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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Tod des Mahdi.

le Tories scheinen in ihrer ägyptischen Politik Glück haben zu
sollen. Der Tod des Mahdi, von uns vor kurzem noch bezweifelt,
ist ans einem Gerücht zur Thatsache geworden, und schon taucht
ein zweites Gerücht auf, nach welchem Osman Digma, der ge¬
schickteste und thatkräftigste Unterfeldherr des Propheten, gleichfalls
gestorben wäre. Bleiben wir bei dem ersten und widmen wir ihm zunächst einen
kurzen Nekrolog, so können wir sagen: er hat sein Werk im ganzen wohlgethan.
Zwar ließ er sich bisweilen eine Gelegenheit entgehen, aber im allgemeinen war
er ein glänzender Streiter für Allah und den Islam, und wenn anch die
Ferne viel zu der unheimlichen Majestät beitrug, die ihn umgab, so war er
doch ohne Zweifel eine ungewöhnliche Erscheinung in der Geschichte des Sudan
und des Nillaudes überhaupt, ein großes Rätsel und eine schwere Gefahr. Wie
ein Wüstengeist trat er plötzlich auf am Horizont, Erst ein kleiner schwarzer
Punkt, schwoll er von Jahr zu Jahr in die Höhe und in die Breite, bis er
zum furchtbaren Rächer des Glaubens an dem geworden war, was mau in
Kairo und London Zivilisation nennt, des Glaubens, der im Sudan noch seine
Urkraft bewahrt. Er war offenbar eine Verkörperung dieses Glaubens, sonst
hätte er nicht vollbracht, was er begann. Nach Jahren einsamer Andacht und
Beschaulichkeit trat er aus seiner Zelle auf der fernen Insel unter die Mullahs
und verkündete ihnen: "Ich bin, der da kommen soll!" Sie spotteten seiner,
aber die Frommen, die Derwische des Landes, hörten auf seine Stimme, und das
Volk sammelte sich um ihn. Von Dorf zu Dorf, von Zeltlager zu Zeltlager
ging die Rede, daß er der Mahdi, der Herold des tausendjährigen Reiches, des
ersten Sturmes sei, der dem Auferstehungstage vorangeht, die Ungläubigen wie
ein Kornfeld niederlegt und den Gläubigen wie die Posaune des Erzengels be-


Grenzbvten III. 13SS. N


Der Tod des Mahdi.

le Tories scheinen in ihrer ägyptischen Politik Glück haben zu
sollen. Der Tod des Mahdi, von uns vor kurzem noch bezweifelt,
ist ans einem Gerücht zur Thatsache geworden, und schon taucht
ein zweites Gerücht auf, nach welchem Osman Digma, der ge¬
schickteste und thatkräftigste Unterfeldherr des Propheten, gleichfalls
gestorben wäre. Bleiben wir bei dem ersten und widmen wir ihm zunächst einen
kurzen Nekrolog, so können wir sagen: er hat sein Werk im ganzen wohlgethan.
Zwar ließ er sich bisweilen eine Gelegenheit entgehen, aber im allgemeinen war
er ein glänzender Streiter für Allah und den Islam, und wenn anch die
Ferne viel zu der unheimlichen Majestät beitrug, die ihn umgab, so war er
doch ohne Zweifel eine ungewöhnliche Erscheinung in der Geschichte des Sudan
und des Nillaudes überhaupt, ein großes Rätsel und eine schwere Gefahr. Wie
ein Wüstengeist trat er plötzlich auf am Horizont, Erst ein kleiner schwarzer
Punkt, schwoll er von Jahr zu Jahr in die Höhe und in die Breite, bis er
zum furchtbaren Rächer des Glaubens an dem geworden war, was mau in
Kairo und London Zivilisation nennt, des Glaubens, der im Sudan noch seine
Urkraft bewahrt. Er war offenbar eine Verkörperung dieses Glaubens, sonst
hätte er nicht vollbracht, was er begann. Nach Jahren einsamer Andacht und
Beschaulichkeit trat er aus seiner Zelle auf der fernen Insel unter die Mullahs
und verkündete ihnen: „Ich bin, der da kommen soll!" Sie spotteten seiner,
aber die Frommen, die Derwische des Landes, hörten auf seine Stimme, und das
Volk sammelte sich um ihn. Von Dorf zu Dorf, von Zeltlager zu Zeltlager
ging die Rede, daß er der Mahdi, der Herold des tausendjährigen Reiches, des
ersten Sturmes sei, der dem Auferstehungstage vorangeht, die Ungläubigen wie
ein Kornfeld niederlegt und den Gläubigen wie die Posaune des Erzengels be-


Grenzbvten III. 13SS. N
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[0297] [Abbildung] Der Tod des Mahdi. le Tories scheinen in ihrer ägyptischen Politik Glück haben zu sollen. Der Tod des Mahdi, von uns vor kurzem noch bezweifelt, ist ans einem Gerücht zur Thatsache geworden, und schon taucht ein zweites Gerücht auf, nach welchem Osman Digma, der ge¬ schickteste und thatkräftigste Unterfeldherr des Propheten, gleichfalls gestorben wäre. Bleiben wir bei dem ersten und widmen wir ihm zunächst einen kurzen Nekrolog, so können wir sagen: er hat sein Werk im ganzen wohlgethan. Zwar ließ er sich bisweilen eine Gelegenheit entgehen, aber im allgemeinen war er ein glänzender Streiter für Allah und den Islam, und wenn anch die Ferne viel zu der unheimlichen Majestät beitrug, die ihn umgab, so war er doch ohne Zweifel eine ungewöhnliche Erscheinung in der Geschichte des Sudan und des Nillaudes überhaupt, ein großes Rätsel und eine schwere Gefahr. Wie ein Wüstengeist trat er plötzlich auf am Horizont, Erst ein kleiner schwarzer Punkt, schwoll er von Jahr zu Jahr in die Höhe und in die Breite, bis er zum furchtbaren Rächer des Glaubens an dem geworden war, was mau in Kairo und London Zivilisation nennt, des Glaubens, der im Sudan noch seine Urkraft bewahrt. Er war offenbar eine Verkörperung dieses Glaubens, sonst hätte er nicht vollbracht, was er begann. Nach Jahren einsamer Andacht und Beschaulichkeit trat er aus seiner Zelle auf der fernen Insel unter die Mullahs und verkündete ihnen: „Ich bin, der da kommen soll!" Sie spotteten seiner, aber die Frommen, die Derwische des Landes, hörten auf seine Stimme, und das Volk sammelte sich um ihn. Von Dorf zu Dorf, von Zeltlager zu Zeltlager ging die Rede, daß er der Mahdi, der Herold des tausendjährigen Reiches, des ersten Sturmes sei, der dem Auferstehungstage vorangeht, die Ungläubigen wie ein Kornfeld niederlegt und den Gläubigen wie die Posaune des Erzengels be- Grenzbvten III. 13SS. N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/297>, abgerufen am 25.11.2024.