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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigall in Tunis.

Aber er sollte bald wieder aus seiner Thätigkeit gerissen werden, da die Vor¬
bereitungen zu seiner Mission immer näher rückten.

Vielleicht werde ich -- schreibt er in seinem letzten uns vorliegenden Briefe
aus Tunis -- aus meiner Reise herausgerissen und muß eine größere amtliche
Reise unternehmen, über die ich bei der Diskretion, mit der alle Angelegenheiten
des Auswärtigen Amtes behandelt werden, noch nicht sprechen darf. Ich würde
es vorziehen, ruhig hier zu bleiben; denn man wird mit den wachsenden Jahren
bequem. Der Ehrgeiz und die Sucht, neues zu sehen, reizen mich nicht mehr.
Ich würde übrigens den Posten hier behalten, selbst wenn ich die Reise unter¬
nehmen müßte; diese würde etwa vier Monate in Anspruch nehmen. Mein
einziger Ehrgeiz besteht noch darin, nach Marokko geschickt zu werden, und meine
Vorgesetzten haben mir auch diesen Posten, der bisher vou einem Ministerresidentcu
eingenommen wurde, soweit versprochen, wie dies überhaupt möglich ist. Der
höhere Rang unsers dortigen Vertreters reizt mich weniger, als der Umstand, daß
einstweilen Marokko noch unabhängig und nicht korrumpirt durch europäische Zi¬
vilisation ist.

Es kam, wie hier bemerkt werden mag, sein Verhältnis zu den Marokkanern
als Moment hinzu, um ihm die Übersiedlung dahin wünschenswert erscheinen
zu lassen. Auf der großen Reise von Fezzan nach Bornu hatte er sich näm¬
lich mit seinen Begleitern einer größeren Karawane angeschlossen, und zwar
einer marokkanischen Gauklerbande, die eine Kunstreise durch den Sudan beab¬
sichtigte. Bei dieser sonderbaren Gesellschaft, deren Treiben zugleich einen
religiösen Charakter trug, und die unter einem höchst angesehenen Priester-
oberhanpt, Hildsch SÄih, stand, hatte seine Persönlichkeit einen derartigen Ein¬
druck hinterlassen, daß er später wohl in keinem andern afrikanischen Lande so
populär war, wie in Marokko, denn dort war durch die leichtbeschwingte Schaar
Stadt und Land von dem Ruhme seiner Tugenden erfüllt worden. Edris
Effendi -- wie man ihn in Afrika nannte -- galt den Marokkanern als der erste
Repräsentant Deutschlands, und gewiß wäre seine Jnstallirung in Tanger den
deutschen Interessen in Afrika in eminenten Grade förderlich gewesen.

Das Schicksal hat es anders gewollt. Es ließ den pflichtgetrenen und
eifrigen Beamten die Vollendung seines mit großem Geschick durchgesetzten
Werkes nicht mehr erleben, es raffte ihn an der westafrikanischen Küfte hinweg,
und er starb, das brechende Auge auf das unermeßliche Meer geheftet. Es ist
ein leidiger Trost, wenn man resignirt und, im Hinblick auf die Opfer der afri¬
kanischen Forschung, eine englische Sentenz variirend, sich sagt: Ills xatll to
lcncivlLclg's is strevn vitlr mu.r>^ 1<za>v<?.8!


G, Momente.


Gustav Nachtigall in Tunis.

Aber er sollte bald wieder aus seiner Thätigkeit gerissen werden, da die Vor¬
bereitungen zu seiner Mission immer näher rückten.

Vielleicht werde ich — schreibt er in seinem letzten uns vorliegenden Briefe
aus Tunis — aus meiner Reise herausgerissen und muß eine größere amtliche
Reise unternehmen, über die ich bei der Diskretion, mit der alle Angelegenheiten
des Auswärtigen Amtes behandelt werden, noch nicht sprechen darf. Ich würde
es vorziehen, ruhig hier zu bleiben; denn man wird mit den wachsenden Jahren
bequem. Der Ehrgeiz und die Sucht, neues zu sehen, reizen mich nicht mehr.
Ich würde übrigens den Posten hier behalten, selbst wenn ich die Reise unter¬
nehmen müßte; diese würde etwa vier Monate in Anspruch nehmen. Mein
einziger Ehrgeiz besteht noch darin, nach Marokko geschickt zu werden, und meine
Vorgesetzten haben mir auch diesen Posten, der bisher vou einem Ministerresidentcu
eingenommen wurde, soweit versprochen, wie dies überhaupt möglich ist. Der
höhere Rang unsers dortigen Vertreters reizt mich weniger, als der Umstand, daß
einstweilen Marokko noch unabhängig und nicht korrumpirt durch europäische Zi¬
vilisation ist.

