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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

gründlichen, selbständigen Studien ehrendes Zeugnis. Umso unverständlicher
bleibt es, warum er durch eine scharfe Polemik gegen Strauß seine ganz un¬
vermeidliche Abhängigkeit von ihm zu verhüllen sucht. Hauffs Buch kann trotz
mancher Unrichtigkeiten als eine nützliche und dankenswerte Ergänzung des Werkes
von Strauß auf Beifall Anspruch erheben. Die bedeutendsten Abweichungen
von Strauß ergeben sich daraus, daß Hauff den Anklagen der in bußfertiger
Stimmung geschriebenen Selbstbiographie mehr Glauben schenkt; die richtigere
Auffassung dürfte sich freilich bei Strauß finden. Hauffs Kapitel über "Schubart
als Musiker" ist durchaus ungenügend, und gerade hierfür hat auch Strauß
garnichts geboten. Wenn Hauff aber die Musik als den bösen Genius Schu-
barts bezeichnet, so weiß man wirklich nicht, was man dazu sagen soll. Schu¬
bart war nicht minder Musiker als Dichter; durch seine musikalische Begabung
hat er Eingang in Kreise gefunden, in denen seine nie besonders starke Sittlich¬
keit Schiffbruch litt. Mit demselben Rechte könnte man dann die Poesie den
bösen Genius Johann Christian Günthers nennen. Mißbrauch und üble Folgen
können ans allem entstehen; woher weiß denn Hauff, daß auf Schubart die Musik
nicht auch einen heilsamen Einfluß ausgeübt hat? Ein so frommes, der augenblick¬
lichen Erregung zugängliches Gemüt wie das Schubarts wird bei der amtlichen
Ausübung der Kirchenmusik ebenso wohlthätige Einflüsse empfangen haben, als ihn
seine musikalische Begabung gefährlichen aussetzte. Hanfs polemisirt gegen die
autithevlogische Auffassung von Strauß. Wer Strauß' Arbeit über Klopstock
keunt, wird ihn von störender Einseitigkeit in literarischen Dingen gewiß frei¬
sprechen. Hauff handelt mit feierlichem Ernste von dem Traume, den Schubart
in seinen Selbstanklagen erzählt, macht ihm Vorwürfe, daß er dieser offenbar
göttlichen Warnung nicht Folge geleistet habe -- soll das etwa Strauß gegenüber
eine theologische Auffassung sein? Dann ziehe ich doch die antitheologische vor.

Hauff fordert durch seine gänzlich ungerechtfertigte Kritik gegen Strauß,
der ihm Schritt vor Schritt den Weg gebahnt, die Kritik gegen seine eigne
Arbeit förmlich heraus, und diese giebt derselben gar manche Blöße. Ich möchte
aber statt dessen lieber auf das Verdienstliche von Hauffs Arbeit hinweisen.
Schubart hat in unsern Literaturgeschichten noch keineswegs die ihm gebührende
Stellung und Anerkennung erlangt. Eine neue monographische Arbeit über
ihn war deshalb Wohl am Platze. Zur richtigen Würdigung des schwäbischen
Dichters und Chronisten wird Hauffs fleißige Arbeit ohne Zweifel behilflich sein.


Max Koch.


Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

gründlichen, selbständigen Studien ehrendes Zeugnis. Umso unverständlicher
bleibt es, warum er durch eine scharfe Polemik gegen Strauß seine ganz un¬
vermeidliche Abhängigkeit von ihm zu verhüllen sucht. Hauffs Buch kann trotz
mancher Unrichtigkeiten als eine nützliche und dankenswerte Ergänzung des Werkes
von Strauß auf Beifall Anspruch erheben. Die bedeutendsten Abweichungen
von Strauß ergeben sich daraus, daß Hauff den Anklagen der in bußfertiger
Stimmung geschriebenen Selbstbiographie mehr Glauben schenkt; die richtigere
Auffassung dürfte sich freilich bei Strauß finden. Hauffs Kapitel über „Schubart
als Musiker" ist durchaus ungenügend, und gerade hierfür hat auch Strauß
garnichts geboten. Wenn Hauff aber die Musik als den bösen Genius Schu-
barts bezeichnet, so weiß man wirklich nicht, was man dazu sagen soll. Schu¬
bart war nicht minder Musiker als Dichter; durch seine musikalische Begabung
hat er Eingang in Kreise gefunden, in denen seine nie besonders starke Sittlich¬
keit Schiffbruch litt. Mit demselben Rechte könnte man dann die Poesie den
bösen Genius Johann Christian Günthers nennen. Mißbrauch und üble Folgen
können ans allem entstehen; woher weiß denn Hauff, daß auf Schubart die Musik
nicht auch einen heilsamen Einfluß ausgeübt hat? Ein so frommes, der augenblick¬
lichen Erregung zugängliches Gemüt wie das Schubarts wird bei der amtlichen
Ausübung der Kirchenmusik ebenso wohlthätige Einflüsse empfangen haben, als ihn
seine musikalische Begabung gefährlichen aussetzte. Hanfs polemisirt gegen die
autithevlogische Auffassung von Strauß. Wer Strauß' Arbeit über Klopstock
keunt, wird ihn von störender Einseitigkeit in literarischen Dingen gewiß frei¬
sprechen. Hauff handelt mit feierlichem Ernste von dem Traume, den Schubart
in seinen Selbstanklagen erzählt, macht ihm Vorwürfe, daß er dieser offenbar
göttlichen Warnung nicht Folge geleistet habe — soll das etwa Strauß gegenüber
eine theologische Auffassung sein? Dann ziehe ich doch die antitheologische vor.

