Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Plattdeutsche Erzähler.

folgen. Es sind lauter treuherzige brave Menschen, die er vorführt, mit Aus¬
nahme des Bauers Pernick, der als böses Prinzip die Handlung in Bewegung
setzt. Nach allen Beziehungen wird das ländliche Leben geschildert: bei Hochzeit und
Taufe, im Wirtshaus und in der Familienstube, beim Edelmann und seinen Unter¬
thanen; der Küster, der Schneider, der Schuster, der Tischler treten auf -- alles
im Lichte des behaglichsten Humors dessen, der seine schnurrigen Originale herzlich
liebt. Leming erhebt sich auch über den rein idyllischen Humor zu politischer Satire,
die aber uoch immer gutmütig bleibt, indem er die kuriosen Wellenschlage schil¬
dert, welche der Sturm des Jahres 1848 in dem kleinen Dorfe seiner Geschichte
aufgeworfen hatte. Der Schneider ließ es sich seit dem Beginne der Unruhen
nicht nehmen, selbst in die Stadt zu gehen, seine Einkäufe zu machen. "Natür¬
lich Wort der Snicder bi dise Gelenigkeit immer wichtiger, so woll in sine el'n
Oon als för't ganze Dorp; jedesmal, wenn hä ut de Stadt kam, stund all 'n
Trvppel Menschen da, do up em kürten, üm to erfohrcn, wat hä för Nach¬
richten metbrochte im wat in de Zeitungen stehn harr." Endlich naht sein
Wagen. "Freiheit, rey der Snieder um winkte all van fern mit de Pietsche,
ick breng de Freiheit um 'ne Verfassung met, de Freiheit fall lewen, Vivat hoch!
Wie de Narren stünden de Menschen do un keken sick den Mann an, ob du
woll hehre tun' sin muchte, un der kek sick sine Landslüd an, ob de woll wert
wiren, de Freiheit un 'ne Verfassung un 'ne freie Presse to krien, dann über
sprung hä runder van sinen Waan un fing an alles to puffen, wat hä itzens
laugen turn. "So hebben't de Borger in Berlin up de Straßen malt, fo
hebben wi't hüt in de Stadt tabu un so hört sick det! Kinder, wi hebben jo
siegt, in Berlin hebben se um all twee Dag up de Barrikaden kämpft un wier
nich wat tabu, as Soldaten dod schaden, aber't wiren to vvel, sie Wurm se
nich irst schaffen. Nu sin se dod, alltohop un wi hebben de Freiheit erobert
un ne Verfassung krien wi ok. Unser König willn wi beholln, det hebben wi
hüt all so wat bered't, um de meisten wiren ok dafür, über süß alles weg, furt
met de ganze Volk, wo we so lange de Afgaben för upbrocht hebben, furt met
de Schaudarben un de Polizei! Med de lange Piper sin se hüte all dörch de
Straten gahn un den eenen Dahrschriwer hebben se wollt de Fenstern insmeiten,
ick fuhr morgen wedder rin un det will ick den Kerl nich raten, mi an den
Wann to kamen; üm de Ohren hau ick em, det em Hören un Sehn vergeit, ick
deve mine Freiheit, daför is kämpft, un wo det nonnich geschehn is, da müde
Anstalt dato troffen werrn." Det majorenne Volk, wat sick üm den Freiheits¬
apostel versammelt harr, stund da mit apene Mütter, de meisten darm wier
nich'n Wort verstahn, as det in Berlin alle Soldaten dod wiren un det de
anderen ok so halt wie möglich sulln ümbrocht werrn. Det schen ohr über
gar keen rechter Grund sin, sick so to freun, wie der Snieder verlangte, Sol¬
daten harr jo doch woll jeder gerne, gar nich davan to reden, det ut Motzien
>unser Dorfj ok 'n ganzen Hümpel den bunten Rock drögen." Die Satire


Grenzboten III. 188S. 5
Plattdeutsche Erzähler.