Es kam, wie hier bemerkt werden mag, sein Verhältnis zu den Marokkanern
als Moment hinzu, um ihm die Übersiedlung dahin wünschenswert erscheinen
zu lassen. Auf der großen Reise von Fezzan nach Bornu hatte er sich näm¬
lich mit seinen Begleitern einer größeren Karawane angeschlossen, und zwar
einer marokkanischen Gauklerbande, die eine Kunstreise durch den Sudan beab¬
sichtigte. Bei dieser sonderbaren Gesellschaft, deren Treiben zugleich einen
religiösen Charakter trug, und die unter einem höchst angesehenen Priester-
oberhanpt, Hildsch SÄih, stand, hatte seine Persönlichkeit einen derartigen Ein¬
druck hinterlassen, daß er später wohl in keinem andern afrikanischen Lande so
populär war, wie in Marokko, denn dort war durch die leichtbeschwingte Schaar
Stadt und Land von dem Ruhme seiner Tugenden erfüllt worden. Edris
Effendi — wie man ihn in Afrika nannte — galt den Marokkanern als der erste
Repräsentant Deutschlands, und gewiß wäre seine Jnstallirung in Tanger den
deutschen Interessen in Afrika in eminenten Grade förderlich gewesen.

Das Schicksal hat es anders gewollt. Es ließ den pflichtgetrenen und
eifrigen Beamten die Vollendung seines mit großem Geschick durchgesetzten
Werkes nicht mehr erleben, es raffte ihn an der westafrikanischen Küfte hinweg,
und er starb, das brechende Auge auf das unermeßliche Meer geheftet. Es ist
ein leidiger Trost, wenn man resignirt und, im Hinblick auf die Opfer der afri¬
kanischen Forschung, eine englische Sentenz variirend, sich sagt: Ills xatll to
lcncivlLclg's is strevn vitlr mu.r>^ 1<za>v<?.8!


G, Momente.


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[0175] Gustav Nachtigall in Tunis. Aber er sollte bald wieder aus seiner Thätigkeit gerissen werden, da die Vor¬ bereitungen zu seiner Mission immer näher rückten. Vielleicht werde ich — schreibt er in seinem letzten uns vorliegenden Briefe aus Tunis — aus meiner Reise herausgerissen und muß eine größere amtliche Reise unternehmen, über die ich bei der Diskretion, mit der alle Angelegenheiten des Auswärtigen Amtes behandelt werden, noch nicht sprechen darf. Ich würde es vorziehen, ruhig hier zu bleiben; denn man wird mit den wachsenden Jahren bequem. Der Ehrgeiz und die Sucht, neues zu sehen, reizen mich nicht mehr. Ich würde übrigens den Posten hier behalten, selbst wenn ich die Reise unter¬ nehmen müßte; diese würde etwa vier Monate in Anspruch nehmen. Mein einziger Ehrgeiz besteht noch darin, nach Marokko geschickt zu werden, und meine Vorgesetzten haben mir auch diesen Posten, der bisher vou einem Ministerresidentcu eingenommen wurde, soweit versprochen, wie dies überhaupt möglich ist. Der höhere Rang unsers dortigen Vertreters reizt mich weniger, als der Umstand, daß einstweilen Marokko noch unabhängig und nicht korrumpirt durch europäische Zi¬ vilisation ist. Es kam, wie hier bemerkt werden mag, sein Verhältnis zu den Marokkanern als Moment hinzu, um ihm die Übersiedlung dahin wünschenswert erscheinen zu lassen. Auf der großen Reise von Fezzan nach Bornu hatte er sich näm¬ lich mit seinen Begleitern einer größeren Karawane angeschlossen, und zwar einer marokkanischen Gauklerbande, die eine Kunstreise durch den Sudan beab¬ sichtigte. Bei dieser sonderbaren Gesellschaft, deren Treiben zugleich einen religiösen Charakter trug, und die unter einem höchst angesehenen Priester- oberhanpt, Hildsch SÄih, stand, hatte seine Persönlichkeit einen derartigen Ein¬ druck hinterlassen, daß er später wohl in keinem andern afrikanischen Lande so populär war, wie in Marokko, denn dort war durch die leichtbeschwingte Schaar Stadt und Land von dem Ruhme seiner Tugenden erfüllt worden. Edris Effendi — wie man ihn in Afrika nannte — galt den Marokkanern als der erste Repräsentant Deutschlands, und gewiß wäre seine Jnstallirung in Tanger den deutschen Interessen in Afrika in eminenten Grade förderlich gewesen. Das Schicksal hat es anders gewollt. Es ließ den pflichtgetrenen und eifrigen Beamten die Vollendung seines mit großem Geschick durchgesetzten Werkes nicht mehr erleben, es raffte ihn an der westafrikanischen Küfte hinweg, und er starb, das brechende Auge auf das unermeßliche Meer geheftet. Es ist ein leidiger Trost, wenn man resignirt und, im Hinblick auf die Opfer der afri¬ kanischen Forschung, eine englische Sentenz variirend, sich sagt: Ills xatll to lcncivlLclg's is strevn vitlr mu.r>^ 1<za>v<?.8! G, Momente.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/175>, abgerufen am 24.11.2024.