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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der uordamerikauischo Farmer und der deutsche Landwirt.

und mehr sich in einzelnen Händen häufenden Kapital ein neues Feld für
segensreiche Thätigkeit dazu gewonnen zu haben. Sie "arbeiten" mit Wucher,
Parzellirung und Zusammenschlachtnng aufs allergcdiegcnste und erreichen in
musterhafter Weise ihr Ziel, den Inhaber des Kleinbetriebes um die Frucht
seines Schweißes zu betrügen und ihn wie auf allen Gebieten menschlichen
Fleißes zum Lvhnsklaven herabzuwirtschaften.

Es giebt in Amerika schon längst kein freies und unvermessenes Land
mehr. Von den koulcmten Agenten jener großen Landkvmpagnien kauft der
Siedler im lÄr Wohl seine Parzelle, um -- bei regelmäßigem Verlauf der
Dinge -- zunächst für hohe Prozente ihr Schuldner, dann ihr Pächter und
endlich ihr Arbeiter zu werden. Das Land, dem er jahrelang umsonst seine
Mühe gewidmet hat, wird nunmehr in urbaren Zustande zu einer jener Gro߬
farmen zusammengeschlagen, die nicht bloß die Macht, sondern auch den Zweck
haben, den selbständigen Landmann zu zertreten.

Während noch vor fünfundzwanzig Jahren die Zahl der Pacht- und Klein¬
farmen (unter 40 Aeres, ein Aere ----- 1,58 preußische Morgen) in den Ver¬
einigten Staaten so gering war, daß sie im Zensus garnicht erwähnt wurden,
ergab der Zensus von 1880 nicht weniger als 786 559 Pachtfarmcn und
555 266 Kleinfarmen,") währeud von den 2 240 271 Eigentnmsfarmen ein
großer Bruchteil tief verschuldet war. Es hat sich somit im Lande der Freiheit
nnter den Segnungen "wirtschaftlicher Selbstbestimmung" in unglaublich kurzer
Zeit ein ländliches Proletariat gebildet, und es ist gegründete Aussicht vor¬
handen, daß sich die soziale Physiognomie der amerikanischen Landschaft, für
welche heute noch (aber wie lange?) der selbständige Besitzer von 160 bis
1000 Aeres den Typus liefert, im Laufe weiterer Jahre noch viel erheblicher
verändern werde.

Der Kampf, der hier geführt wird, ist ein ungleicher; das Geld ist weitaus
der stärkere Teil, und die Waffen, die dem amerikanischen Farmer wie andern
ehrlichen Arbeitern zu gehste stehen, haben längst an Brauchbarkeit und Wert
verloren. Es ist eine Fabel, daß heutzutage jemand imstande sei, sich durch
Fleiß und Energie mit Vorteil im Leben zu behaupten. Die Eigenschaft, welche
bei der heutigen Übermacht des Geldes allein die Existenz verbürgt, wird die¬
jenige sein, welche vom Gelde am unabhängigsten macht; sie wird, wenn die
Nationalökonomen Recht haben, eine durchaus kulturfeindliche und unsre Kultur
negirende Eigenschaft sein, und man wird sie am besten "Bedürfnislosigkeit"
nennen. Der Chinese ist der Mann unsrer Tage, und wenn man die Manchester-
lente machen ließe, würde er mit all den Lastern, die seinem alten und verlebten



Avr diesen sind mehrere tnusende mis Gemüse-, Obst- und Milchwirtschaften in der
Nähe großer Städte zu nehmen. Dies nur, um einem etwaigen Einwände zu begegnen; an
Der Verf. der Sache selber ändert es nichts.
Der uordamerikauischo Farmer und der deutsche Landwirt.

und mehr sich in einzelnen Händen häufenden Kapital ein neues Feld für
segensreiche Thätigkeit dazu gewonnen zu haben. Sie „arbeiten" mit Wucher,
Parzellirung und Zusammenschlachtnng aufs allergcdiegcnste und erreichen in
musterhafter Weise ihr Ziel, den Inhaber des Kleinbetriebes um die Frucht
seines Schweißes zu betrügen und ihn wie auf allen Gebieten menschlichen
Fleißes zum Lvhnsklaven herabzuwirtschaften.

Es giebt in Amerika schon längst kein freies und unvermessenes Land
mehr. Von den koulcmten Agenten jener großen Landkvmpagnien kauft der
Siedler im lÄr Wohl seine Parzelle, um — bei regelmäßigem Verlauf der
Dinge — zunächst für hohe Prozente ihr Schuldner, dann ihr Pächter und
endlich ihr Arbeiter zu werden. Das Land, dem er jahrelang umsonst seine
Mühe gewidmet hat, wird nunmehr in urbaren Zustande zu einer jener Gro߬
farmen zusammengeschlagen, die nicht bloß die Macht, sondern auch den Zweck
haben, den selbständigen Landmann zu zertreten.

