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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zum Weimarer Jubilare.

Wir zur Genüge. Und im besten Falle könnte man sich nicht viel Freude
davon versprechen, dazu fehlt es zu sehr an Geschmack. Gerade in bezug auf
Illustrationen ist bei Künstlern sowohl wie beim Publikum so jedes Stilgefühl
abhanden gekommen, eine solche Rohheit eingerissen, daß wir vor dem Auslande
und vor der Nachwelt mit unsrer Jubelausgabe wenig Ehre einlegen würden.
Schließlich schreckt auch bei vollkommenster Ausführung die Illustration manchen
ab, weil er sich nun gerade Gretchen oder Friederiken "ganz anders gedacht"
hat als der Künstler. Leute, die in Kunstsachen von subjektivem Empfinden
bis zu einem gewissen Grade absehen können, sind doch immer selten. In
Frankreich hat man dafür einen bequemen Ausweg gefunden. Da giebt es für
die Werke großer Dichter verschiedne Folgen von Illustrationen, in Stich oder
in Radirung hergestellt, unter denen sich jeder aussuchen kann, was ihm zusagt,
um es in seine, in der Regel nicht illustrirte Liebhaberausgabe einbinden zu
lassen. Allerdings schwankt dort das Format der Bücher nicht so launisch wie
bei uns. Trotzdem ließe sich in Deutschland vielleicht gelegentlich ähnliches
herstellen.

Also keine Illustrationen! Wohl aber schöne Kopfleisten, schöne Anfangs¬
buchstaben und Schlußstücke -- wenn auch in bescheidnen Maße: wegen der
Kosten, und -- worin in der Regel gefehlt wird -- wegen des Stils. Die
Ausgabe ist des Textes wegen da; das Zierrat darf nicht überwuchern. Die
Aufgabe bleibt immer noch groß genug, denn diesmal schaffen wir für kommende
Jahrhunderte.

Groß wäre die Aufgabe überhaupt, wenn man sie groß anzufassen ver¬
stünde. Es gälte, dem Volke wieder einmal eine Lehre zu geben. In unserm
Buchgewerbe liegt noch vieles im argen -- trotz dem Aufschwünge, der uns
alle Tage gerühmt wird. Es giebt noch immer viel Schwindel und wenig
Geschmack. Das schwerste aber hat das Publikum verschuldet, und zwar aus
Unkenntnis. Was ein schönes Buch ist, und welchen Kunstgenuß es bietet, von
tausenden weiß das kaum einer, und auch der meist -- denn die Gelegenheit
dazu ist selten -- nicht aus eigner Anschauung. Die übrigen verlangen ein
"Prachtwerk" in "Prachtband" sür einen Preis, den ein einfacher, sorgfältig
gearbeiteter Einband allein kostet -- und wofür sie zwanzig Mark ausgeben,
das muß auch zwanzig Pfund wiegen. Dementsprechend werden sie dann auch
bedient. Wenn diesen Leuten ein Beispiel gegeben würde: der Segen wäre
unschätzbar.

Und es wäre das um nichts weniger erbaulich, wenn dazu ein halbes
Dutzend anstößiger Epigramme, in übermütiger Stunde aufgeschrieben, den
ersten Anstoß gegeben haben sollte.




Zum Weimarer Jubilare.

Wir zur Genüge. Und im besten Falle könnte man sich nicht viel Freude
davon versprechen, dazu fehlt es zu sehr an Geschmack. Gerade in bezug auf
Illustrationen ist bei Künstlern sowohl wie beim Publikum so jedes Stilgefühl
abhanden gekommen, eine solche Rohheit eingerissen, daß wir vor dem Auslande
und vor der Nachwelt mit unsrer Jubelausgabe wenig Ehre einlegen würden.
Schließlich schreckt auch bei vollkommenster Ausführung die Illustration manchen
ab, weil er sich nun gerade Gretchen oder Friederiken „ganz anders gedacht"
hat als der Künstler. Leute, die in Kunstsachen von subjektivem Empfinden
bis zu einem gewissen Grade absehen können, sind doch immer selten. In
Frankreich hat man dafür einen bequemen Ausweg gefunden. Da giebt es für
die Werke großer Dichter verschiedne Folgen von Illustrationen, in Stich oder
in Radirung hergestellt, unter denen sich jeder aussuchen kann, was ihm zusagt,
um es in seine, in der Regel nicht illustrirte Liebhaberausgabe einbinden zu
lassen. Allerdings schwankt dort das Format der Bücher nicht so launisch wie
bei uns. Trotzdem ließe sich in Deutschland vielleicht gelegentlich ähnliches
herstellen.

Also keine Illustrationen! Wohl aber schöne Kopfleisten, schöne Anfangs¬
buchstaben und Schlußstücke — wenn auch in bescheidnen Maße: wegen der
Kosten, und — worin in der Regel gefehlt wird — wegen des Stils. Die
Ausgabe ist des Textes wegen da; das Zierrat darf nicht überwuchern. Die
Aufgabe bleibt immer noch groß genug, denn diesmal schaffen wir für kommende
Jahrhunderte.

Groß wäre die Aufgabe überhaupt, wenn man sie groß anzufassen ver¬
stünde. Es gälte, dem Volke wieder einmal eine Lehre zu geben. In unserm
Buchgewerbe liegt noch vieles im argen — trotz dem Aufschwünge, der uns
alle Tage gerühmt wird. Es giebt noch immer viel Schwindel und wenig
Geschmack. Das schwerste aber hat das Publikum verschuldet, und zwar aus
Unkenntnis. Was ein schönes Buch ist, und welchen Kunstgenuß es bietet, von
tausenden weiß das kaum einer, und auch der meist — denn die Gelegenheit
dazu ist selten — nicht aus eigner Anschauung. Die übrigen verlangen ein
„Prachtwerk" in „Prachtband" sür einen Preis, den ein einfacher, sorgfältig
gearbeiteter Einband allein kostet — und wofür sie zwanzig Mark ausgeben,
das muß auch zwanzig Pfund wiegen. Dementsprechend werden sie dann auch
bedient. Wenn diesen Leuten ein Beispiel gegeben würde: der Segen wäre
unschätzbar.

Und es wäre das um nichts weniger erbaulich, wenn dazu ein halbes
Dutzend anstößiger Epigramme, in übermütiger Stunde aufgeschrieben, den
ersten Anstoß gegeben haben sollte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/189>, abgerufen am 24.11.2024.