Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der nordamerikanische Furnier und der deutsche Landwirt.

Aste ausstrecken und ungenutzt verfaulen -- ein unwirtlicher, kläglicher, trost¬
loser Anblick.

Die offne Landschaft ist nicht viel schöner. Die westliche Prärie hat sich
niemals durch die Fülle ihrer Reize ausgezeichnet, und sie hat nichts gewonnen,
seit der Mensch den Büffel und den Indianer hier vertrieben und überall seiue
Farmer und Fcnzen aufgerichtet hat. Vergebens sucht das Auge nach einem
Ruhepunkt am Horizonte. Immer sind es dieselben Wiesen, dieselben Acker,
dieselben Rinderherden, um denen wir vorübereilcn, und die Häuschen, die hin
und wieder auftauchen, sind so vollständig nach der Schablone ans Holz erbaut
und weiß mit grünen oder grau mit bratinen Fensterladen, daß wir auch nicht
einen einzigen originellen Eindruck mit uns fortnehmen. Nirgends sieht man,
wie bei uns zu Hause, eine saubere, in Fülle und Lieblichkeit prangende Land¬
schaft, mit einem stattlichen Herrensitze oder einem aus dem Schatten alter
Linden behäbig herauslügenden Dorfe. Die Städte, an denen Station gemacht
wird, wie sie da ans der Schachtel ausgepackt und in ihrer Kahlheit und
Nacktheit hingestellt sind, all diese "aufblühenden" Nester, die den Stolz des
Amerikaners bilden, sind langweilig zum äußersten; ob sie zweihundert oder
zwanzigtausend Einwohner zählen: kennt man eins, so kennt man sie alle.

Der Menschenschlag, der in diesen Gefilden haust, entspricht der Natur, die
ihn umgiebt. Nüchtern in seinen Anschauungen, primitiv in seinen Bedürfnissen,
sührt der westliche Farmer ein thätiges, rauhes und schmuckloses Leben; die
Anregungen einer verfeinerten Kultur sind ihm in seinem Hintcrwalde so gut wie
verschlossen, aber er vermißt sie mich nicht; die Politik seines Landes, die er mit
Aufmerksamkeit verfolgt, liefert ihm nach dieser Richtung alles, was er bedarf,
höhere Gesellschaftsklassen, die seinen Ehrgeiz anstachelt? und ihn veranlassen
könnten, seinen Kindern eine bessere Erziehung zu geben, sieht er nicht vor sich;
so findet sein Leben in der Arbeit seinen Zweck und in einem Guthaben ans
der Countybank seine ethische Erfüllung.

Ist genügend mon<z^ gemacht worden, so zieht er nach der Stadt. An¬
hänglichkeit an seinen Boden belästigt den Amerikaner nicht, und der Deutsche
verliert sie in der Regel, wie vieles Gute, was er ans der Heimat mitbringt.
Die Farm repräsentirt ein bnÄnoss wie andre Dinge auch und wird weg¬
geworfen, sobald sie genügend ausgesogen oder etwas andres lohnender erscheint.
Die, welche größere Farmer im Westen selbst bewirtschaften und es über sich
gewinnen, auf dem Lande zu Hausen, das sie bebauen. sind zu zählen. Der
Nest des Großgrundbesitzes in jenen weiten Geländen wird repräsentirt durch
die sogenannten Aktienfarmen, welche Gesellschaften angehören, die sich behufs
gründlicherer und billigerer Ausbeutung des Bodens zusammengethan haben.
Diese nichts weniger als ländlichen, sondern durchaus großstädtischen Gesellschaften,
von denen der amerikanische Westen mit seiner gepriesenen wirtschaftlichen Freiheit
bereits ein langes Lied zu singen weiß, haben das große Verdienst, dem mehr


Der nordamerikanische Furnier und der deutsche Landwirt.

Aste ausstrecken und ungenutzt verfaulen — ein unwirtlicher, kläglicher, trost¬
loser Anblick.