Hauff fordert durch seine gänzlich ungerechtfertigte Kritik gegen Strauß,
der ihm Schritt vor Schritt den Weg gebahnt, die Kritik gegen seine eigne
Arbeit förmlich heraus, und diese giebt derselben gar manche Blöße. Ich möchte
aber statt dessen lieber auf das Verdienstliche von Hauffs Arbeit hinweisen.
Schubart hat in unsern Literaturgeschichten noch keineswegs die ihm gebührende
Stellung und Anerkennung erlangt. Eine neue monographische Arbeit über
ihn war deshalb Wohl am Platze. Zur richtigen Würdigung des schwäbischen
Dichters und Chronisten wird Hauffs fleißige Arbeit ohne Zweifel behilflich sein.


Max Koch.


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[0276] Lin politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts. gründlichen, selbständigen Studien ehrendes Zeugnis. Umso unverständlicher bleibt es, warum er durch eine scharfe Polemik gegen Strauß seine ganz un¬ vermeidliche Abhängigkeit von ihm zu verhüllen sucht. Hauffs Buch kann trotz mancher Unrichtigkeiten als eine nützliche und dankenswerte Ergänzung des Werkes von Strauß auf Beifall Anspruch erheben. Die bedeutendsten Abweichungen von Strauß ergeben sich daraus, daß Hauff den Anklagen der in bußfertiger Stimmung geschriebenen Selbstbiographie mehr Glauben schenkt; die richtigere Auffassung dürfte sich freilich bei Strauß finden. Hauffs Kapitel über „Schubart als Musiker" ist durchaus ungenügend, und gerade hierfür hat auch Strauß garnichts geboten. Wenn Hauff aber die Musik als den bösen Genius Schu- barts bezeichnet, so weiß man wirklich nicht, was man dazu sagen soll. Schu¬ bart war nicht minder Musiker als Dichter; durch seine musikalische Begabung hat er Eingang in Kreise gefunden, in denen seine nie besonders starke Sittlich¬ keit Schiffbruch litt. Mit demselben Rechte könnte man dann die Poesie den bösen Genius Johann Christian Günthers nennen. Mißbrauch und üble Folgen können ans allem entstehen; woher weiß denn Hauff, daß auf Schubart die Musik nicht auch einen heilsamen Einfluß ausgeübt hat? Ein so frommes, der augenblick¬ lichen Erregung zugängliches Gemüt wie das Schubarts wird bei der amtlichen Ausübung der Kirchenmusik ebenso wohlthätige Einflüsse empfangen haben, als ihn seine musikalische Begabung gefährlichen aussetzte. Hanfs polemisirt gegen die autithevlogische Auffassung von Strauß. Wer Strauß' Arbeit über Klopstock keunt, wird ihn von störender Einseitigkeit in literarischen Dingen gewiß frei¬ sprechen. Hauff handelt mit feierlichem Ernste von dem Traume, den Schubart in seinen Selbstanklagen erzählt, macht ihm Vorwürfe, daß er dieser offenbar göttlichen Warnung nicht Folge geleistet habe — soll das etwa Strauß gegenüber eine theologische Auffassung sein? Dann ziehe ich doch die antitheologische vor. Hauff fordert durch seine gänzlich ungerechtfertigte Kritik gegen Strauß, der ihm Schritt vor Schritt den Weg gebahnt, die Kritik gegen seine eigne Arbeit förmlich heraus, und diese giebt derselben gar manche Blöße. Ich möchte aber statt dessen lieber auf das Verdienstliche von Hauffs Arbeit hinweisen. Schubart hat in unsern Literaturgeschichten noch keineswegs die ihm gebührende Stellung und Anerkennung erlangt. Eine neue monographische Arbeit über ihn war deshalb Wohl am Platze. Zur richtigen Würdigung des schwäbischen Dichters und Chronisten wird Hauffs fleißige Arbeit ohne Zweifel behilflich sein. Max Koch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/276>, abgerufen am 28.07.2024.