folgen. Es sind lauter treuherzige brave Menschen, die er vorführt, mit Aus¬
nahme des Bauers Pernick, der als böses Prinzip die Handlung in Bewegung
setzt. Nach allen Beziehungen wird das ländliche Leben geschildert: bei Hochzeit und
Taufe, im Wirtshaus und in der Familienstube, beim Edelmann und seinen Unter¬
thanen; der Küster, der Schneider, der Schuster, der Tischler treten auf — alles
im Lichte des behaglichsten Humors dessen, der seine schnurrigen Originale herzlich
liebt. Leming erhebt sich auch über den rein idyllischen Humor zu politischer Satire,
die aber uoch immer gutmütig bleibt, indem er die kuriosen Wellenschlage schil¬
dert, welche der Sturm des Jahres 1848 in dem kleinen Dorfe seiner Geschichte
aufgeworfen hatte. Der Schneider ließ es sich seit dem Beginne der Unruhen
nicht nehmen, selbst in die Stadt zu gehen, seine Einkäufe zu machen. „Natür¬
lich Wort der Snicder bi dise Gelenigkeit immer wichtiger, so woll in sine el'n
Oon als för't ganze Dorp; jedesmal, wenn hä ut de Stadt kam, stund all 'n
Trvppel Menschen da, do up em kürten, üm to erfohrcn, wat hä för Nach¬
richten metbrochte im wat in de Zeitungen stehn harr." Endlich naht sein
Wagen. „Freiheit, rey der Snieder um winkte all van fern mit de Pietsche,
ick breng de Freiheit um 'ne Verfassung met, de Freiheit fall lewen, Vivat hoch!
Wie de Narren stünden de Menschen do un keken sick den Mann an, ob du
woll hehre tun' sin muchte, un der kek sick sine Landslüd an, ob de woll wert
wiren, de Freiheit un 'ne Verfassung un 'ne freie Presse to krien, dann über
sprung hä runder van sinen Waan un fing an alles to puffen, wat hä itzens
laugen turn. »So hebben't de Borger in Berlin up de Straßen malt, fo
hebben wi't hüt in de Stadt tabu un so hört sick det! Kinder, wi hebben jo
siegt, in Berlin hebben se um all twee Dag up de Barrikaden kämpft un wier
nich wat tabu, as Soldaten dod schaden, aber't wiren to vvel, sie Wurm se
nich irst schaffen. Nu sin se dod, alltohop un wi hebben de Freiheit erobert
un ne Verfassung krien wi ok. Unser König willn wi beholln, det hebben wi
hüt all so wat bered't, um de meisten wiren ok dafür, über süß alles weg, furt
met de ganze Volk, wo we so lange de Afgaben för upbrocht hebben, furt met
de Schaudarben un de Polizei! Med de lange Piper sin se hüte all dörch de
Straten gahn un den eenen Dahrschriwer hebben se wollt de Fenstern insmeiten,
ick fuhr morgen wedder rin un det will ick den Kerl nich raten, mi an den
Wann to kamen; üm de Ohren hau ick em, det em Hören un Sehn vergeit, ick
deve mine Freiheit, daför is kämpft, un wo det nonnich geschehn is, da müde
Anstalt dato troffen werrn.« Det majorenne Volk, wat sick üm den Freiheits¬
apostel versammelt harr, stund da mit apene Mütter, de meisten darm wier
nich'n Wort verstahn, as det in Berlin alle Soldaten dod wiren un det de
anderen ok so halt wie möglich sulln ümbrocht werrn. Det schen ohr über
gar keen rechter Grund sin, sick so to freun, wie der Snieder verlangte, Sol¬
daten harr jo doch woll jeder gerne, gar nich davan to reden, det ut Motzien
>unser Dorfj ok 'n ganzen Hümpel den bunten Rock drögen." Die Satire


Grenzboten III. 188S. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196141"/>
          <fw type="header" place="top"> Plattdeutsche Erzähler.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_107" prev="#ID_106" next="#ID_108"> folgen. Es sind lauter treuherzige brave Menschen, die er vorführt, mit Aus¬<lb/>