Während noch vor fünfundzwanzig Jahren die Zahl der Pacht- und Klein¬
farmen (unter 40 Aeres, ein Aere ----- 1,58 preußische Morgen) in den Ver¬
einigten Staaten so gering war, daß sie im Zensus garnicht erwähnt wurden,
ergab der Zensus von 1880 nicht weniger als 786 559 Pachtfarmcn und
555 266 Kleinfarmen,") währeud von den 2 240 271 Eigentnmsfarmen ein
großer Bruchteil tief verschuldet war. Es hat sich somit im Lande der Freiheit
nnter den Segnungen „wirtschaftlicher Selbstbestimmung" in unglaublich kurzer
Zeit ein ländliches Proletariat gebildet, und es ist gegründete Aussicht vor¬
handen, daß sich die soziale Physiognomie der amerikanischen Landschaft, für
welche heute noch (aber wie lange?) der selbständige Besitzer von 160 bis
1000 Aeres den Typus liefert, im Laufe weiterer Jahre noch viel erheblicher
verändern werde.

Der Kampf, der hier geführt wird, ist ein ungleicher; das Geld ist weitaus
der stärkere Teil, und die Waffen, die dem amerikanischen Farmer wie andern
ehrlichen Arbeitern zu gehste stehen, haben längst an Brauchbarkeit und Wert
verloren. Es ist eine Fabel, daß heutzutage jemand imstande sei, sich durch
Fleiß und Energie mit Vorteil im Leben zu behaupten. Die Eigenschaft, welche
bei der heutigen Übermacht des Geldes allein die Existenz verbürgt, wird die¬
jenige sein, welche vom Gelde am unabhängigsten macht; sie wird, wenn die
Nationalökonomen Recht haben, eine durchaus kulturfeindliche und unsre Kultur
negirende Eigenschaft sein, und man wird sie am besten „Bedürfnislosigkeit"
nennen. Der Chinese ist der Mann unsrer Tage, und wenn man die Manchester-
lente machen ließe, würde er mit all den Lastern, die seinem alten und verlebten



Avr diesen sind mehrere tnusende mis Gemüse-, Obst- und Milchwirtschaften in der
Nähe großer Städte zu nehmen. Dies nur, um einem etwaigen Einwände zu begegnen; an
Der Verf. der Sache selber ändert es nichts.
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[0259] Der uordamerikauischo Farmer und der deutsche Landwirt. und mehr sich in einzelnen Händen häufenden Kapital ein neues Feld für segensreiche Thätigkeit dazu gewonnen zu haben. Sie „arbeiten" mit Wucher, Parzellirung und Zusammenschlachtnng aufs allergcdiegcnste und erreichen in musterhafter Weise ihr Ziel, den Inhaber des Kleinbetriebes um die Frucht seines Schweißes zu betrügen und ihn wie auf allen Gebieten menschlichen Fleißes zum Lvhnsklaven herabzuwirtschaften. Es giebt in Amerika schon längst kein freies und unvermessenes Land mehr. Von den koulcmten Agenten jener großen Landkvmpagnien kauft der Siedler im lÄr Wohl seine Parzelle, um — bei regelmäßigem Verlauf der Dinge — zunächst für hohe Prozente ihr Schuldner, dann ihr Pächter und endlich ihr Arbeiter zu werden. Das Land, dem er jahrelang umsonst seine Mühe gewidmet hat, wird nunmehr in urbaren Zustande zu einer jener Gro߬ farmen zusammengeschlagen, die nicht bloß die Macht, sondern auch den Zweck haben, den selbständigen Landmann zu zertreten. Während noch vor fünfundzwanzig Jahren die Zahl der Pacht- und Klein¬ farmen (unter 40 Aeres, ein Aere ----- 1,58 preußische Morgen) in den Ver¬ einigten Staaten so gering war, daß sie im Zensus garnicht erwähnt wurden, ergab der Zensus von 1880 nicht weniger als 786 559 Pachtfarmcn und 555 266 Kleinfarmen,") währeud von den 2 240 271 Eigentnmsfarmen ein großer Bruchteil tief verschuldet war. Es hat sich somit im Lande der Freiheit nnter den Segnungen „wirtschaftlicher Selbstbestimmung" in unglaublich kurzer Zeit ein ländliches Proletariat gebildet, und es ist gegründete Aussicht vor¬ handen, daß sich die soziale Physiognomie der amerikanischen Landschaft, für welche heute noch (aber wie lange?) der selbständige Besitzer von 160 bis 1000 Aeres den Typus liefert, im Laufe weiterer Jahre noch viel erheblicher verändern werde. Der Kampf, der hier geführt wird, ist ein ungleicher; das Geld ist weitaus der stärkere Teil, und die Waffen, die dem amerikanischen Farmer wie andern ehrlichen Arbeitern zu gehste stehen, haben längst an Brauchbarkeit und Wert verloren. Es ist eine Fabel, daß heutzutage jemand imstande sei, sich durch Fleiß und Energie mit Vorteil im Leben zu behaupten. Die Eigenschaft, welche bei der heutigen Übermacht des Geldes allein die Existenz verbürgt, wird die¬ jenige sein, welche vom Gelde am unabhängigsten macht; sie wird, wenn die Nationalökonomen Recht haben, eine durchaus kulturfeindliche und unsre Kultur negirende Eigenschaft sein, und man wird sie am besten „Bedürfnislosigkeit" nennen. Der Chinese ist der Mann unsrer Tage, und wenn man die Manchester- lente machen ließe, würde er mit all den Lastern, die seinem alten und verlebten Avr diesen sind mehrere tnusende mis Gemüse-, Obst- und Milchwirtschaften in der Nähe großer Städte zu nehmen. Dies nur, um einem etwaigen Einwände zu begegnen; an Der Verf. der Sache selber ändert es nichts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/259>, abgerufen am 25.11.2024.