Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die dramatische Runst E. v. Ivildenbruchs.

Man könnte sich überhaupt wundern, weshalb uns der Dichter mit diesem Buben¬
streiche bekannt macht oder vielmehr ihn begehen läßt, wenn man nicht nachher
merkte, daß die Anwesenheit der Maurin dazu notwendig ist, damit sowohl der
sie begleitende Sklave als zwei aus der Heimat entsandte Boten von Wichtig¬
keit für die Handlung werden können. So hat auch diese That nichts innerlich
Notwendiges, sondern sie ist lediglich ein äußerliches Mittel, für das jedes andre
ebenso gut wäre, um die Aktion in Gang zu halten.

Wir kommen zu dem Auftritt, in welchem es dem Grafen gelingt, die
Kaiserin für seine Absichten zu gewinnen. Es ist schwer, den Charakter des
erstem zu schildern, ohne auch schon hier auf den der letztern näher einzugehen.
Die Szene muß für jeden, der richtig fühlt und denkt, etwas Verletzendes haben.
So leicht läßt sich kein stolzes Weib, geschweige denn eine Kaiserin gewinnen,
oder wenn es wäre, so hätte doch der dramatische Dichter, wenn anders er das
sittliche Interesse für die betreffende Persönlichkeit wach erhalten will, die Pflicht,
die Möglichkeit so fern als nur möglich zu halten. Da ist zwar eine große Ver¬
suchung: im letzten Augenblicke wird ihrem Sohne nicht bloß ein Teil des
Frankenreiches, sondern die Aussicht auf das ganze geboten. Welches Frauen¬
herz, welches Mutterherz würde nicht bei solchem Angebot erbeben! Aber es
geschieht um den Preis ihrer Ehre, und wer ist es, der diesen Preis verlangt?
Wenn die Kaiserin ihren stürmischen Bewerber gekannt hätte, wenn sie von jener
Zeit her, wo sie dem bereits alternden Ludwig ihre Hand reichen mußte, dem
früher geliebten ein treues Andenken bewahrt hätte, so war es ein andres.
Der Dichter hätte Gelegenheit gefunden, in ergreifender Schilderung eines
zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Glanz und Entsagung schwankenden Frauen-
herzens den Hörer zu gewinnen und ihn, wenn auch nicht von der Moralität
ihres Handelns zu überzeugen, doch mit zartem Erbarmen zu erfüllen. Aber hier
ist ein völlig Unbekannter, ein Abenteurer, dein für den Zuschauer der Dichter
nichts mit ans den Weg gegeben hat, als das Bewußtsein einer höchst unmora¬
lischen That. Die Kaiserin weiß zwar davon nichts, aber im übrigen hat er
nichts für sich, als daß er mit feurigen Worten die Glut seiner Liebe und mit
mehr als Selbstbewußtsein seine sonst nicht vernommenen Thaten zu schildern
vermag. Will uns der Dichter glauben machen, daß immer und überall Frcmen-
tugend bloß durch glatte und prahlerische Worte zu Falle gebracht werdeu?
Mag das im einzelnen Falle der Wirklichkeit entsprechen, aber es giebt auch
schwerer wiegende Motive, und hier wären sie am Platze gewesen, nicht bloß
um an die Kaiserin, sondern auch an ihren Verführer glaube,: zu machen.

In der That, es fehlt überall an der ausreichenden Begründung. Wenn
jemand Ansprüche auf eine in rechtmäßigen Händen ruhende Herrschaft macht,
wenn er, um sie zu verwirklichen, vier Könige mit Gewalt aus dem Wege
räumen, einen Kaiser ermorden will, dann muß derselbe sehr starke und halt¬
bare Beweise vorbringen, daß mir in seiner Person die Welt, der er andre


Die dramatische Runst E. v. Ivildenbruchs.

