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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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es eine Härte sein, die viele ausschlösse, wollte man den Mitgliedern die Zeich¬
nung auf die Ausgabe zur Pflicht machen.

Von einer Sammlung für den Zweck würde man sich auch nicht viel zu
versprechen haben. In Deutschland ist das Gefühl für nationale Würde über¬
haupt gering, und außerdem sind gerade unsre besitzenden Kreise zu ungebildet,
als daß man bei ihnen auf Verständnis für solche Fragen rechnen dürfte. Ein
Goethe mit Druckfehlern oder ohne Druckfehler -- du lieber Gott! sie lesen
ihn ja überhaupt nicht. Und was schlimmer ist: sie schämen sich dessen nicht
einmal! Einige unsrer Fürstenhäuser haben sich bisweilen in solchen Fällen
großartig gezeigt -- aber auch sie würden schwerlich den vierten Teil der Kosten
decken. Unser begüterter Adel, die Spitzen unsers Gewerbes, unsers Handels
und des Spiels -- wie gesagt, sie haben sich noch nicht zu den Anstcmdsbe-
griffen gebildeter Völker aufgeschwungen. Am ersten dürfte man vielleicht bei
dem Buchhandel auf Entgegenkommen hoffen. Das ist der Kreis, der von der
Reinigung des Goethetextes einzig und allein berechenbaren Vorteil ziehen wird.
Ihm könnte man Opfer zumuten. An Goethe hat er viel gesündigt -- durch
Nachdruck und durch schlechten Druck --, und hat viel an ihm verdient. Nicht
bloß die Erben Cottas. der ja schließlich Goethe leidlich bezahlt hat, sondern
zahlreiche andre auch: alle die Goetheverleger, die seit dem Erlöschen des
Cottaschen Rechtes aufgestanden sind -- Hempel, Grote, Meyer, Reclam --,
bis herab auf die ganz kleinen, die doch Jahr für Jahr einige Abzüge der
Werke verkauft haben. Selbst David aus Reuters Reformverein dürfte dem
großen Manne die Anerkennung nicht versagt haben: "Was hat er nicht ge¬
bracht in die Welt für'n Geschäft!"

Vielleicht wäre es doch des Nachdenkens wert, ob sich nicht ein Mittel
finden ließe, wenigstens die Häupter unsers Buchhandels zu einer Genossenschaft
zu vereinigen, welche den Vertrieb der Ausgabe auf eigne Rechnung übernähme
und deu unausbleiblichen Verlust, soweit nicht anderweitig Deckung geschaffen
werden könnte, unter sich verteilte. Bei der seltsamen Umständlichkeit, womit
der deutsche Buchhandel noch immer den Verkauf seiner Erzeugnisse betreibt,
sind freilich die großen Verleger wohl auch nicht alle in der behaglichsten
Lage -- immerhin sind sie es doch, die an langsamen Eingang der Gelder und
an große Verluste am ersten gewöhnt sind.

Von einem sind wir überzeugt: wenn bei einem hohen Preise das Wagnis
bedenklicher ist, so bessert sich bei schöner Ausstattung die Aussicht des Ver¬
triebes annähernd in demselben Grade. Denn der größere oder geringere wissen¬
schaftliche Wert der Ausgabe wird der Mehrzahl der Käufer nicht so wesentlich
scheinen, um dem Urtexte einen entschiednen Vorzug vor den Nachdrucker zu
verschaffen. Eine wahrhaft schöne Ausgabe aber wird wenig Wettbewerb finden.
In England und in Frankreich, wo man dergleichen ja wirklich zu schätzen ver¬
steht, würde man sie umso lieber aufnehmen, je seltner so etwas aus Deutsch-


es eine Härte sein, die viele ausschlösse, wollte man den Mitgliedern die Zeich¬
nung auf die Ausgabe zur Pflicht machen.

Von einer Sammlung für den Zweck würde man sich auch nicht viel zu
versprechen haben. In Deutschland ist das Gefühl für nationale Würde über¬
haupt gering, und außerdem sind gerade unsre besitzenden Kreise zu ungebildet,
als daß man bei ihnen auf Verständnis für solche Fragen rechnen dürfte. Ein
Goethe mit Druckfehlern oder ohne Druckfehler — du lieber Gott! sie lesen
ihn ja überhaupt nicht. Und was schlimmer ist: sie schämen sich dessen nicht
einmal! Einige unsrer Fürstenhäuser haben sich bisweilen in solchen Fällen
großartig gezeigt — aber auch sie würden schwerlich den vierten Teil der Kosten
decken. Unser begüterter Adel, die Spitzen unsers Gewerbes, unsers Handels
und des Spiels — wie gesagt, sie haben sich noch nicht zu den Anstcmdsbe-
griffen gebildeter Völker aufgeschwungen. Am ersten dürfte man vielleicht bei
dem Buchhandel auf Entgegenkommen hoffen. Das ist der Kreis, der von der
Reinigung des Goethetextes einzig und allein berechenbaren Vorteil ziehen wird.
Ihm könnte man Opfer zumuten. An Goethe hat er viel gesündigt — durch
Nachdruck und durch schlechten Druck —, und hat viel an ihm verdient. Nicht
bloß die Erben Cottas. der ja schließlich Goethe leidlich bezahlt hat, sondern
zahlreiche andre auch: alle die Goetheverleger, die seit dem Erlöschen des
Cottaschen Rechtes aufgestanden sind — Hempel, Grote, Meyer, Reclam —,
bis herab auf die ganz kleinen, die doch Jahr für Jahr einige Abzüge der
Werke verkauft haben. Selbst David aus Reuters Reformverein dürfte dem
großen Manne die Anerkennung nicht versagt haben: „Was hat er nicht ge¬
bracht in die Welt für'n Geschäft!"

Vielleicht wäre es doch des Nachdenkens wert, ob sich nicht ein Mittel
finden ließe, wenigstens die Häupter unsers Buchhandels zu einer Genossenschaft
zu vereinigen, welche den Vertrieb der Ausgabe auf eigne Rechnung übernähme
und deu unausbleiblichen Verlust, soweit nicht anderweitig Deckung geschaffen
werden könnte, unter sich verteilte. Bei der seltsamen Umständlichkeit, womit
der deutsche Buchhandel noch immer den Verkauf seiner Erzeugnisse betreibt,
sind freilich die großen Verleger wohl auch nicht alle in der behaglichsten
Lage — immerhin sind sie es doch, die an langsamen Eingang der Gelder und
an große Verluste am ersten gewöhnt sind.

Von einem sind wir überzeugt: wenn bei einem hohen Preise das Wagnis
bedenklicher ist, so bessert sich bei schöner Ausstattung die Aussicht des Ver¬
triebes annähernd in demselben Grade. Denn der größere oder geringere wissen¬
schaftliche Wert der Ausgabe wird der Mehrzahl der Käufer nicht so wesentlich
scheinen, um dem Urtexte einen entschiednen Vorzug vor den Nachdrucker zu
verschaffen. Eine wahrhaft schöne Ausgabe aber wird wenig Wettbewerb finden.
In England und in Frankreich, wo man dergleichen ja wirklich zu schätzen ver¬
steht, würde man sie umso lieber aufnehmen, je seltner so etwas aus Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/187>, abgerufen am 01.09.2024.