Die offne Landschaft ist nicht viel schöner. Die westliche Prärie hat sich
niemals durch die Fülle ihrer Reize ausgezeichnet, und sie hat nichts gewonnen,
seit der Mensch den Büffel und den Indianer hier vertrieben und überall seiue
Farmer und Fcnzen aufgerichtet hat. Vergebens sucht das Auge nach einem
Ruhepunkt am Horizonte. Immer sind es dieselben Wiesen, dieselben Acker,
dieselben Rinderherden, um denen wir vorübereilcn, und die Häuschen, die hin
und wieder auftauchen, sind so vollständig nach der Schablone ans Holz erbaut
und weiß mit grünen oder grau mit bratinen Fensterladen, daß wir auch nicht
einen einzigen originellen Eindruck mit uns fortnehmen. Nirgends sieht man,
wie bei uns zu Hause, eine saubere, in Fülle und Lieblichkeit prangende Land¬
schaft, mit einem stattlichen Herrensitze oder einem aus dem Schatten alter
Linden behäbig herauslügenden Dorfe. Die Städte, an denen Station gemacht
wird, wie sie da ans der Schachtel ausgepackt und in ihrer Kahlheit und
Nacktheit hingestellt sind, all diese „aufblühenden" Nester, die den Stolz des
Amerikaners bilden, sind langweilig zum äußersten; ob sie zweihundert oder
zwanzigtausend Einwohner zählen: kennt man eins, so kennt man sie alle.

Der Menschenschlag, der in diesen Gefilden haust, entspricht der Natur, die
ihn umgiebt. Nüchtern in seinen Anschauungen, primitiv in seinen Bedürfnissen,
sührt der westliche Farmer ein thätiges, rauhes und schmuckloses Leben; die
Anregungen einer verfeinerten Kultur sind ihm in seinem Hintcrwalde so gut wie
verschlossen, aber er vermißt sie mich nicht; die Politik seines Landes, die er mit
Aufmerksamkeit verfolgt, liefert ihm nach dieser Richtung alles, was er bedarf,
höhere Gesellschaftsklassen, die seinen Ehrgeiz anstachelt? und ihn veranlassen
könnten, seinen Kindern eine bessere Erziehung zu geben, sieht er nicht vor sich;
so findet sein Leben in der Arbeit seinen Zweck und in einem Guthaben ans
der Countybank seine ethische Erfüllung.