nahme des Bauers Pernick, der als böses Prinzip die Handlung in Bewegung<lb/>
setzt. Nach allen Beziehungen wird das ländliche Leben geschildert: bei Hochzeit und<lb/>
Taufe, im Wirtshaus und in der Familienstube, beim Edelmann und seinen Unter¬<lb/>
thanen; der Küster, der Schneider, der Schuster, der Tischler treten auf &#x2014; alles<lb/>
im Lichte des behaglichsten Humors dessen, der seine schnurrigen Originale herzlich<lb/>
liebt. Leming erhebt sich auch über den rein idyllischen Humor zu politischer Satire,<lb/>
die aber uoch immer gutmütig bleibt, indem er die kuriosen Wellenschlage schil¬<lb/>
dert, welche der Sturm des Jahres 1848 in dem kleinen Dorfe seiner Geschichte<lb/>
aufgeworfen hatte. Der Schneider ließ es sich seit dem Beginne der Unruhen<lb/>
nicht nehmen, selbst in die Stadt zu gehen, seine Einkäufe zu machen. &#x201E;Natür¬<lb/>
lich Wort der Snicder bi dise Gelenigkeit immer wichtiger, so woll in sine el'n<lb/>
Oon als för't ganze Dorp; jedesmal, wenn hä ut de Stadt kam, stund all 'n<lb/>
Trvppel Menschen da, do up em kürten, üm to erfohrcn, wat hä för Nach¬<lb/>
richten metbrochte im wat in de Zeitungen stehn harr." Endlich naht sein<lb/>
Wagen. &#x201E;Freiheit, rey der Snieder um winkte all van fern mit de Pietsche,<lb/>
ick breng de Freiheit um 'ne Verfassung met, de Freiheit fall lewen, Vivat hoch!<lb/>
Wie de Narren stünden de Menschen do un keken sick den Mann an, ob du<lb/>
woll hehre tun' sin muchte, un der kek sick sine Landslüd an, ob de woll wert<lb/>
wiren, de Freiheit un 'ne Verfassung un 'ne freie Presse to krien, dann über<lb/>
sprung hä runder van sinen Waan un fing an alles to puffen, wat hä itzens<lb/>
laugen turn. »So hebben't de Borger in Berlin up de Straßen malt, fo<lb/>
hebben wi't hüt in de Stadt tabu un so hört sick det! Kinder, wi hebben jo<lb/>
siegt, in Berlin hebben se um all twee Dag up de Barrikaden kämpft un wier<lb/>
nich wat tabu, as Soldaten dod schaden, aber't wiren to vvel, sie Wurm se<lb/>
nich irst schaffen. Nu sin se dod, alltohop un wi hebben de Freiheit erobert<lb/>
un ne Verfassung krien wi ok. Unser König willn wi beholln, det hebben wi<lb/>
hüt all so wat bered't, um de meisten wiren ok dafür, über süß alles weg, furt<lb/>
met de ganze Volk, wo we so lange de Afgaben för upbrocht hebben, furt met<lb/>
de Schaudarben un de Polizei! Med de lange Piper sin se hüte all dörch de<lb/>
Straten gahn un den eenen Dahrschriwer hebben se wollt de Fenstern insmeiten,<lb/>
ick fuhr morgen wedder rin un det will ick den Kerl nich raten, mi an den<lb/>
Wann to kamen; üm de Ohren hau ick em, det em Hören un Sehn vergeit, ick<lb/>
deve mine Freiheit, daför is kämpft, un wo det nonnich geschehn is, da müde<lb/>
Anstalt dato troffen werrn.« Det majorenne Volk, wat sick üm den Freiheits¬<lb/>
apostel versammelt harr, stund da mit apene Mütter, de meisten darm wier<lb/>
nich'n Wort verstahn, as det in Berlin alle Soldaten dod wiren un det de<lb/>
anderen ok so halt wie möglich sulln ümbrocht werrn. Det schen ohr über<lb/>
gar keen rechter Grund sin, sick so to freun, wie der Snieder verlangte, Sol¬<lb/>
daten harr jo doch woll jeder gerne, gar nich davan to reden, det ut Motzien<lb/>
