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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Eichsfelder Arbeiter.

lung der Zuckerrübe vertrauten Arbeitskräften sehr gestiegen. Zu diesen Arbeiten
eignen sich eben nach dem Urteile aller Landwirte die Eichsfelder ganz vorzüg¬
lich, während die Arbeiterbevölkerung in den Zuckerrübeugegcnden oft garnicht
dazu zu gebrauchen ist -- auch eine Wirkung der Arbeitsteilung, da die Eichs-
feldcr sich nur selten und ungern andern Arbeiten unterziehen. Neuerdings hat
man auch angefangen, polnische Arbeiter zu mieten, um so den oftmals alles
Maß überschreitenden Forderungen der Eichsfelder aus dem Wege zu gehen.
Die Erfahrungen aber, die man mit den polnischen Arbeitern gemacht hat, sind,
wie wir von westfälischen Landwirten erfahren, keine guten. Sie stehen den Eichs¬
feldern weit nach, besonders was die Sorgfalt bei der Arbeit angeht, die gerade
bei dem Aufpflanzen und Anhäufen der Zuckerrübe von großer Wichtigkeit ist.

Der monatliche Verdienst der Eichsfeldcr Arbeiterinnen beläuft sich auf etwa
dreißig Mark, oft auf mehr, da sogenannte Überstunden, die im Hochsommer
früh morgens oder spät abends zum Tagespeusum hinzukommen, besonders be¬
zahlt werden, im Durchschnitt die Stunde mit zehn Pfennigen. Nach einer ge¬
wöhnlich siebenmonatlichen Arbeitszeit kehren die Arbeiterinnen mit einem Rcin-
verdienst von 200 bis 220 Mark in ihr Eichsfeld zurück. Sowohl Hin- wie
Rückfahrt geschieht meistens auf Kosten der Arbeitgeber.

Es siud somit recht ansehnliche Summen, die auf diese Weise dem Eichs¬
felde zufließen und so die notwendige Ergänzung zu der ungenügenden Ertrags¬
fähigkeit des heimatlichen Bodens abgeben. Während aber das junge Geschlecht
auswärts war, haben die Alten die spärliche Ernte eingebracht, wozu die wenigen
Kräfte mehr als ausreichend waren. Kein Wunder, daß die Dörfer im Sommer
wie ausgestorben erscheinen, nnr Kinder und alte Leute erblickt man vor den
Thüren. Nur im Winter ist die gesamte Familie beisammen, nur da kann auch
vou einem eigentlichen Familienleben die Rede sein, da wird geliebt und wird
gefreit.

Über alle Maßen lieben die Eichsfeldcr Gesang und Tanz. Da entschädigt
man sich denn für alle Entbehrungen der Sommerzeit. Wie von alters her,
ist der Tanzplatz der Anger bei der Dorflinde, wo mich alljährlich das Fest des
Kirchenpatrons, die "Kirmeß," mit dreitägigen Tanzvergnügen gefeiert wird.
Zit diesem Feste lassen sich die Mädchen in die Heimat beurlauben, und wären
sie auch noch so weit entfernt, ja dieser Urlaub ist eine oonäitio sine- ^rin non
ihres Arbcitsvcrtrages. Die Musik machen sich die Eichsfelder selber, denn wohl
nirgends ist das Mnsikautentum so zu Hause wie hier. Auch die Eichsfelder
Musikanten durchziehen den größten Teil des Jahres in Trupps vou sechs bis
neun Mann ganz Deutschland, blasen und fideln sich ein hübsches Sümmchen
zusammen, mit dem sie dann im beginnenden Winter zu Weib und Kind zurück¬
kehren, um beim ersten Lerchenfang wieder in alle Welt zu ziehen. Bis nach
Rußland hinein erstrecken sich die Streifzüge dieser Mrnäs ckiot. An Musikanten-
ehcn mit neunmonatlicher Trennung im Jahre nimmt im Eichsfelde niemand