Ist genügend mon<z^ gemacht worden, so zieht er nach der Stadt. An¬
hänglichkeit an seinen Boden belästigt den Amerikaner nicht, und der Deutsche
verliert sie in der Regel, wie vieles Gute, was er ans der Heimat mitbringt.
Die Farm repräsentirt ein bnÄnoss wie andre Dinge auch und wird weg¬
geworfen, sobald sie genügend ausgesogen oder etwas andres lohnender erscheint.
Die, welche größere Farmer im Westen selbst bewirtschaften und es über sich
gewinnen, auf dem Lande zu Hausen, das sie bebauen. sind zu zählen. Der
Nest des Großgrundbesitzes in jenen weiten Geländen wird repräsentirt durch
die sogenannten Aktienfarmen, welche Gesellschaften angehören, die sich behufs
gründlicherer und billigerer Ausbeutung des Bodens zusammengethan haben.
Diese nichts weniger als ländlichen, sondern durchaus großstädtischen Gesellschaften,
von denen der amerikanische Westen mit seiner gepriesenen wirtschaftlichen Freiheit
bereits ein langes Lied zu singen weiß, haben das große Verdienst, dem mehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196358"/>
            <fw type="header" place="top"> Der nordamerikanische Furnier und der deutsche Landwirt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1033" prev="#ID_1032"> Aste ausstrecken und ungenutzt verfaulen &#x2014; ein unwirtlicher, kläglicher, trost¬<lb/>
loser Anblick.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1034"> Die offne Landschaft ist nicht viel schöner. Die westliche Prärie hat sich<lb/>
niemals durch die Fülle ihrer Reize ausgezeichnet, und sie hat nichts gewonnen,<lb/>
seit der Mensch den Büffel und den Indianer hier vertrieben und überall seiue<lb/>
Farmer und Fcnzen aufgerichtet hat. Vergebens sucht das Auge nach einem<lb/>
Ruhepunkt am Horizonte. Immer sind es dieselben Wiesen, dieselben Acker,<lb/>
dieselben Rinderherden, um denen wir vorübereilcn, und die Häuschen, die hin<lb/>
und wieder auftauchen, sind so vollständig nach der Schablone ans Holz erbaut<lb/>
und weiß mit grünen oder grau mit bratinen Fensterladen, daß wir auch nicht<lb/>
einen einzigen originellen Eindruck mit uns fortnehmen. Nirgends sieht man,<lb/>
wie bei uns zu Hause, eine saubere, in Fülle und Lieblichkeit prangende Land¬<lb/>
schaft, mit einem stattlichen Herrensitze oder einem aus dem Schatten alter<lb/>
Linden behäbig herauslügenden Dorfe. Die Städte, an denen Station gemacht<lb/>
wird, wie sie da ans der Schachtel ausgepackt und in ihrer Kahlheit und<lb/>
Nacktheit hingestellt sind, all diese &#x201E;aufblühenden" Nester, die den Stolz des<lb/>
Amerikaners bilden, sind langweilig zum äußersten; ob sie zweihundert oder<lb/>
zwanzigtausend Einwohner zählen: kennt man eins, so kennt man sie alle.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1035"> Der Menschenschlag, der in diesen Gefilden haust, entspricht der Natur, die<lb/>
ihn umgiebt. Nüchtern in seinen Anschauungen, primitiv in seinen Bedürfnissen,<lb/>
sührt der westliche Farmer ein thätiges, rauhes und schmuckloses Leben; die<lb/>
Anregungen einer verfeinerten Kultur sind ihm in seinem Hintcrwalde so gut wie<lb/>
verschlossen, aber er vermißt sie mich nicht; die Politik seines Landes, die er mit<lb/>
Aufmerksamkeit verfolgt, liefert ihm nach dieser Richtung alles, was er bedarf,<lb/>
höhere Gesellschaftsklassen, die seinen Ehrgeiz anstachelt? und ihn veranlassen<lb/>
könnten, seinen Kindern eine bessere Erziehung zu geben, sieht er nicht vor sich;<lb/>
so findet sein Leben in der Arbeit seinen Zweck und in einem Guthaben ans<lb/>
der Countybank seine ethische Erfüllung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> Ist genügend mon&lt;z^ gemacht worden, so zieht er nach der Stadt. An¬<lb/>
hänglichkeit an seinen Boden belästigt den Amerikaner nicht, und der Deutsche<lb/>
verliert sie in der Regel, wie vieles Gute, was er ans der Heimat mitbringt.<lb/>
Die Farm repräsentirt ein bnÄnoss wie andre Dinge auch und wird weg¬<lb/>
