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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zontralasien.

der neuen Herren zu gehorchen und pünktlich Steuern zu zahlen. Der Fanatismus
zwar, der sich gegen das Joch der ungläubigen Moskofs wiederholt aufgebäumt
hatte, erlosch bald; denn man begriff, daß der Kampf gegen sie aussichtslos
war, und mau sah allmählich ein, daß ihr Regiment, so mangelhaft es in
manchen Beziehungen auch sein mochte, der habsüchtigen und launenhaften
Thmnnei der einheimischen Herrscher und ihrer Beamten sowie den stets sich
wiederholenden Thronstreitigkciten, Aufständen und Kämpfen der Nomaden gegen
die Usbeken bei weitem vorzuziehen sei. Aber die Steuerkraft des Landes ist
schwach, sie entspricht den Kosten nicht, die es erfordert, und wenn in den
Jahren 1868 bis 1872 die Einnahmen etwa 10, die Ausgaben dagegen un¬
gefähr 28 Millionen Rubel betrugen, also in diesem fünfjährigen Zeiträume mit
einem Defizit von 18 Millionen gewirtschaftet wurde, so wird sich das trotz
mancher Reformen und des dadurch gehobnen Wohlstandes der Bevölkerung
seitdem kaum beträchtlich gebessert haben. Bei alledem aber durfte sich Rußland
mit seinen Eroberungen nicht zufrieden geben, es sah sich vielmehr genötigt, in
Mittelasien weiter zu annektiren, einmal weil die Sicherheit des bis dahin hier
erworbnen Besitzes die Unterwerfung der noch unabhängig gebliebner nomadischen
Nachbarn als gefährlicher Räuber erforderte, sodann weil im Laufe der Zeit
der Plan gereist war, Mittelasien zur Operationsbasis für eine dereinstige Er¬
oberung Indiens, wenigstens des Jndusgebietes zu gestalten, zu welchem Zwecke
zunächst das gesamte Usbeken-, Turkmenen- und Kirgisenland von der persischen
Ostgrenze bis nach Kaschgar hinunter dem Szepter der Zaren zu vereinigen
und dann wenigstens ein Teil von Afghanistan, etwa Wachau und Badakschan
sowie die Gebiete zwischen dem Hindukusch und dem Ann Darja nebst der
Oase Herat, hinzuzufügen waren.

Wir werden dies in einem Schlußartikel weiter auszuführen versuchen, denn
es verdient trotz aller Ableugnungen und Gegenversicherungen der Russen die
ernsteste Beachtung. Es wird die Hauptfrage der Zukunft, vielleicht einer nahen
Zukunft sein, und dieselbe wird zwar direkt nur Rußland und England, mittelbar
aber mehr oder weniger fühlbar auch uns berühren. Für heute fahren wir
noch in unserm Rückblicke fort und erzählen zunächst kurz den Hergang der
russischen Eroberungen im südwestlichen Mittelasien, die in die Jahre nach der
Einverleibung Kokands fallen, dann in einem eignen Abschnitte ausführlicher
die Ereignisse der jüngsten Tage im afghanischen Turkmenenlande.

Wie im Osten kirgisische Nomaden, so machten sich im Westen vorzüglich
unabhängige turkmenische Stämme dnrch Raubzüge den Russen lästig, sodaß sie
unterworfen werden mußten. So zunächst die Jomuden, dann die Achaltekinzen
und später die Horden, die in der Oase Merw ihren Mittelpunkt hatten. Die
Jomuden wurden 1878 angegriffen und besiegt. Schwerer war der Kampf mit
den Nchaltekiuzcn, die im folgenden Jahre dein General Lvmatin eine empfindliche
Niederlage beibrachten und auch Skobelew, dessen Nachfolger im Oberbefehl,


Die Russen in Zontralasien.

der neuen Herren zu gehorchen und pünktlich Steuern zu zahlen. Der Fanatismus
zwar, der sich gegen das Joch der ungläubigen Moskofs wiederholt aufgebäumt
hatte, erlosch bald; denn man begriff, daß der Kampf gegen sie aussichtslos
war, und mau sah allmählich ein, daß ihr Regiment, so mangelhaft es in
manchen Beziehungen auch sein mochte, der habsüchtigen und launenhaften
Thmnnei der einheimischen Herrscher und ihrer Beamten sowie den stets sich
wiederholenden Thronstreitigkciten, Aufständen und Kämpfen der Nomaden gegen
die Usbeken bei weitem vorzuziehen sei. Aber die Steuerkraft des Landes ist
schwach, sie entspricht den Kosten nicht, die es erfordert, und wenn in den
Jahren 1868 bis 1872 die Einnahmen etwa 10, die Ausgaben dagegen un¬
gefähr 28 Millionen Rubel betrugen, also in diesem fünfjährigen Zeiträume mit
einem Defizit von 18 Millionen gewirtschaftet wurde, so wird sich das trotz
mancher Reformen und des dadurch gehobnen Wohlstandes der Bevölkerung
seitdem kaum beträchtlich gebessert haben. Bei alledem aber durfte sich Rußland
mit seinen Eroberungen nicht zufrieden geben, es sah sich vielmehr genötigt, in
Mittelasien weiter zu annektiren, einmal weil die Sicherheit des bis dahin hier
erworbnen Besitzes die Unterwerfung der noch unabhängig gebliebner nomadischen
Nachbarn als gefährlicher Räuber erforderte, sodann weil im Laufe der Zeit
der Plan gereist war, Mittelasien zur Operationsbasis für eine dereinstige Er¬
oberung Indiens, wenigstens des Jndusgebietes zu gestalten, zu welchem Zwecke
zunächst das gesamte Usbeken-, Turkmenen- und Kirgisenland von der persischen
Ostgrenze bis nach Kaschgar hinunter dem Szepter der Zaren zu vereinigen
und dann wenigstens ein Teil von Afghanistan, etwa Wachau und Badakschan
sowie die Gebiete zwischen dem Hindukusch und dem Ann Darja nebst der
Oase Herat, hinzuzufügen waren.

Wir werden dies in einem Schlußartikel weiter auszuführen versuchen, denn
es verdient trotz aller Ableugnungen und Gegenversicherungen der Russen die
ernsteste Beachtung. Es wird die Hauptfrage der Zukunft, vielleicht einer nahen
Zukunft sein, und dieselbe wird zwar direkt nur Rußland und England, mittelbar
aber mehr oder weniger fühlbar auch uns berühren. Für heute fahren wir
noch in unserm Rückblicke fort und erzählen zunächst kurz den Hergang der
russischen Eroberungen im südwestlichen Mittelasien, die in die Jahre nach der
Einverleibung Kokands fallen, dann in einem eignen Abschnitte ausführlicher
die Ereignisse der jüngsten Tage im afghanischen Turkmenenlande.

Wie im Osten kirgisische Nomaden, so machten sich im Westen vorzüglich
unabhängige turkmenische Stämme dnrch Raubzüge den Russen lästig, sodaß sie
unterworfen werden mußten. So zunächst die Jomuden, dann die Achaltekinzen
und später die Horden, die in der Oase Merw ihren Mittelpunkt hatten. Die
Jomuden wurden 1878 angegriffen und besiegt. Schwerer war der Kampf mit
den Nchaltekiuzcn, die im folgenden Jahre dein General Lvmatin eine empfindliche
Niederlage beibrachten und auch Skobelew, dessen Nachfolger im Oberbefehl,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/335>, abgerufen am 28.07.2024.