Eichsfelder Arbeiter.

lung der Zuckerrübe vertrauten Arbeitskräften sehr gestiegen. Zu diesen Arbeiten
eignen sich eben nach dem Urteile aller Landwirte die Eichsfelder ganz vorzüg¬
lich, während die Arbeiterbevölkerung in den Zuckerrübeugegcnden oft garnicht
dazu zu gebrauchen ist — auch eine Wirkung der Arbeitsteilung, da die Eichs-
feldcr sich nur selten und ungern andern Arbeiten unterziehen. Neuerdings hat
man auch angefangen, polnische Arbeiter zu mieten, um so den oftmals alles
Maß überschreitenden Forderungen der Eichsfelder aus dem Wege zu gehen.
Die Erfahrungen aber, die man mit den polnischen Arbeitern gemacht hat, sind,
wie wir von westfälischen Landwirten erfahren, keine guten. Sie stehen den Eichs¬
feldern weit nach, besonders was die Sorgfalt bei der Arbeit angeht, die gerade
bei dem Aufpflanzen und Anhäufen der Zuckerrübe von großer Wichtigkeit ist.

Der monatliche Verdienst der Eichsfeldcr Arbeiterinnen beläuft sich auf etwa
dreißig Mark, oft auf mehr, da sogenannte Überstunden, die im Hochsommer
früh morgens oder spät abends zum Tagespeusum hinzukommen, besonders be¬
zahlt werden, im Durchschnitt die Stunde mit zehn Pfennigen. Nach einer ge¬
wöhnlich siebenmonatlichen Arbeitszeit kehren die Arbeiterinnen mit einem Rcin-
verdienst von 200 bis 220 Mark in ihr Eichsfeld zurück. Sowohl Hin- wie
Rückfahrt geschieht meistens auf Kosten der Arbeitgeber.

Es siud somit recht ansehnliche Summen, die auf diese Weise dem Eichs¬
felde zufließen und so die notwendige Ergänzung zu der ungenügenden Ertrags¬
fähigkeit des heimatlichen Bodens abgeben. Während aber das junge Geschlecht
auswärts war, haben die Alten die spärliche Ernte eingebracht, wozu die wenigen
Kräfte mehr als ausreichend waren. Kein Wunder, daß die Dörfer im Sommer
wie ausgestorben erscheinen, nnr Kinder und alte Leute erblickt man vor den
Thüren. Nur im Winter ist die gesamte Familie beisammen, nur da kann auch
vou einem eigentlichen Familienleben die Rede sein, da wird geliebt und wird
gefreit.

Über alle Maßen lieben die Eichsfeldcr Gesang und Tanz. Da entschädigt
man sich denn für alle Entbehrungen der Sommerzeit. Wie von alters her,
ist der Tanzplatz der Anger bei der Dorflinde, wo mich alljährlich das Fest des
Kirchenpatrons, die „Kirmeß," mit dreitägigen Tanzvergnügen gefeiert wird.
Zit diesem Feste lassen sich die Mädchen in die Heimat beurlauben, und wären
sie auch noch so weit entfernt, ja dieser Urlaub ist eine oonäitio sine- ^rin non
ihres Arbcitsvcrtrages. Die Musik machen sich die Eichsfelder selber, denn wohl
nirgends ist das Mnsikautentum so zu Hause wie hier. Auch die Eichsfelder
Musikanten durchziehen den größten Teil des Jahres in Trupps vou sechs bis
neun Mann ganz Deutschland, blasen und fideln sich ein hübsches Sümmchen
zusammen, mit dem sie dann im beginnenden Winter zu Weib und Kind zurück¬
kehren, um beim ersten Lerchenfang wieder in alle Welt zu ziehen. Bis nach
Rußland hinein erstrecken sich die Streifzüge dieser Mrnäs ckiot. An Musikanten-
ehcn mit neunmonatlicher Trennung im Jahre nimmt im Eichsfelde niemand