Man könnte sich überhaupt wundern, weshalb uns der Dichter mit diesem Buben¬
streiche bekannt macht oder vielmehr ihn begehen läßt, wenn man nicht nachher
merkte, daß die Anwesenheit der Maurin dazu notwendig ist, damit sowohl der
sie begleitende Sklave als zwei aus der Heimat entsandte Boten von Wichtig¬
keit für die Handlung werden können. So hat auch diese That nichts innerlich
Notwendiges, sondern sie ist lediglich ein äußerliches Mittel, für das jedes andre
ebenso gut wäre, um die Aktion in Gang zu halten.

Wir kommen zu dem Auftritt, in welchem es dem Grafen gelingt, die
Kaiserin für seine Absichten zu gewinnen. Es ist schwer, den Charakter des
erstem zu schildern, ohne auch schon hier auf den der letztern näher einzugehen.
Die Szene muß für jeden, der richtig fühlt und denkt, etwas Verletzendes haben.
So leicht läßt sich kein stolzes Weib, geschweige denn eine Kaiserin gewinnen,
oder wenn es wäre, so hätte doch der dramatische Dichter, wenn anders er das
sittliche Interesse für die betreffende Persönlichkeit wach erhalten will, die Pflicht,
die Möglichkeit so fern als nur möglich zu halten. Da ist zwar eine große Ver¬
suchung: im letzten Augenblicke wird ihrem Sohne nicht bloß ein Teil des
Frankenreiches, sondern die Aussicht auf das ganze geboten. Welches Frauen¬
herz, welches Mutterherz würde nicht bei solchem Angebot erbeben! Aber es
geschieht um den Preis ihrer Ehre, und wer ist es, der diesen Preis verlangt?
Wenn die Kaiserin ihren stürmischen Bewerber gekannt hätte, wenn sie von jener
Zeit her, wo sie dem bereits alternden Ludwig ihre Hand reichen mußte, dem
früher geliebten ein treues Andenken bewahrt hätte, so war es ein andres.
Der Dichter hätte Gelegenheit gefunden, in ergreifender Schilderung eines
zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Glanz und Entsagung schwankenden Frauen-
herzens den Hörer zu gewinnen und ihn, wenn auch nicht von der Moralität
ihres Handelns zu überzeugen, doch mit zartem Erbarmen zu erfüllen. Aber hier
ist ein völlig Unbekannter, ein Abenteurer, dein für den Zuschauer der Dichter
nichts mit ans den Weg gegeben hat, als das Bewußtsein einer höchst unmora¬
lischen That. Die Kaiserin weiß zwar davon nichts, aber im übrigen hat er
nichts für sich, als daß er mit feurigen Worten die Glut seiner Liebe und mit
mehr als Selbstbewußtsein seine sonst nicht vernommenen Thaten zu schildern
vermag. Will uns der Dichter glauben machen, daß immer und überall Frcmen-
tugend bloß durch glatte und prahlerische Worte zu Falle gebracht werdeu?
Mag das im einzelnen Falle der Wirklichkeit entsprechen, aber es giebt auch
schwerer wiegende Motive, und hier wären sie am Platze gewesen, nicht bloß
um an die Kaiserin, sondern auch an ihren Verführer glaube,: zu machen.

