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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Salisbury und der Mahdi.

Maßregeln, mit denen die dem Mahdi oder ähnlichen Abenteurern des Sudan
feindlichen Stämme unterstützt werden könne". Doch ist die englische Negierung,
wie der Kriegsminister erklärte, "in Anbetracht aller Umstände und der jetzigen
Lage, wie sie der bereits angetretene Rückzug herbeigeführt hat, dermalen nicht
gewillt, die von ihren Vorgängern erlassenen Befehle zurückzunehmen und ein
neues Vorrücken nach ^der Stadt^j Dongola anzuordnen." Nur die Fortführung
der Eisenbahn von Wady Halfa nach Ferkel etwa fünfundzwanzig englische
Meilen weiter uilaufwärts, wird für wünschenswert gehalten, und hier, in
Ferkel, werden denn auch vorläufig die letzten Vorposten der englischen Armee
Stellung nehmen.

Mittlerweile soll der Mahdi wieder einmal das Zeitliche gesegnet haben.
Ein Kaufmann hat es dem General Brackenbury geschrieben, und zu gleicher
Zeit hat es ein abgedankter ägyptischer Soldat berichtet, dem es wieder ein
Araber als Gerücht erzählt hat. Man denkt dabei an verschiedne komische
Dinge: an den Handwerksburschen, der "Chinesien" für ein schönes Land hielt,
weil er einmal von einem Kollegen gehört hatte, ein andrer Kollege habe es
von einem dritten Kollegen gehört, welcher beinahe bis dorthin gekommen war, dann
an die Regel: was man wünscht, das glaubt man, und drittens an die Volks-
meinung, nach welcher dem, welchen die Leute mehrmals tot sagen, ein langes
Leben beschieden ist. Ein Zeitungskorrespondent darf solche Irrlichter der Wüste
als Wirklichkeiten behandeln, ein General sollte sich nur mit Thatsachen befassen.

Wäre jedoch der Prophet der Insurgenten des Sudan wirklich tot und
im Paradiese, so würde für jetzt jede Nötigung zu einem Einschreiten im Sndnn
wegfallen. Der "letztere würde dann rasch in eine Art gelinde Anarchie znrück-
vcrsinken, die Ägypten gegenüber mit Schwäche und Gefahrlosigkeit gleich¬
bedeutend wäre. Nach einigen Kämpfen würde es ein Lokalregiment in Gestalt
einer Anzahl von kleinen Sultanen und Stammhäuptlingen geben, wie es das
Ideal vieler Sudanesen ist. Das Volk würde in patriarchalischer Methode von
seinen Fürsten ausgesogen werden wie vor der Zeit, wo die ägyptischen Paschas
die Auspressung in büreaukratisches System brachten. Die Provinz würde in
volle Barbarei zurückkehren, Sklavenjagd und Sklavenhandel würden wieder auf¬
blühen. Ägypten aber würde -- wenn nicht ein neuer Mahdi aufstünde --
nichts mehr vou dieser Seite zu fürchten haben. Die Araber sind in der
Defensive eine gefährliche Rasse, aber ein Angriffskrieg ist nur dann von ihnen
zu erwarten und wird nur dann eine Gefahr sein, wenn religiöser Fanatismus
die Eifersucht der Stämme überwältigt und letztere mit einander verschmilzt.
Ohne den Mahdi ist der Sudan ein Land, welches von den Beherrschern
Ägyptens gelassen als nicht vorhanden behandelt werden kann. Wo aber ein
Prophet, der Ansehen gewonnen hat, die Fülle von Wiistentapferkeit jener Lande
um sich zu sammeln und mit ihr wie mit einer gewaltigen Sturmwelle sich
gegen die Grenze in Bewegung zu setzen vermag, ist der Thron des Chedive
leine zwei Jahre vor dem Umsturze sicher.

Salisburys Politik in dieser Frage basirt sich offenbar auf den Satz: Was
geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen. Aber die Hinnahme einer schwer
rückgängig zu machenden Thatsache wie die Räumung Dongolah verpflichtet
die Tories natürlich nicht anch zu der von Gladstone wiederholt angedeuteten
Räumung Ägyptens selbst. Stellen wir uns dabei ans den Standpunkt eines
Engländers, der sich fühlt und ebenso sein Interesse wie seine Gelegenheit zu
begreifen meint, so kommen wir etwa zu folgenden Betrachtungen und Ergeb-


Salisbury und der Mahdi.