&gt;unser Dorfj ok 'n ganzen Hümpel den bunten Rock drögen." Die Satire</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 188S. 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Plattdeutsche Erzähler. folgen. Es sind lauter treuherzige brave Menschen, die er vorführt, mit Aus¬ nahme des Bauers Pernick, der als böses Prinzip die Handlung in Bewegung setzt. Nach allen Beziehungen wird das ländliche Leben geschildert: bei Hochzeit und Taufe, im Wirtshaus und in der Familienstube, beim Edelmann und seinen Unter¬ thanen; der Küster, der Schneider, der Schuster, der Tischler treten auf — alles im Lichte des behaglichsten Humors dessen, der seine schnurrigen Originale herzlich liebt. Leming erhebt sich auch über den rein idyllischen Humor zu politischer Satire, die aber uoch immer gutmütig bleibt, indem er die kuriosen Wellenschlage schil¬ dert, welche der Sturm des Jahres 1848 in dem kleinen Dorfe seiner Geschichte aufgeworfen hatte. Der Schneider ließ es sich seit dem Beginne der Unruhen nicht nehmen, selbst in die Stadt zu gehen, seine Einkäufe zu machen. „Natür¬ lich Wort der Snicder bi dise Gelenigkeit immer wichtiger, so woll in sine el'n Oon als för't ganze Dorp; jedesmal, wenn hä ut de Stadt kam, stund all 'n Trvppel Menschen da, do up em kürten, üm to erfohrcn, wat hä för Nach¬ richten metbrochte im wat in de Zeitungen stehn harr." Endlich naht sein Wagen. „Freiheit, rey der Snieder um winkte all van fern mit de Pietsche, ick breng de Freiheit um 'ne Verfassung met, de Freiheit fall lewen, Vivat hoch! Wie de Narren stünden de Menschen do un keken sick den Mann an, ob du woll hehre tun' sin muchte, un der kek sick sine Landslüd an, ob de woll wert wiren, de Freiheit un 'ne Verfassung un 'ne freie Presse to krien, dann über sprung hä runder van sinen Waan un fing an alles to puffen, wat hä itzens laugen turn. »So hebben't de Borger in Berlin up de Straßen malt, fo hebben wi't hüt in de Stadt tabu un so hört sick det! Kinder, wi hebben jo siegt, in Berlin hebben se um all twee Dag up de Barrikaden kämpft un wier nich wat tabu, as Soldaten dod schaden, aber't wiren to vvel, sie Wurm se nich irst schaffen. Nu sin se dod, alltohop un wi hebben de Freiheit erobert un ne Verfassung krien wi ok. Unser König willn wi beholln, det hebben wi hüt all so wat bered't, um de meisten wiren ok dafür, über süß alles weg, furt met de ganze Volk, wo we so lange de Afgaben för upbrocht hebben, furt met de Schaudarben un de Polizei! Med de lange Piper sin se hüte all dörch de Straten gahn un den eenen Dahrschriwer hebben se wollt de Fenstern insmeiten, ick fuhr morgen wedder rin un det will ick den Kerl nich raten, mi an den Wann to kamen; üm de Ohren hau ick em, det em Hören un Sehn vergeit, ick deve mine Freiheit, daför is kämpft, un wo det nonnich geschehn is, da müde Anstalt dato troffen werrn.« Det majorenne Volk, wat sick üm den Freiheits¬ apostel versammelt harr, stund da mit apene Mütter, de meisten darm wier nich'n Wort verstahn, as det in Berlin alle Soldaten dod wiren un det de anderen ok so halt wie möglich sulln ümbrocht werrn. Det schen ohr über gar keen rechter Grund sin, sick so to freun, wie der Snieder verlangte, Sol¬ daten harr jo doch woll jeder gerne, gar nich davan to reden, det ut Motzien >unser Dorfj ok 'n ganzen Hümpel den bunten Rock drögen." Die Satire Grenzboten III. 188S. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/41>, abgerufen am 06.10.2024.