In der That, es fehlt überall an der ausreichenden Begründung. Wenn
jemand Ansprüche auf eine in rechtmäßigen Händen ruhende Herrschaft macht,
wenn er, um sie zu verwirklichen, vier Könige mit Gewalt aus dem Wege
räumen, einen Kaiser ermorden will, dann muß derselbe sehr starke und halt¬
bare Beweise vorbringen, daß mir in seiner Person die Welt, der er andre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196479"/>
          <fw type="header" place="top"> Die dramatische Runst E. v. Ivildenbruchs.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1528" prev="#ID_1527"> Man könnte sich überhaupt wundern, weshalb uns der Dichter mit diesem Buben¬<lb/>
streiche bekannt macht oder vielmehr ihn begehen läßt, wenn man nicht nachher<lb/>
merkte, daß die Anwesenheit der Maurin dazu notwendig ist, damit sowohl der<lb/>
sie begleitende Sklave als zwei aus der Heimat entsandte Boten von Wichtig¬<lb/>
keit für die Handlung werden können. So hat auch diese That nichts innerlich<lb/>
Notwendiges, sondern sie ist lediglich ein äußerliches Mittel, für das jedes andre<lb/>
ebenso gut wäre, um die Aktion in Gang zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1529"> Wir kommen zu dem Auftritt, in welchem es dem Grafen gelingt, die<lb/>
Kaiserin für seine Absichten zu gewinnen. Es ist schwer, den Charakter des<lb/>
erstem zu schildern, ohne auch schon hier auf den der letztern näher einzugehen.<lb/>
Die Szene muß für jeden, der richtig fühlt und denkt, etwas Verletzendes haben.<lb/>
So leicht läßt sich kein stolzes Weib, geschweige denn eine Kaiserin gewinnen,<lb/>
oder wenn es wäre, so hätte doch der dramatische Dichter, wenn anders er das<lb/>
sittliche Interesse für die betreffende Persönlichkeit wach erhalten will, die Pflicht,<lb/>
die Möglichkeit so fern als nur möglich zu halten. Da ist zwar eine große Ver¬<lb/>
suchung: im letzten Augenblicke wird ihrem Sohne nicht bloß ein Teil des<lb/>
Frankenreiches, sondern die Aussicht auf das ganze geboten. Welches Frauen¬<lb/>
herz, welches Mutterherz würde nicht bei solchem Angebot erbeben! Aber es<lb/>
geschieht um den Preis ihrer Ehre, und wer ist es, der diesen Preis verlangt?<lb/>
Wenn die Kaiserin ihren stürmischen Bewerber gekannt hätte, wenn sie von jener<lb/>
Zeit her, wo sie dem bereits alternden Ludwig ihre Hand reichen mußte, dem<lb/>
früher geliebten ein treues Andenken bewahrt hätte, so war es ein andres.<lb/>
Der Dichter hätte Gelegenheit gefunden, in ergreifender Schilderung eines<lb/>
zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Glanz und Entsagung schwankenden Frauen-<lb/>
herzens den Hörer zu gewinnen und ihn, wenn auch nicht von der Moralität<lb/>
ihres Handelns zu überzeugen, doch mit zartem Erbarmen zu erfüllen. Aber hier<lb/>
ist ein völlig Unbekannter, ein Abenteurer, dein für den Zuschauer der Dichter<lb/>
nichts mit ans den Weg gegeben hat, als das Bewußtsein einer höchst unmora¬<lb/>
lischen That. Die Kaiserin weiß zwar davon nichts, aber im übrigen hat er<lb/>
nichts für sich, als daß er mit feurigen Worten die Glut seiner Liebe und mit<lb/>
mehr als Selbstbewußtsein seine sonst nicht vernommenen Thaten zu schildern<lb/>
vermag. Will uns der Dichter glauben machen, daß immer und überall Frcmen-<lb/>
tugend bloß durch glatte und prahlerische Worte zu Falle gebracht werdeu?<lb/>
Mag das im einzelnen Falle der Wirklichkeit entsprechen, aber es giebt auch<lb/>
schwerer wiegende Motive, und hier wären sie am Platze gewesen, nicht bloß<lb/>
um an die Kaiserin, sondern auch an ihren Verführer glaube,: zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1530" next="#ID_1531"> In der That, es fehlt überall an der ausreichenden Begründung. Wenn<lb/>
