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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

gestellten, aber immer noch verzögerten Neudruck Schubarts Chronik ist, wenn
nicht die erste deutsche, so doch die erste süddeutsche politische Zeitung, der eine
geschichtliche Bedeutung zukommt. Auch Schubart war ursprünglich nur "Fritzisch"
gesinnt, wie Goethe es in "Dichtung und Wahrheit" nennt. Er hat auch später
die Persönlichkeit Friedrichs des Großen vor allem gefeiert, aber aus der
"Fritzischen" entwickelte sich ihm eine "preußische" Gesinnung. Treitschke rühmt
es Wieland nach, er sei unter unsern Klassikern der einzige gewesen, welcher den
Wendungen der Tagespolitik mit reger Teilnahme folgte und in Karl August
das Verständnis für den Staat weckte. Unsern Klassikern darf man Schubart
freilich nicht beizählen, unter unsern Schriftstellern sind es aber noch zwei
Schwaben gewesen, die dasselbe, ja vielleicht noch ein höheres Lob als Wieland
für sich in Anspruch nehmen können: Schubart und Thomas Abbe (geboren den
25. November 1733 zu Ulm, gestorben den 3. November 1766 zu Bückeburg).
Thomas Abbe, durch seine Teilnahme an den Berliner "Litcraturbriefcn" und
Herders, seines Amtsnachfolgers, "Eulogium" mehr bekannt als durch seine
Werke, war in früher Jugend nach Preußen gekommen und erwarb sich hier
eine ungewöhnliche politische Bildung. Seine beiden Schriften "Vom Verdienste"
und "Vom Tode fürs Vaterland" sondern sich vorteilhaft ab von den farblosen
moralischen Betrachtungen und Ermahnungen der populären Moralphilosophen.
Es bezeichnet den Zustand, in welchen das Kleinfürftentum, wie Schubarts ge¬
strenger Herzog es ausübte, uns gebracht hatte, daß Abbe sich genötigt sah, den
Satz zu verteidigen, auch in Monarchien gebe es für den Einzelnen ein Vater¬
land. Der süddeutsche Schriftsteller, welcher Bürger des preußischen Staates
geworden war, lehrte mit überlegner politischer Einsicht, daß jeder Einzelne in
einem Verhältnisse zum Staate stehe, und pries Friedrich den Zweiten als den
Lenker eines Staates, der seinen Mitgliedern ein Vaterland gebe. Man braucht
sich nur zu erinnern, welch sonderbare Ansichten noch Wilhelm von Humboldt
in jüngern Jahren vom Wesen des Staates, den er nur als ein notwendiges
Übel betrachtete, hegte, um das Verdienst Abbts würdigen zu können. Ein
systematisches Denken und Darstellen, wie es Abbe, für den er sich lebhaft inter-
essirte, eigen war, lag freilich völlig außerhalb von Schubarts Vermögen. Er
griff aber verwandte Ideen in seiner Weise auf und wirkte für ihre Ausbrei¬
tung, wie er es vermochte. Abbe wendet sich in seinen Schriften, denen allen
eine gewisse Vornehmheit eigen ist, an ein auserlesenes, gebildetes Publikum;
der derbe Volksredner Schubart, der nicht bei Lessing und Sulzer, sondern bei
Götz von Berlichingen in die Schule gegangen war, wandte sich mit seiner
Zeitung an die weitesten Kreise des Volkes. Aufklärung und Sturm und Drang
erscheinen sonst in unsrer Literaturgeschichte verfeindet; die im Stile der Sturm¬
und Drangperiode geschriebn" "Chronik" Schubarts hat für die Aufklärung in
Schwaben, Baiern und Franken gewirkt. Sie ist nach Schubarts Freilassung
wohl die gelesenste deutsche Zeitung gewesen; ihre Abonnentenzahl stieg über


Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts.

gestellten, aber immer noch verzögerten Neudruck Schubarts Chronik ist, wenn
nicht die erste deutsche, so doch die erste süddeutsche politische Zeitung, der eine
geschichtliche Bedeutung zukommt. Auch Schubart war ursprünglich nur „Fritzisch"
gesinnt, wie Goethe es in „Dichtung und Wahrheit" nennt. Er hat auch später
die Persönlichkeit Friedrichs des Großen vor allem gefeiert, aber aus der
„Fritzischen" entwickelte sich ihm eine „preußische" Gesinnung. Treitschke rühmt
es Wieland nach, er sei unter unsern Klassikern der einzige gewesen, welcher den
Wendungen der Tagespolitik mit reger Teilnahme folgte und in Karl August
das Verständnis für den Staat weckte. Unsern Klassikern darf man Schubart
freilich nicht beizählen, unter unsern Schriftstellern sind es aber noch zwei
Schwaben gewesen, die dasselbe, ja vielleicht noch ein höheres Lob als Wieland
für sich in Anspruch nehmen können: Schubart und Thomas Abbe (geboren den
25. November 1733 zu Ulm, gestorben den 3. November 1766 zu Bückeburg).
Thomas Abbe, durch seine Teilnahme an den Berliner „Litcraturbriefcn" und
Herders, seines Amtsnachfolgers, „Eulogium" mehr bekannt als durch seine
Werke, war in früher Jugend nach Preußen gekommen und erwarb sich hier
eine ungewöhnliche politische Bildung. Seine beiden Schriften „Vom Verdienste"
und „Vom Tode fürs Vaterland" sondern sich vorteilhaft ab von den farblosen
moralischen Betrachtungen und Ermahnungen der populären Moralphilosophen.
Es bezeichnet den Zustand, in welchen das Kleinfürftentum, wie Schubarts ge¬
strenger Herzog es ausübte, uns gebracht hatte, daß Abbe sich genötigt sah, den
Satz zu verteidigen, auch in Monarchien gebe es für den Einzelnen ein Vater¬
land. Der süddeutsche Schriftsteller, welcher Bürger des preußischen Staates
geworden war, lehrte mit überlegner politischer Einsicht, daß jeder Einzelne in
einem Verhältnisse zum Staate stehe, und pries Friedrich den Zweiten als den
Lenker eines Staates, der seinen Mitgliedern ein Vaterland gebe. Man braucht
sich nur zu erinnern, welch sonderbare Ansichten noch Wilhelm von Humboldt
in jüngern Jahren vom Wesen des Staates, den er nur als ein notwendiges
Übel betrachtete, hegte, um das Verdienst Abbts würdigen zu können. Ein
systematisches Denken und Darstellen, wie es Abbe, für den er sich lebhaft inter-
essirte, eigen war, lag freilich völlig außerhalb von Schubarts Vermögen. Er
griff aber verwandte Ideen in seiner Weise auf und wirkte für ihre Ausbrei¬
tung, wie er es vermochte. Abbe wendet sich in seinen Schriften, denen allen
eine gewisse Vornehmheit eigen ist, an ein auserlesenes, gebildetes Publikum;
der derbe Volksredner Schubart, der nicht bei Lessing und Sulzer, sondern bei
Götz von Berlichingen in die Schule gegangen war, wandte sich mit seiner
Zeitung an die weitesten Kreise des Volkes. Aufklärung und Sturm und Drang
erscheinen sonst in unsrer Literaturgeschichte verfeindet; die im Stile der Sturm¬
und Drangperiode geschriebn« „Chronik" Schubarts hat für die Aufklärung in
Schwaben, Baiern und Franken gewirkt. Sie ist nach Schubarts Freilassung
wohl die gelesenste deutsche Zeitung gewesen; ihre Abonnentenzahl stieg über