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[0269] Eichsfelder Arbeiter. lung der Zuckerrübe vertrauten Arbeitskräften sehr gestiegen. Zu diesen Arbeiten eignen sich eben nach dem Urteile aller Landwirte die Eichsfelder ganz vorzüg¬ lich, während die Arbeiterbevölkerung in den Zuckerrübeugegcnden oft garnicht dazu zu gebrauchen ist — auch eine Wirkung der Arbeitsteilung, da die Eichs- feldcr sich nur selten und ungern andern Arbeiten unterziehen. Neuerdings hat man auch angefangen, polnische Arbeiter zu mieten, um so den oftmals alles Maß überschreitenden Forderungen der Eichsfelder aus dem Wege zu gehen. Die Erfahrungen aber, die man mit den polnischen Arbeitern gemacht hat, sind, wie wir von westfälischen Landwirten erfahren, keine guten. Sie stehen den Eichs¬ feldern weit nach, besonders was die Sorgfalt bei der Arbeit angeht, die gerade bei dem Aufpflanzen und Anhäufen der Zuckerrübe von großer Wichtigkeit ist. Der monatliche Verdienst der Eichsfeldcr Arbeiterinnen beläuft sich auf etwa dreißig Mark, oft auf mehr, da sogenannte Überstunden, die im Hochsommer früh morgens oder spät abends zum Tagespeusum hinzukommen, besonders be¬ zahlt werden, im Durchschnitt die Stunde mit zehn Pfennigen. Nach einer ge¬ wöhnlich siebenmonatlichen Arbeitszeit kehren die Arbeiterinnen mit einem Rcin- verdienst von 200 bis 220 Mark in ihr Eichsfeld zurück. Sowohl Hin- wie Rückfahrt geschieht meistens auf Kosten der Arbeitgeber. Es siud somit recht ansehnliche Summen, die auf diese Weise dem Eichs¬ felde zufließen und so die notwendige Ergänzung zu der ungenügenden Ertrags¬ fähigkeit des heimatlichen Bodens abgeben. Während aber das junge Geschlecht auswärts war, haben die Alten die spärliche Ernte eingebracht, wozu die wenigen Kräfte mehr als ausreichend waren. Kein Wunder, daß die Dörfer im Sommer wie ausgestorben erscheinen, nnr Kinder und alte Leute erblickt man vor den Thüren. Nur im Winter ist die gesamte Familie beisammen, nur da kann auch vou einem eigentlichen Familienleben die Rede sein, da wird geliebt und wird gefreit. Über alle Maßen lieben die Eichsfeldcr Gesang und Tanz. Da entschädigt man sich denn für alle Entbehrungen der Sommerzeit. Wie von alters her, ist der Tanzplatz der Anger bei der Dorflinde, wo mich alljährlich das Fest des Kirchenpatrons, die „Kirmeß," mit dreitägigen Tanzvergnügen gefeiert wird. Zit diesem Feste lassen sich die Mädchen in die Heimat beurlauben, und wären sie auch noch so weit entfernt, ja dieser Urlaub ist eine oonäitio sine- ^rin non ihres Arbcitsvcrtrages. Die Musik machen sich die Eichsfelder selber, denn wohl nirgends ist das Mnsikautentum so zu Hause wie hier. Auch die Eichsfelder Musikanten durchziehen den größten Teil des Jahres in Trupps vou sechs bis neun Mann ganz Deutschland, blasen und fideln sich ein hübsches Sümmchen zusammen, mit dem sie dann im beginnenden Winter zu Weib und Kind zurück¬ kehren, um beim ersten Lerchenfang wieder in alle Welt zu ziehen. Bis nach Rußland hinein erstrecken sich die Streifzüge dieser Mrnäs ckiot. An Musikanten- ehcn mit neunmonatlicher Trennung im Jahre nimmt im Eichsfelde niemand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/269>, abgerufen am 01.09.2024.