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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Ncichtigal in Tunis.

im Lande. Mir gefällt es nicht mehr wie früher hier. Es giebt zwar viel mehr
Europäer, aber ohne gesellschaftlichen Zusammenhang untereinander. Alles will
von dem neuen Zustande der Dinge soviel als möglich Profitiren, und es läßt
sich nicht leugnen, daß die Franzosen viel Geld hierher gebracht und die Speku¬
lationen vervielfältigt haben; die, welche davon Nutzen ziehen, sind meist Europäer
und Juden.") Die Muselmänner kommen, wie immer, zu kurz. Mein Auftreten
mit den Franzosen hier hat natürlich etwas Mißtrauen vonseiten der Muhammedaner
und der Italiener geweckt, und ich werde etwas Zeit nötig haben, dasselbe zu
besiegen.

Daß er dieses Mißtrauen beseitigte, ist kaum zu bezweifeln, da Näch¬
tign! im Laufe der Jahre, während seiner ersten afrikanischen Reise, sich zu
einem klugen Diplomaten ausgebildet hatte, welcher es selbst nach Art der
alten Diplomaten nicht verschmähte, durch Betäubung des Gegners Vorteile zu
erringen. So erzählte er gern mit viel Humor, wie er in Darfur Kunde über
die Geschichte des Landes einzog. Der König hatte ihn zu diesem Behufe an
seinen Oheim gewiesen. Dieser Besitzer der Geheimnisse aber war das, was
Nachtigal in der burschikosen Sprache, die ihm eigentümlich war, ein Sauf¬
genie nannte; wenn der Jntcrwiever des Abends zu ihm kam, war er be¬
trunken, des Morgens katzenjämmerlich; in beiden Fällen außer stände, den
Schatz seines Wissens zu öffnen. Nachtigal wußte sich schließlich nicht anders
zu helfen, als daß er vom Morgen bis zum Abend in dem landesüblichen ent¬
setzlichen Gebräu mit ihm zechte und ihm dabei seine Geständnisse entlockte.

Nachtigal fand übrigens jetzt manche alte Freunde wieder, deren Wieder¬
sehen ihn sehr erfreute. So schrieb er gegen Ende des Jahres:

Mein Aufenthalt in Tripolis, wo mein alter Getreuer Wvhammed-el-GatrSni,
sein treuer Gefährte auf den Entdeckungsreisen^ bereits seit Monaten auf mich
wartete, und viele alte Freunde und Gefährten aus Bornn und Wadai zufällig
anwesend waren, hat mich sehr interessirt. Die Aenderungen und Fortschritte so¬
wohl dort als in den südlich von der Wüste gelegenen Negerländern sind viel
beträchtlicher, als ich vermutet hätte. Der Scheich Omar von Bornu ist tot, und
sein Sohn Abu Bu Bekr regiert, und zwar sehr viel besser, als man je zu hoffen
berechtigt war. Auch Sultan Ali von Wadai und der König Abu Selin von
Bagirmi ^seine gekrönten Freunde in Jnnernfrika^ sind bereits zu ihren Väter"
versammelt.



*) Bei dieser Gelegenheit sei eine Bemerkung Nachtigals aus einem seiner ersten Briefe
vom Jahre 1864 über die in Tunis vertretenen Völkertypen erwähnt: "Die Araber und
Käbylen sind wahrlich nicht schlecht und könnten, wie ich nicht selten das Vergnügen zu be¬
zeugen hatte, einem großen Teile der blutsnugendcn Europäer zum Muster dienen. Die
schlechtesten sind die europäischen Juden, dann kommen die Christen, dann die tunesischen
Juden und endlich die eingebornen Muhammedaner hinsichtlich ihres moralischen Wertes. Die
Jsrneliten sind lebendiger als die Muselmänner, doch auch um soviel spitzbübischer und
nichtsnutziger. Während sie bei uns im allgemeinen die nüchternen, mäßigen und thätigen
Leute sind, reprttsentiren sie hier das Schlemmen, Saufen und Nichtsthun. Je nachdem sie
tuncsische oder italienische Juden sind, unterscheiden sie sich noch wesentlich. Erstere sind viel
strenger, orthodoxer.....Sie bestehlen auch den Judenmissionar He.rrn Fenner, während sie
bei ihm versammelt sind, um über religiöse Gegenstände zu disputiren."
Gustav Ncichtigal in Tunis.

im Lande. Mir gefällt es nicht mehr wie früher hier. Es giebt zwar viel mehr
Europäer, aber ohne gesellschaftlichen Zusammenhang untereinander. Alles will
von dem neuen Zustande der Dinge soviel als möglich Profitiren, und es läßt
sich nicht leugnen, daß die Franzosen viel Geld hierher gebracht und die Speku¬
lationen vervielfältigt haben; die, welche davon Nutzen ziehen, sind meist Europäer
und Juden.") Die Muselmänner kommen, wie immer, zu kurz. Mein Auftreten
mit den Franzosen hier hat natürlich etwas Mißtrauen vonseiten der Muhammedaner
und der Italiener geweckt, und ich werde etwas Zeit nötig haben, dasselbe zu
besiegen.

