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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Floridas Besorgnis, dieser ihr nach schwerem Kampfe gethaner Schritt werde
das Leben ihres Vaters gefährden, unbegründet gewesen. Aber der alte Mnreello
grollte, und viele Tage verstrichen, ehe er mir wieder eine Handreichung von
ihr annahm.

Sie ging in Trauerkleidern zur Messe, sie lebte ganz in der Erinnerung
an ihren Gatten; der neue Herzog halte alles, was aus dem Sterbezimmer
seines unglücklichen Vetters für ihr Herz einen Wert haben konnte, mit gütigen,
teilnehmenden Worten zu ihrer Verfügung stellen lassen; die sämtlichen Blatt-
Pflanzen und Blumenstöcke, sogar einige der als Giuseppes Boten ausgesnndt
gewesenen Tauben waren ihr überantwortet worden, umgaben sie, täuschten sie
in einsamen Stunden mit dem Gefühl seiner Gegenwart; Eufemia, Lazzarv, der
alte Pater Vigilio, wer immer nur mit ihr in Berührung kam, alle bemühten
sich, indem sie des Verstorbucu nicht allein mit Worten des Mitgefühls, nein
auch als des Gatten Floridas gedachten, ihr wohlzuthun, dem Vnnde, obschon
er für das Erdenleben ohne Dauer gewesen war, sein volles Recht widerfahren
zu lassen. Nur Marcello Buvnaeolsi glaubte einer Florida Gonzaga kein
tröstendes Vaterwvrt sagen, glaubte nicht ihr verzeihen zu dürfen.

Allmählich gelang es ihr wenigstens, in ihm das Bedürfnis nach ihrer
Nähe wieder zu erwecken, Lazzarv hatte bis dahin sie ersetzen müssen, aber er
war fast so alt wie sein Herr selbst, und wenn der letztere über das schlechte
Gedächtnis und über die Langsamkeit des Dieners Schnalle, so mußte er sich
von diesem sagen lassen, daß er, Lazzaro, fünfzig Dienstjahre auf den Schultern
habe, und daß Diener gerade so gut wie ihre Herren mit den Jahren stumpf und
gebrechlich würden -- so sei es einmal der Wille Gottes,

Ans kleinen Handreichungen, die solcherart Florida nach und nach zu leisten
Gelegenheit fand, wuchs dann im Laufe der Zeit in dem mürrischen Greise wieder
das Begehren nach etwas anderm als bloßem Dienerumgang hervor, und endlich
nahm er, um eine äußere Nötigung dafür vorzuschützen, zu der Ausrede, ihm
wolle kein Augenglas mehr genügen, seine Zuflucht, svdasz Florida ihm in seine
Bibliothek folgen und ihm dort von min an täglich ans seinen Lieblingsfolianten,
den alten Chroniken, vorlesen durfte, zu viel größerer innerer Befriedigung
Marecllos als vordem, denn ihr Verständnis war ein den Kern der Dinge leichter
erfassendes geworden, sie war bei der Sache, während er früher Mühe gehabt
hatte, sie bei irgendetwas mehr als vorübergehend festzuhalten.

Es war mit dieser Dienstleistung ein schwerer Druck von ihr genommen,
denn hatte das Unglück sie mich geschult und abgehärtet, sie litt doch bisher
täglich bei dein Gedanken, das Recht, ihrem Vater etwas zu sein, verscherzt zu
haben -- o wie schlecht glücklicherweise traf das Wort verscherzt hier zu! --
nud so blühte sie unter dem versöhnlicher werdenden Blicke des Greises
wie eine verabsäumt gewesene Blume, die eine gütige Hand begoß, langsam
wieder auf,


Floridas Besorgnis, dieser ihr nach schwerem Kampfe gethaner Schritt werde
das Leben ihres Vaters gefährden, unbegründet gewesen. Aber der alte Mnreello
grollte, und viele Tage verstrichen, ehe er mir wieder eine Handreichung von
ihr annahm.

Sie ging in Trauerkleidern zur Messe, sie lebte ganz in der Erinnerung
an ihren Gatten; der neue Herzog halte alles, was aus dem Sterbezimmer
seines unglücklichen Vetters für ihr Herz einen Wert haben konnte, mit gütigen,
teilnehmenden Worten zu ihrer Verfügung stellen lassen; die sämtlichen Blatt-
Pflanzen und Blumenstöcke, sogar einige der als Giuseppes Boten ausgesnndt
gewesenen Tauben waren ihr überantwortet worden, umgaben sie, täuschten sie
in einsamen Stunden mit dem Gefühl seiner Gegenwart; Eufemia, Lazzarv, der
alte Pater Vigilio, wer immer nur mit ihr in Berührung kam, alle bemühten
sich, indem sie des Verstorbucu nicht allein mit Worten des Mitgefühls, nein
auch als des Gatten Floridas gedachten, ihr wohlzuthun, dem Vnnde, obschon
er für das Erdenleben ohne Dauer gewesen war, sein volles Recht widerfahren
zu lassen. Nur Marcello Buvnaeolsi glaubte einer Florida Gonzaga kein
tröstendes Vaterwvrt sagen, glaubte nicht ihr verzeihen zu dürfen.

Allmählich gelang es ihr wenigstens, in ihm das Bedürfnis nach ihrer
Nähe wieder zu erwecken, Lazzarv hatte bis dahin sie ersetzen müssen, aber er
war fast so alt wie sein Herr selbst, und wenn der letztere über das schlechte
Gedächtnis und über die Langsamkeit des Dieners Schnalle, so mußte er sich
von diesem sagen lassen, daß er, Lazzaro, fünfzig Dienstjahre auf den Schultern
habe, und daß Diener gerade so gut wie ihre Herren mit den Jahren stumpf und
gebrechlich würden — so sei es einmal der Wille Gottes,

Ans kleinen Handreichungen, die solcherart Florida nach und nach zu leisten
Gelegenheit fand, wuchs dann im Laufe der Zeit in dem mürrischen Greise wieder
das Begehren nach etwas anderm als bloßem Dienerumgang hervor, und endlich
nahm er, um eine äußere Nötigung dafür vorzuschützen, zu der Ausrede, ihm
wolle kein Augenglas mehr genügen, seine Zuflucht, svdasz Florida ihm in seine
Bibliothek folgen und ihm dort von min an täglich ans seinen Lieblingsfolianten,
den alten Chroniken, vorlesen durfte, zu viel größerer innerer Befriedigung
Marecllos als vordem, denn ihr Verständnis war ein den Kern der Dinge leichter
erfassendes geworden, sie war bei der Sache, während er früher Mühe gehabt
hatte, sie bei irgendetwas mehr als vorübergehend festzuhalten.

Es war mit dieser Dienstleistung ein schwerer Druck von ihr genommen,
denn hatte das Unglück sie mich geschult und abgehärtet, sie litt doch bisher
täglich bei dein Gedanken, das Recht, ihrem Vater etwas zu sein, verscherzt zu
haben — o wie schlecht glücklicherweise traf das Wort verscherzt hier zu! —
nud so blühte sie unter dem versöhnlicher werdenden Blicke des Greises
wie eine verabsäumt gewesene Blume, die eine gütige Hand begoß, langsam
wieder auf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/389>, abgerufen am 01.09.2024.