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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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plattdeutsche Erzähler.

Leuings auf eine Revolution in Krähwinkel erinnert an Hermann Presbcrs
nicht minder witzige Schilderung des "tollen" Jahres in seinen rheinischen No¬
vellen. Aber Presber schrieb nicht im Dialekt, und Leming ruft manchmal die
Empfindung hervor, daß sich sein Standpunkt allzusehr über den erhebt, welchen
der Dialekt gebietet. Und dies ist die große Klippe aller Dialektpoesie: es darf
nie die Grenze ländlichen und rein menschlichen Lebens überschritten werden,
daß sich die Frage aufdrängen müßte, ob denn das Gesagte nicht besser oder
ebensogut in der Sprache der Gebildeten hätte gesagt werden können. Der
bewußte Gegensatz, in den Leming seine ländlichen Bilder zum Stadtleben stellt,
dieser reflektirte Gesichtspunkt, der sich anch in zahlreichen Betrachtungen Aus¬
druck verleiht, ist von vornherein seine Schwäche. So überschreitet er die
Grenzen seiner Dichtungsart, wenn er mit weiten Gesichtspunkten die Unruhen
des Jahres 1848 mit dem nneingelösten Versprechen der Regierungen nach den
Freiheitskriegen in Verbindung bringt, und auch sonst in zahlreichen stilistischen
Wendungen, so z. B. wenn er einmal sagt: "For Schepelmanns Slapstuv harr
der Slapgott dise Nacht van sinen Segen nich wat torügg taten, dafvr was
de Sorge as Gast kamen un harr de olle Lüd treulich Gesellschaft leist't,"
das ist ganz hochdeutsch gedacht. Man kann geradezu sage", Leming hätte seine
"Dree Wiehnachten" ebensogut hochdeutsch schreiben können, so etwa, daß nur
die Reden der Personen im Dialekt gehalten wären, wie es etwa Rvsegger zu
thun Pflegt.

Die Handlung der Dichtung zu skizziren ist nicht leicht, da sie in vielen
Verzweigungen durch eine ganze Generation läuft und nur sprungweise ent¬
wickelt wird. In der Mitte stehen zwei elternlose Geschwister Wilhelm und
Marie Wiese, welche von gutherzigen Bauern aufgenommen und erzogen worden
sind, als sie nach dein Tode der Eltern in der Gcmeinderatssitzung des Dorfes
Motzien gleichsam versteigert wurden. Mariechen wurde vom Bauer Schröder
und seiner tüchtigen Frau genommen, wobei der brave Mann die zwölf Thaler,
welche er jährlich für das Kind von der Gemeinde erhielt, zur einstigen Aus¬
steuer Mariens in die Sparkasse legte; ihr Brüderchen hatte es nicht so gut,
es kam zu einem ärmern kinderreichen Bauern Henning und wurde bis zur
Militärzeit Gänse- und Schweinehirte. Indes starb der Bauer Schröder, seiue
Witwe hat das Unglück, einen rohen Menschen, Pernick, zu heiraten, der sie um
all ihr Vermögen bringen würde, wen" nicht ihr Nachbar Schepelmann zu rechter
Zeit sich von ihr alles Baare hätte übergeben lassen. Die Kinder beider Familien
wachsen heran, und es entstehen allerlei Liebesgeschichten, unter ihnen die hübscheste
die zwischen Wilhelm Wiese, dem Kinde aus dem Armenhause, und der Tochter
Luise vom reichen Bauern Schepelmann. Nachdem Wilhelm mit glänzenden
Zeugnissen den Militärdienst verlassen hat, wird er Großknecht bei Schepelmann.
In der Jugend ein loser Vogel, überrascht er alle durch seine ausgezeichnete
Dienstleistung. Luise verliebt sich in den Knecht des Vaters, und jener nicht


plattdeutsche Erzähler.

Leuings auf eine Revolution in Krähwinkel erinnert an Hermann Presbcrs
nicht minder witzige Schilderung des „tollen" Jahres in seinen rheinischen No¬
vellen. Aber Presber schrieb nicht im Dialekt, und Leming ruft manchmal die
Empfindung hervor, daß sich sein Standpunkt allzusehr über den erhebt, welchen
der Dialekt gebietet. Und dies ist die große Klippe aller Dialektpoesie: es darf
nie die Grenze ländlichen und rein menschlichen Lebens überschritten werden,
daß sich die Frage aufdrängen müßte, ob denn das Gesagte nicht besser oder
ebensogut in der Sprache der Gebildeten hätte gesagt werden können. Der
bewußte Gegensatz, in den Leming seine ländlichen Bilder zum Stadtleben stellt,
dieser reflektirte Gesichtspunkt, der sich anch in zahlreichen Betrachtungen Aus¬
druck verleiht, ist von vornherein seine Schwäche. So überschreitet er die
Grenzen seiner Dichtungsart, wenn er mit weiten Gesichtspunkten die Unruhen
des Jahres 1848 mit dem nneingelösten Versprechen der Regierungen nach den
Freiheitskriegen in Verbindung bringt, und auch sonst in zahlreichen stilistischen
Wendungen, so z. B. wenn er einmal sagt: „For Schepelmanns Slapstuv harr
der Slapgott dise Nacht van sinen Segen nich wat torügg taten, dafvr was
de Sorge as Gast kamen un harr de olle Lüd treulich Gesellschaft leist't,"
das ist ganz hochdeutsch gedacht. Man kann geradezu sage», Leming hätte seine
„Dree Wiehnachten" ebensogut hochdeutsch schreiben können, so etwa, daß nur
die Reden der Personen im Dialekt gehalten wären, wie es etwa Rvsegger zu
thun Pflegt.

Die Handlung der Dichtung zu skizziren ist nicht leicht, da sie in vielen
Verzweigungen durch eine ganze Generation läuft und nur sprungweise ent¬
wickelt wird. In der Mitte stehen zwei elternlose Geschwister Wilhelm und
Marie Wiese, welche von gutherzigen Bauern aufgenommen und erzogen worden
sind, als sie nach dein Tode der Eltern in der Gcmeinderatssitzung des Dorfes
Motzien gleichsam versteigert wurden. Mariechen wurde vom Bauer Schröder
und seiner tüchtigen Frau genommen, wobei der brave Mann die zwölf Thaler,
welche er jährlich für das Kind von der Gemeinde erhielt, zur einstigen Aus¬
steuer Mariens in die Sparkasse legte; ihr Brüderchen hatte es nicht so gut,
es kam zu einem ärmern kinderreichen Bauern Henning und wurde bis zur
Militärzeit Gänse- und Schweinehirte. Indes starb der Bauer Schröder, seiue
Witwe hat das Unglück, einen rohen Menschen, Pernick, zu heiraten, der sie um
all ihr Vermögen bringen würde, wen» nicht ihr Nachbar Schepelmann zu rechter
Zeit sich von ihr alles Baare hätte übergeben lassen. Die Kinder beider Familien
wachsen heran, und es entstehen allerlei Liebesgeschichten, unter ihnen die hübscheste
die zwischen Wilhelm Wiese, dem Kinde aus dem Armenhause, und der Tochter
Luise vom reichen Bauern Schepelmann. Nachdem Wilhelm mit glänzenden
Zeugnissen den Militärdienst verlassen hat, wird er Großknecht bei Schepelmann.
In der Jugend ein loser Vogel, überrascht er alle durch seine ausgezeichnete
Dienstleistung. Luise verliebt sich in den Knecht des Vaters, und jener nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/42>, abgerufen am 01.09.2024.