jemand Ansprüche auf eine in rechtmäßigen Händen ruhende Herrschaft macht,<lb/>
wenn er, um sie zu verwirklichen, vier Könige mit Gewalt aus dem Wege<lb/>
räumen, einen Kaiser ermorden will, dann muß derselbe sehr starke und halt¬<lb/>
bare Beweise vorbringen, daß mir in seiner Person die Welt, der er andre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] Die dramatische Runst E. v. Ivildenbruchs. Man könnte sich überhaupt wundern, weshalb uns der Dichter mit diesem Buben¬ streiche bekannt macht oder vielmehr ihn begehen läßt, wenn man nicht nachher merkte, daß die Anwesenheit der Maurin dazu notwendig ist, damit sowohl der sie begleitende Sklave als zwei aus der Heimat entsandte Boten von Wichtig¬ keit für die Handlung werden können. So hat auch diese That nichts innerlich Notwendiges, sondern sie ist lediglich ein äußerliches Mittel, für das jedes andre ebenso gut wäre, um die Aktion in Gang zu halten. Wir kommen zu dem Auftritt, in welchem es dem Grafen gelingt, die Kaiserin für seine Absichten zu gewinnen. Es ist schwer, den Charakter des erstem zu schildern, ohne auch schon hier auf den der letztern näher einzugehen. Die Szene muß für jeden, der richtig fühlt und denkt, etwas Verletzendes haben. So leicht läßt sich kein stolzes Weib, geschweige denn eine Kaiserin gewinnen, oder wenn es wäre, so hätte doch der dramatische Dichter, wenn anders er das sittliche Interesse für die betreffende Persönlichkeit wach erhalten will, die Pflicht, die Möglichkeit so fern als nur möglich zu halten. Da ist zwar eine große Ver¬ suchung: im letzten Augenblicke wird ihrem Sohne nicht bloß ein Teil des Frankenreiches, sondern die Aussicht auf das ganze geboten. Welches Frauen¬ herz, welches Mutterherz würde nicht bei solchem Angebot erbeben! Aber es geschieht um den Preis ihrer Ehre, und wer ist es, der diesen Preis verlangt? Wenn die Kaiserin ihren stürmischen Bewerber gekannt hätte, wenn sie von jener Zeit her, wo sie dem bereits alternden Ludwig ihre Hand reichen mußte, dem früher geliebten ein treues Andenken bewahrt hätte, so war es ein andres. Der Dichter hätte Gelegenheit gefunden, in ergreifender Schilderung eines zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Glanz und Entsagung schwankenden Frauen- herzens den Hörer zu gewinnen und ihn, wenn auch nicht von der Moralität ihres Handelns zu überzeugen, doch mit zartem Erbarmen zu erfüllen. Aber hier ist ein völlig Unbekannter, ein Abenteurer, dein für den Zuschauer der Dichter nichts mit ans den Weg gegeben hat, als das Bewußtsein einer höchst unmora¬ lischen That. Die Kaiserin weiß zwar davon nichts, aber im übrigen hat er nichts für sich, als daß er mit feurigen Worten die Glut seiner Liebe und mit mehr als Selbstbewußtsein seine sonst nicht vernommenen Thaten zu schildern vermag. Will uns der Dichter glauben machen, daß immer und überall Frcmen- tugend bloß durch glatte und prahlerische Worte zu Falle gebracht werdeu? Mag das im einzelnen Falle der Wirklichkeit entsprechen, aber es giebt auch schwerer wiegende Motive, und hier wären sie am Platze gewesen, nicht bloß um an die Kaiserin, sondern auch an ihren Verführer glaube,: zu machen. In der That, es fehlt überall an der ausreichenden Begründung. Wenn jemand Ansprüche auf eine in rechtmäßigen Händen ruhende Herrschaft macht, wenn er, um sie zu verwirklichen, vier Könige mit Gewalt aus dem Wege räumen, einen Kaiser ermorden will, dann muß derselbe sehr starke und halt¬ bare Beweise vorbringen, daß mir in seiner Person die Welt, der er andre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/379>, abgerufen am 01.09.2024.