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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die dramatische 'Runst L. v. Wildenbruchs.

Gestalt geben will, Rettung und Gedeihen finden kann. Es kann uns hier nicht
beikommen, den Weg anzudeuten, den der Dichter hätte gehen müssen, aber es
mußte ein hoher Gedanke sein, der in dem Prätendenten verkörpert wäre, um
uns seine Unthaten vergessen zu machen. Es giebt genug Momente in der Welt¬
geschichte, wo die Entwicklung der Menschheit und ihrer Staatengebilde nur
möglich ist mit dem gewaltsamen Durchbrechen des formellen Rechtes. Entweder
eine solche Notwendigkeit Hütte der Dichter an den Dingen und seinem Helden
nachweisen, oder wenigstens ihn solche Worte reden, solche Thaten verrichten
lassen müssen, daß uicht der mindeste Zweifel an seiner vollkommenen Helden-
und Herrschernatnr in uus aufkommen kann. Um Beispiele zu haben, so finden
wir das eine im "Wallenstein," das andre in "Richard dem Dritten." In jenem führt
Schiller den Beweis, daß mir Wallenstein den Einignngsgedanken auf den Ge¬
bieten des Glaubens und des Staates gegen die bestehenden Gewalten erheben
durfte, während bei Shakespeare, wo ohne Wechsel eines Systems nur die eine
Persönlichkeit die Stelle der andern einnimmt, Richard in einer Weise redet
und handelt, daß uns jeden Augenblick seine alles überragende Herrschergröße
bewußt bleibt. Aber wir brauchen die "Karolinger" nicht mit diesen Meister¬
werken zusammenzustellen, um zu finden, daß die Worte, mit denen Bernhard
von Barcelona seine Handlungen begleitet, in Absicht auf den von ihm gewollten
Zweck bloß hohle Phrasen sind. Der Graf kennt nur die Welt des subjektiv
Begehrten, wie die des subjektiv Behaupteten. Daß über beide sich das Reich
einer objektiven Sittlichkeit erhebt, davon hat er keine Ahnung, oder will er
keine haben. In all seinem Thun setzt er sich ohne jegliches Bedenken über
das Mvralgesetz hinweg, an keiner Stelle, selbst da uicht, wo er von einem
jähen Tode ereilt wird, zeigt er, daß anch ein Gewissen in ihm schlägt, "das
Zünglein an der Waage der Thaten." Damit aber schießt er über das Ziel
hinaus, und je höher er in der Leidenschaft seine Worte spannt, umsoweniger
erreicht er mit ihnen, was er will. Denn diese Leidenschaft ist keine echte, sie
erhebt sich nicht über den realen Boden einer wenn auch durch seine Thaten
geleugneten, so doch innerlich auch von ihm anerkannten Moralität. Und
so tritt, weil die von ihm verachtete Welt sittlicher Ideen in uns lebendig ist,
auf die wir alles Gethane zu beziehen Pflegen, das ein, daß seine Worte, da
sie keinen Glauben haben und keine Liebe erwecken, uns vorkommen wie "ein
tönendes Erz und eine klingende Schelle." Nur einige von seinen Tiraden mögen
hier Platz finden. In der zweiten Szene des vierten Aktes, in welcher er die
deutschen Großen für seine Pläne gewonnen hat, heißt es:


Und dies Wort Schuld
Ist nur der Seufzer der Ertrinkender,
Die in dein. Lebens-Ozean der Kräfte
Zu schwach zum Schwimmen frank.: sind^. -- Du sei meine Göttin,
Die du den Abgrund zwischen Recht und Unrecht
Im Lvwensprunge überwältigst: That!

Die dramatische 'Runst L. v. Wildenbruchs.

Gestalt geben will, Rettung und Gedeihen finden kann. Es kann uns hier nicht
beikommen, den Weg anzudeuten, den der Dichter hätte gehen müssen, aber es
mußte ein hoher Gedanke sein, der in dem Prätendenten verkörpert wäre, um
uns seine Unthaten vergessen zu machen. Es giebt genug Momente in der Welt¬
geschichte, wo die Entwicklung der Menschheit und ihrer Staatengebilde nur
möglich ist mit dem gewaltsamen Durchbrechen des formellen Rechtes. Entweder
eine solche Notwendigkeit Hütte der Dichter an den Dingen und seinem Helden
nachweisen, oder wenigstens ihn solche Worte reden, solche Thaten verrichten
lassen müssen, daß uicht der mindeste Zweifel an seiner vollkommenen Helden-
und Herrschernatnr in uus aufkommen kann. Um Beispiele zu haben, so finden
wir das eine im „Wallenstein," das andre in „Richard dem Dritten." In jenem führt
Schiller den Beweis, daß mir Wallenstein den Einignngsgedanken auf den Ge¬
bieten des Glaubens und des Staates gegen die bestehenden Gewalten erheben
durfte, während bei Shakespeare, wo ohne Wechsel eines Systems nur die eine
Persönlichkeit die Stelle der andern einnimmt, Richard in einer Weise redet
und handelt, daß uns jeden Augenblick seine alles überragende Herrschergröße
bewußt bleibt. Aber wir brauchen die „Karolinger" nicht mit diesen Meister¬
werken zusammenzustellen, um zu finden, daß die Worte, mit denen Bernhard
von Barcelona seine Handlungen begleitet, in Absicht auf den von ihm gewollten
Zweck bloß hohle Phrasen sind. Der Graf kennt nur die Welt des subjektiv
Begehrten, wie die des subjektiv Behaupteten. Daß über beide sich das Reich
einer objektiven Sittlichkeit erhebt, davon hat er keine Ahnung, oder will er
keine haben. In all seinem Thun setzt er sich ohne jegliches Bedenken über
das Mvralgesetz hinweg, an keiner Stelle, selbst da uicht, wo er von einem
jähen Tode ereilt wird, zeigt er, daß anch ein Gewissen in ihm schlägt, „das
Zünglein an der Waage der Thaten." Damit aber schießt er über das Ziel
hinaus, und je höher er in der Leidenschaft seine Worte spannt, umsoweniger
erreicht er mit ihnen, was er will. Denn diese Leidenschaft ist keine echte, sie
erhebt sich nicht über den realen Boden einer wenn auch durch seine Thaten
geleugneten, so doch innerlich auch von ihm anerkannten Moralität. Und
so tritt, weil die von ihm verachtete Welt sittlicher Ideen in uns lebendig ist,
auf die wir alles Gethane zu beziehen Pflegen, das ein, daß seine Worte, da
sie keinen Glauben haben und keine Liebe erwecken, uns vorkommen wie „ein
tönendes Erz und eine klingende Schelle." Nur einige von seinen Tiraden mögen
hier Platz finden. In der zweiten Szene des vierten Aktes, in welcher er die
deutschen Großen für seine Pläne gewonnen hat, heißt es:


Und dies Wort Schuld
Ist nur der Seufzer der Ertrinkender,
Die in dein. Lebens-Ozean der Kräfte
Zu schwach zum Schwimmen frank.: sind^. — Du sei meine Göttin,
Die du den Abgrund zwischen Recht und Unrecht
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/380>, abgerufen am 25.11.2024.