im Felde.

Aber es ist ein Stück Größenwahn, was so viele junge Männer und —
Damen zu den waghalsigen Unternehmungen treibt, und wie jeder Wahnsinn


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[0422] Brauch und INischrauch, Aber litt» beginnt der Sport, die Mnttie, das „Fexentum." Nicht NIN jene Fülle von Genüssen ist es heutzutage Unzähligen zu thun. Nicht um sich um der Aussicht zu erfreuen, klettern sie empor, sondern nur um zu klettern, und das nicht zur Stählung der Muskeln und Nerven, sondern — des Ruhmes halber. Das Wagnis ist der Kern der Sache. Mit Verachtung blicken sie auf die Philister herab, die den Gipfel auf gebahnten oder doch gefahrlosen Wegen erreichen Wollen: das hat keinen Reiz für den professionellen Bergsteiger. Ein Punkt muß erklommen werden, den noch keines Menschen Fuß betreten hat, oder zu dem doch wenigstens noch nie jemand auf diesem Wege gekommen ist. Hat aber schon einer den Ruhm vorweggenommen, unter steter Lebensgefahr an der steilen Wand aufgestiegen zu sein, so muß der zweite das Kunststück in kürzerer Zeit vollbringen. Ein Führer? Lächerlich, den braucht der Sonntags¬ tourist; der Bergsteiger von echtem Schrot und Korn würde sich schämen, die Gefahr seines Unternehmens irgendwie zu verringern. Wer aber reiht sich gern in die Schaar der Dilettanten ein? So wächst denn von Jahr zu Jahr die Zahl der Mitglieder der Touristenvereine, deren Mitgliedskarte wohlfeilere Fahrt auf den Eisenbahnen verschafft, aber leider nicht die Kurzsichtigkeit heilt, kräftige Muskeln und Bänder, Besonnenheit und Geistesgegenwart verleiht. Und ist das Wagnis mißlungen, ist der Kletterer ausgeglitten und in den Abgrund gestürzt, oder hat er, vom Nebel überrascht, einen uoch furchtbareren Tod auf einem Eisfelde gefunden, oder hat er als einzige Ausbeute die Lungen¬ schwindsucht mit nach Hause gebracht, dann bringen Touristen-Zeitschriften und Tagesblätter schwungvolle Nachrufe ans den Heldenmütigen, welcher sein junges Leben der guten Sache zum Opfer gebracht hat. Der guten Sache? Welcher denn eigentlich? Würde das geglückte Unter¬ nehmen etwa der Wissenschaft irgendeine Frucht geliefert haben? Bei den aller¬ meisten geht das Verständnis für die Dinge, welche da in Frage kommen könnten, nicht über den ordinären Dilettantismus hinaus, sodaß ihre etwaigen Messungen, meteorologischen, geologischen u. s. w. Beobachtungen keinerlei Sicherheit ge¬ währen. Um Mut und Ehrgeiz ist es wahrlich eine schöne Sache, aber wenn sie nicht im Dienste eines vernünftigen Zweckes stehen, giebt man ihnen andre Namen. Mit Recht ist bemerkt worden, daß Leute, welche ihre Thatkraft und ihre Beherztheit nur ans Bahnen bewähren können, auf welchen uns andre der Schwindel ergreifen würde, die nützliche Beschäftigung des Dachdeckers ergreifen sollten: da könnten sie zwischen Himmel und Erde ans Eisensprvssen ans- und abspazieren, auf Dachfirsten balanciren und ans einem Turmknopf stehend die Bewunderung des unten versammelten Volkes erregen; und begegnete ihnen da ein Unglück, so wären sie wirklich in einem Berufe, für eine gute Sache gestorben wie der Soldat im Felde. Aber es ist ein Stück Größenwahn, was so viele junge Männer und — Damen zu den waghalsigen Unternehmungen treibt, und wie jeder Wahnsinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/422>, abgerufen am 28.11.2024.