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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Plattdeutsche Lrzähler.

Wein macht ihn gesprächiger, geschmeidiger, er ist auch sangeslnstigc'r; und nur
das hohe Gebirge, wo der Mensch mit einer unfruchtbaren'Natur hart ums
Dasein zu ringen hat, nähert den süddeutschen Charakter dem norddeutsch ver¬
schlossenen Wesen. Und aus allen diesen Momenten ergiebt sich der zunächst
in die Augen fallende Unterschied zwischen süd- und plattdeutscher Dialektdich-
tung: dort ist die amüsante neue Fabel die Hauptsache, hier der originale, mehr
oder weniger schnurrige Charakter; die ärmere äußere Welt verweist den Menschen
auf die innere und erzeugt eine mannichfaltigere Art menschlicher Individuen;
im Süden tritt der Einzelne mehr in den allgemeinen Chor zurück. Humoristen
zunächst müssen alle Dialektdichter der Natur der Sache nach sein: denn auf
dem Dorfe handelt es sich selten um große Dinge, und das Kleine wirkt
poetisch nur dann, wenn es der künstlerische Geist im Kontrast mit der Größe
anschaut.

Zu diesen Bemerkungen mußte sich ein Leser angeregt fühlen, der im Süden
die zwei neuesten, in diesem Jahre erschienenen plattdeutschen Erzählungen zu
Gesichte bekam, denen ein guter Ruf schon vorausging. Es sind dies Harten
Lema von Heinrich Bnrmester^) und Dree Wiehnachten von Fritz
Leming,^) ersteres in der Mundart Lauenbnrgs, Schleswigs, kurz Nord-
albingens, letzteres in der der Schriftsprache immerhin näher stehenden Mund¬
art der Mark Brandenburg und Pommerns geschrieben. Aber es sind noch
weit verschiedncre dichterische Charaktere, welche aus beiden Werken dem Leser
entgegentreten. Gemeinsam ist ihnen nur der allgemeine Stil nordischer Dichtung:
sie haben keine Erzählungen im strengeren Sinne geschrieben, in denen die kunst¬
volle Entwicklung einer interessanten Handlung ernstlich angestrebt wäre. Weit
mehr noch als bei Vnrmester, der eine harmonische Abrundung in seiner Er¬
zählung versucht, zerfällt Lenings Buch, welches ursprünglich auch deu Titel
"Bunte Bilder" führte, in eine lockere Aneinanderreihung schnurriger oder ernster
Situationen und Sittenbilder, in denen nur eine Einheit der Personen herrscht
und die nur oberflächlich durch einige lustige Heiraten beschlossen werden; beiden
also ist die scharfe Charakteristik von heitern Originalen die Hauptsache, lind
wenn man noch erwähnt, daß sowohl in "Harten Lema" als in "Dree Wieh¬
nachten" ein unschuldig der Brandlegung angeklagter vorkommt, der beide
male durch ein geheimes Liebcsrendezvons in den fatalen Verdacht gerät, welcher
ihn in den Kerker bis zur alles offenbarenden Gerichtsverhandlung führt, so
haben wir alles Gemeinsame an den beiden Dichtern erschöpft.

Denn ganz verschieden ist die dichterische Tendenz, welche beide verfolgen.
Leming ist ein lMäg,or t^mpor!" ".et-i, er schaut in die Vergangenheit zurück,
etwa fehlte, das ist allgemeine Bauernart; aber der Süden ist leichtlebiger, sein




*) En Speigel vör Land un Lud. Mit einer Einleitung vo" K. Th. Gaederh. Zwei
Teile. Berlin, Kvgge und Fritze.
^) 'ne Geschichte in märkische Mundart. Stuttgart, Cotta, 183L.
Plattdeutsche Lrzähler.

Wein macht ihn gesprächiger, geschmeidiger, er ist auch sangeslnstigc'r; und nur
das hohe Gebirge, wo der Mensch mit einer unfruchtbaren'Natur hart ums
Dasein zu ringen hat, nähert den süddeutschen Charakter dem norddeutsch ver¬
schlossenen Wesen. Und aus allen diesen Momenten ergiebt sich der zunächst
in die Augen fallende Unterschied zwischen süd- und plattdeutscher Dialektdich-
tung: dort ist die amüsante neue Fabel die Hauptsache, hier der originale, mehr
oder weniger schnurrige Charakter; die ärmere äußere Welt verweist den Menschen
auf die innere und erzeugt eine mannichfaltigere Art menschlicher Individuen;
im Süden tritt der Einzelne mehr in den allgemeinen Chor zurück. Humoristen
zunächst müssen alle Dialektdichter der Natur der Sache nach sein: denn auf
dem Dorfe handelt es sich selten um große Dinge, und das Kleine wirkt
poetisch nur dann, wenn es der künstlerische Geist im Kontrast mit der Größe
anschaut.