geworfen, sobald sie genügend ausgesogen oder etwas andres lohnender erscheint.<lb/>
Die, welche größere Farmer im Westen selbst bewirtschaften und es über sich<lb/>
gewinnen, auf dem Lande zu Hausen, das sie bebauen. sind zu zählen. Der<lb/>
Nest des Großgrundbesitzes in jenen weiten Geländen wird repräsentirt durch<lb/>
die sogenannten Aktienfarmen, welche Gesellschaften angehören, die sich behufs<lb/>
gründlicherer und billigerer Ausbeutung des Bodens zusammengethan haben.<lb/>
Diese nichts weniger als ländlichen, sondern durchaus großstädtischen Gesellschaften,<lb/>
von denen der amerikanische Westen mit seiner gepriesenen wirtschaftlichen Freiheit<lb/>
bereits ein langes Lied zu singen weiß, haben das große Verdienst, dem mehr</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Der nordamerikanische Furnier und der deutsche Landwirt. Aste ausstrecken und ungenutzt verfaulen — ein unwirtlicher, kläglicher, trost¬ loser Anblick. Die offne Landschaft ist nicht viel schöner. Die westliche Prärie hat sich niemals durch die Fülle ihrer Reize ausgezeichnet, und sie hat nichts gewonnen, seit der Mensch den Büffel und den Indianer hier vertrieben und überall seiue Farmer und Fcnzen aufgerichtet hat. Vergebens sucht das Auge nach einem Ruhepunkt am Horizonte. Immer sind es dieselben Wiesen, dieselben Acker, dieselben Rinderherden, um denen wir vorübereilcn, und die Häuschen, die hin und wieder auftauchen, sind so vollständig nach der Schablone ans Holz erbaut und weiß mit grünen oder grau mit bratinen Fensterladen, daß wir auch nicht einen einzigen originellen Eindruck mit uns fortnehmen. Nirgends sieht man, wie bei uns zu Hause, eine saubere, in Fülle und Lieblichkeit prangende Land¬ schaft, mit einem stattlichen Herrensitze oder einem aus dem Schatten alter Linden behäbig herauslügenden Dorfe. Die Städte, an denen Station gemacht wird, wie sie da ans der Schachtel ausgepackt und in ihrer Kahlheit und Nacktheit hingestellt sind, all diese „aufblühenden" Nester, die den Stolz des Amerikaners bilden, sind langweilig zum äußersten; ob sie zweihundert oder zwanzigtausend Einwohner zählen: kennt man eins, so kennt man sie alle. Der Menschenschlag, der in diesen Gefilden haust, entspricht der Natur, die ihn umgiebt. Nüchtern in seinen Anschauungen, primitiv in seinen Bedürfnissen, sührt der westliche Farmer ein thätiges, rauhes und schmuckloses Leben; die Anregungen einer verfeinerten Kultur sind ihm in seinem Hintcrwalde so gut wie verschlossen, aber er vermißt sie mich nicht; die Politik seines Landes, die er mit Aufmerksamkeit verfolgt, liefert ihm nach dieser Richtung alles, was er bedarf, höhere Gesellschaftsklassen, die seinen Ehrgeiz anstachelt? und ihn veranlassen könnten, seinen Kindern eine bessere Erziehung zu geben, sieht er nicht vor sich; so findet sein Leben in der Arbeit seinen Zweck und in einem Guthaben ans der Countybank seine ethische Erfüllung. Ist genügend mon<z^ gemacht worden, so zieht er nach der Stadt. An¬ hänglichkeit an seinen Boden belästigt den Amerikaner nicht, und der Deutsche verliert sie in der Regel, wie vieles Gute, was er ans der Heimat mitbringt. Die Farm repräsentirt ein bnÄnoss wie andre Dinge auch und wird weg¬ geworfen, sobald sie genügend ausgesogen oder etwas andres lohnender erscheint. Die, welche größere Farmer im Westen selbst bewirtschaften und es über sich gewinnen, auf dem Lande zu Hausen, das sie bebauen. sind zu zählen. Der Nest des Großgrundbesitzes in jenen weiten Geländen wird repräsentirt durch die sogenannten Aktienfarmen, welche Gesellschaften angehören, die sich behufs gründlicherer und billigerer Ausbeutung des Bodens zusammengethan haben. Diese nichts weniger als ländlichen, sondern durchaus großstädtischen Gesellschaften, von denen der amerikanische Westen mit seiner gepriesenen wirtschaftlichen Freiheit bereits ein langes Lied zu singen weiß, haben das große Verdienst, dem mehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/258>, abgerufen am 25.11.2024.