Maßregeln, mit denen die dem Mahdi oder ähnlichen Abenteurern des Sudan
feindlichen Stämme unterstützt werden könne». Doch ist die englische Negierung,
wie der Kriegsminister erklärte, „in Anbetracht aller Umstände und der jetzigen
Lage, wie sie der bereits angetretene Rückzug herbeigeführt hat, dermalen nicht
gewillt, die von ihren Vorgängern erlassenen Befehle zurückzunehmen und ein
neues Vorrücken nach ^der Stadt^j Dongola anzuordnen." Nur die Fortführung
der Eisenbahn von Wady Halfa nach Ferkel etwa fünfundzwanzig englische
Meilen weiter uilaufwärts, wird für wünschenswert gehalten, und hier, in
Ferkel, werden denn auch vorläufig die letzten Vorposten der englischen Armee
Stellung nehmen.

Mittlerweile soll der Mahdi wieder einmal das Zeitliche gesegnet haben.
Ein Kaufmann hat es dem General Brackenbury geschrieben, und zu gleicher
Zeit hat es ein abgedankter ägyptischer Soldat berichtet, dem es wieder ein
Araber als Gerücht erzählt hat. Man denkt dabei an verschiedne komische
Dinge: an den Handwerksburschen, der „Chinesien" für ein schönes Land hielt,
weil er einmal von einem Kollegen gehört hatte, ein andrer Kollege habe es
von einem dritten Kollegen gehört, welcher beinahe bis dorthin gekommen war, dann
an die Regel: was man wünscht, das glaubt man, und drittens an die Volks-
meinung, nach welcher dem, welchen die Leute mehrmals tot sagen, ein langes
Leben beschieden ist. Ein Zeitungskorrespondent darf solche Irrlichter der Wüste
als Wirklichkeiten behandeln, ein General sollte sich nur mit Thatsachen befassen.

Wäre jedoch der Prophet der Insurgenten des Sudan wirklich tot und
im Paradiese, so würde für jetzt jede Nötigung zu einem Einschreiten im Sndnn
wegfallen. Der „letztere würde dann rasch in eine Art gelinde Anarchie znrück-
vcrsinken, die Ägypten gegenüber mit Schwäche und Gefahrlosigkeit gleich¬
bedeutend wäre. Nach einigen Kämpfen würde es ein Lokalregiment in Gestalt
einer Anzahl von kleinen Sultanen und Stammhäuptlingen geben, wie es das
Ideal vieler Sudanesen ist. Das Volk würde in patriarchalischer Methode von
seinen Fürsten ausgesogen werden wie vor der Zeit, wo die ägyptischen Paschas
die Auspressung in büreaukratisches System brachten. Die Provinz würde in
volle Barbarei zurückkehren, Sklavenjagd und Sklavenhandel würden wieder auf¬
blühen. Ägypten aber würde — wenn nicht ein neuer Mahdi aufstünde —
nichts mehr vou dieser Seite zu fürchten haben. Die Araber sind in der
Defensive eine gefährliche Rasse, aber ein Angriffskrieg ist nur dann von ihnen
zu erwarten und wird nur dann eine Gefahr sein, wenn religiöser Fanatismus
die Eifersucht der Stämme überwältigt und letztere mit einander verschmilzt.
Ohne den Mahdi ist der Sudan ein Land, welches von den Beherrschern
Ägyptens gelassen als nicht vorhanden behandelt werden kann. Wo aber ein
Prophet, der Ansehen gewonnen hat, die Fülle von Wiistentapferkeit jener Lande
um sich zu sammeln und mit ihr wie mit einer gewaltigen Sturmwelle sich
gegen die Grenze in Bewegung zu setzen vermag, ist der Thron des Chedive
leine zwei Jahre vor dem Umsturze sicher.

Salisburys Politik in dieser Frage basirt sich offenbar auf den Satz: Was
geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen. Aber die Hinnahme einer schwer
rückgängig zu machenden Thatsache wie die Räumung Dongolah verpflichtet
die Tories natürlich nicht anch zu der von Gladstone wiederholt angedeuteten
Räumung Ägyptens selbst. Stellen wir uns dabei ans den Standpunkt eines
Engländers, der sich fühlt und ebenso sein Interesse wie seine Gelegenheit zu
begreifen meint, so kommen wir etwa zu folgenden Betrachtungen und Ergeb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/194>, abgerufen am 24.11.2024.