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[0274] Ein politischer Dichter und Zeitungsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts. gestellten, aber immer noch verzögerten Neudruck Schubarts Chronik ist, wenn nicht die erste deutsche, so doch die erste süddeutsche politische Zeitung, der eine geschichtliche Bedeutung zukommt. Auch Schubart war ursprünglich nur „Fritzisch" gesinnt, wie Goethe es in „Dichtung und Wahrheit" nennt. Er hat auch später die Persönlichkeit Friedrichs des Großen vor allem gefeiert, aber aus der „Fritzischen" entwickelte sich ihm eine „preußische" Gesinnung. Treitschke rühmt es Wieland nach, er sei unter unsern Klassikern der einzige gewesen, welcher den Wendungen der Tagespolitik mit reger Teilnahme folgte und in Karl August das Verständnis für den Staat weckte. Unsern Klassikern darf man Schubart freilich nicht beizählen, unter unsern Schriftstellern sind es aber noch zwei Schwaben gewesen, die dasselbe, ja vielleicht noch ein höheres Lob als Wieland für sich in Anspruch nehmen können: Schubart und Thomas Abbe (geboren den 25. November 1733 zu Ulm, gestorben den 3. November 1766 zu Bückeburg). Thomas Abbe, durch seine Teilnahme an den Berliner „Litcraturbriefcn" und Herders, seines Amtsnachfolgers, „Eulogium" mehr bekannt als durch seine Werke, war in früher Jugend nach Preußen gekommen und erwarb sich hier eine ungewöhnliche politische Bildung. Seine beiden Schriften „Vom Verdienste" und „Vom Tode fürs Vaterland" sondern sich vorteilhaft ab von den farblosen moralischen Betrachtungen und Ermahnungen der populären Moralphilosophen. Es bezeichnet den Zustand, in welchen das Kleinfürftentum, wie Schubarts ge¬ strenger Herzog es ausübte, uns gebracht hatte, daß Abbe sich genötigt sah, den Satz zu verteidigen, auch in Monarchien gebe es für den Einzelnen ein Vater¬ land. Der süddeutsche Schriftsteller, welcher Bürger des preußischen Staates geworden war, lehrte mit überlegner politischer Einsicht, daß jeder Einzelne in einem Verhältnisse zum Staate stehe, und pries Friedrich den Zweiten als den Lenker eines Staates, der seinen Mitgliedern ein Vaterland gebe. Man braucht sich nur zu erinnern, welch sonderbare Ansichten noch Wilhelm von Humboldt in jüngern Jahren vom Wesen des Staates, den er nur als ein notwendiges Übel betrachtete, hegte, um das Verdienst Abbts würdigen zu können. Ein systematisches Denken und Darstellen, wie es Abbe, für den er sich lebhaft inter- essirte, eigen war, lag freilich völlig außerhalb von Schubarts Vermögen. Er griff aber verwandte Ideen in seiner Weise auf und wirkte für ihre Ausbrei¬ tung, wie er es vermochte. Abbe wendet sich in seinen Schriften, denen allen eine gewisse Vornehmheit eigen ist, an ein auserlesenes, gebildetes Publikum; der derbe Volksredner Schubart, der nicht bei Lessing und Sulzer, sondern bei Götz von Berlichingen in die Schule gegangen war, wandte sich mit seiner Zeitung an die weitesten Kreise des Volkes. Aufklärung und Sturm und Drang erscheinen sonst in unsrer Literaturgeschichte verfeindet; die im Stile der Sturm¬ und Drangperiode geschriebn« „Chronik" Schubarts hat für die Aufklärung in Schwaben, Baiern und Franken gewirkt. Sie ist nach Schubarts Freilassung wohl die gelesenste deutsche Zeitung gewesen; ihre Abonnentenzahl stieg über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/274>, abgerufen am 25.11.2024.