Zu diesen Bemerkungen mußte sich ein Leser angeregt fühlen, der im Süden
die zwei neuesten, in diesem Jahre erschienenen plattdeutschen Erzählungen zu
Gesichte bekam, denen ein guter Ruf schon vorausging. Es sind dies Harten
Lema von Heinrich Bnrmester^) und Dree Wiehnachten von Fritz
Leming,^) ersteres in der Mundart Lauenbnrgs, Schleswigs, kurz Nord-
albingens, letzteres in der der Schriftsprache immerhin näher stehenden Mund¬
art der Mark Brandenburg und Pommerns geschrieben. Aber es sind noch
weit verschiedncre dichterische Charaktere, welche aus beiden Werken dem Leser
entgegentreten. Gemeinsam ist ihnen nur der allgemeine Stil nordischer Dichtung:
sie haben keine Erzählungen im strengeren Sinne geschrieben, in denen die kunst¬
volle Entwicklung einer interessanten Handlung ernstlich angestrebt wäre. Weit
mehr noch als bei Vnrmester, der eine harmonische Abrundung in seiner Er¬
zählung versucht, zerfällt Lenings Buch, welches ursprünglich auch deu Titel
„Bunte Bilder" führte, in eine lockere Aneinanderreihung schnurriger oder ernster
Situationen und Sittenbilder, in denen nur eine Einheit der Personen herrscht
und die nur oberflächlich durch einige lustige Heiraten beschlossen werden; beiden
also ist die scharfe Charakteristik von heitern Originalen die Hauptsache, lind
wenn man noch erwähnt, daß sowohl in „Harten Lema" als in „Dree Wieh¬
nachten" ein unschuldig der Brandlegung angeklagter vorkommt, der beide
male durch ein geheimes Liebcsrendezvons in den fatalen Verdacht gerät, welcher
ihn in den Kerker bis zur alles offenbarenden Gerichtsverhandlung führt, so
haben wir alles Gemeinsame an den beiden Dichtern erschöpft.

Denn ganz verschieden ist die dichterische Tendenz, welche beide verfolgen.
Leming ist ein lMäg,or t^mpor!» ».et-i, er schaut in die Vergangenheit zurück,
etwa fehlte, das ist allgemeine Bauernart; aber der Süden ist leichtlebiger, sein




*) En Speigel vör Land un Lud. Mit einer Einleitung vo» K. Th. Gaederh. Zwei
Teile. Berlin, Kvgge und Fritze.
^) 'ne Geschichte in märkische Mundart. Stuttgart, Cotta, 183L.
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[0039] Plattdeutsche Lrzähler. Wein macht ihn gesprächiger, geschmeidiger, er ist auch sangeslnstigc'r; und nur das hohe Gebirge, wo der Mensch mit einer unfruchtbaren'Natur hart ums Dasein zu ringen hat, nähert den süddeutschen Charakter dem norddeutsch ver¬ schlossenen Wesen. Und aus allen diesen Momenten ergiebt sich der zunächst in die Augen fallende Unterschied zwischen süd- und plattdeutscher Dialektdich- tung: dort ist die amüsante neue Fabel die Hauptsache, hier der originale, mehr oder weniger schnurrige Charakter; die ärmere äußere Welt verweist den Menschen auf die innere und erzeugt eine mannichfaltigere Art menschlicher Individuen; im Süden tritt der Einzelne mehr in den allgemeinen Chor zurück. Humoristen zunächst müssen alle Dialektdichter der Natur der Sache nach sein: denn auf dem Dorfe handelt es sich selten um große Dinge, und das Kleine wirkt poetisch nur dann, wenn es der künstlerische Geist im Kontrast mit der Größe anschaut. Zu diesen Bemerkungen mußte sich ein Leser angeregt fühlen, der im Süden die zwei neuesten, in diesem Jahre erschienenen plattdeutschen Erzählungen zu Gesichte bekam, denen ein guter Ruf schon vorausging. Es sind dies Harten Lema von Heinrich Bnrmester^) und Dree Wiehnachten von Fritz Leming,^) ersteres in der Mundart Lauenbnrgs, Schleswigs, kurz Nord- albingens, letzteres in der der Schriftsprache immerhin näher stehenden Mund¬ art der Mark Brandenburg und Pommerns geschrieben. Aber es sind noch weit verschiedncre dichterische Charaktere, welche aus beiden Werken dem Leser entgegentreten. Gemeinsam ist ihnen nur der allgemeine Stil nordischer Dichtung: sie haben keine Erzählungen im strengeren Sinne geschrieben, in denen die kunst¬ volle Entwicklung einer interessanten Handlung ernstlich angestrebt wäre. Weit mehr noch als bei Vnrmester, der eine harmonische Abrundung in seiner Er¬ zählung versucht, zerfällt Lenings Buch, welches ursprünglich auch deu Titel „Bunte Bilder" führte, in eine lockere Aneinanderreihung schnurriger oder ernster Situationen und Sittenbilder, in denen nur eine Einheit der Personen herrscht und die nur oberflächlich durch einige lustige Heiraten beschlossen werden; beiden also ist die scharfe Charakteristik von heitern Originalen die Hauptsache, lind wenn man noch erwähnt, daß sowohl in „Harten Lema" als in „Dree Wieh¬ nachten" ein unschuldig der Brandlegung angeklagter vorkommt, der beide male durch ein geheimes Liebcsrendezvons in den fatalen Verdacht gerät, welcher ihn in den Kerker bis zur alles offenbarenden Gerichtsverhandlung führt, so haben wir alles Gemeinsame an den beiden Dichtern erschöpft. Denn ganz verschieden ist die dichterische Tendenz, welche beide verfolgen. Leming ist ein lMäg,or t^mpor!» ».et-i, er schaut in die Vergangenheit zurück, etwa fehlte, das ist allgemeine Bauernart; aber der Süden ist leichtlebiger, sein *) En Speigel vör Land un Lud. Mit einer Einleitung vo» K. Th. Gaederh. Zwei Teile. Berlin, Kvgge und Fritze. ^) 'ne Geschichte in märkische Mundart. Stuttgart, Cotta, 183L.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/39>, abgerufen am 01.09.2024.