Daß er dieses Mißtrauen beseitigte, ist kaum zu bezweifeln, da Näch¬
tign! im Laufe der Jahre, während seiner ersten afrikanischen Reise, sich zu
einem klugen Diplomaten ausgebildet hatte, welcher es selbst nach Art der
alten Diplomaten nicht verschmähte, durch Betäubung des Gegners Vorteile zu
erringen. So erzählte er gern mit viel Humor, wie er in Darfur Kunde über
die Geschichte des Landes einzog. Der König hatte ihn zu diesem Behufe an
seinen Oheim gewiesen. Dieser Besitzer der Geheimnisse aber war das, was
Nachtigal in der burschikosen Sprache, die ihm eigentümlich war, ein Sauf¬
genie nannte; wenn der Jntcrwiever des Abends zu ihm kam, war er be¬
trunken, des Morgens katzenjämmerlich; in beiden Fällen außer stände, den
Schatz seines Wissens zu öffnen. Nachtigal wußte sich schließlich nicht anders
zu helfen, als daß er vom Morgen bis zum Abend in dem landesüblichen ent¬
setzlichen Gebräu mit ihm zechte und ihm dabei seine Geständnisse entlockte.

Nachtigal fand übrigens jetzt manche alte Freunde wieder, deren Wieder¬
sehen ihn sehr erfreute. So schrieb er gegen Ende des Jahres:

Mein Aufenthalt in Tripolis, wo mein alter Getreuer Wvhammed-el-GatrSni,
sein treuer Gefährte auf den Entdeckungsreisen^ bereits seit Monaten auf mich
wartete, und viele alte Freunde und Gefährten aus Bornn und Wadai zufällig
anwesend waren, hat mich sehr interessirt. Die Aenderungen und Fortschritte so¬
wohl dort als in den südlich von der Wüste gelegenen Negerländern sind viel
beträchtlicher, als ich vermutet hätte. Der Scheich Omar von Bornu ist tot, und
sein Sohn Abu Bu Bekr regiert, und zwar sehr viel besser, als man je zu hoffen
berechtigt war. Auch Sultan Ali von Wadai und der König Abu Selin von
Bagirmi ^seine gekrönten Freunde in Jnnernfrika^ sind bereits zu ihren Väter»
versammelt.



*) Bei dieser Gelegenheit sei eine Bemerkung Nachtigals aus einem seiner ersten Briefe
vom Jahre 1864 über die in Tunis vertretenen Völkertypen erwähnt: „Die Araber und
Käbylen sind wahrlich nicht schlecht und könnten, wie ich nicht selten das Vergnügen zu be¬
zeugen hatte, einem großen Teile der blutsnugendcn Europäer zum Muster dienen. Die
schlechtesten sind die europäischen Juden, dann kommen die Christen, dann die tunesischen
Juden und endlich die eingebornen Muhammedaner hinsichtlich ihres moralischen Wertes. Die
Jsrneliten sind lebendiger als die Muselmänner, doch auch um soviel spitzbübischer und
nichtsnutziger. Während sie bei uns im allgemeinen die nüchternen, mäßigen und thätigen
Leute sind, reprttsentiren sie hier das Schlemmen, Saufen und Nichtsthun. Je nachdem sie
tuncsische oder italienische Juden sind, unterscheiden sie sich noch wesentlich. Erstere sind viel
strenger, orthodoxer.....Sie bestehlen auch den Judenmissionar He.rrn Fenner, während sie
bei ihm versammelt sind, um über religiöse Gegenstände zu disputiren."
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[0174] Gustav Ncichtigal in Tunis. im Lande. Mir gefällt es nicht mehr wie früher hier. Es giebt zwar viel mehr Europäer, aber ohne gesellschaftlichen Zusammenhang untereinander. Alles will von dem neuen Zustande der Dinge soviel als möglich Profitiren, und es läßt sich nicht leugnen, daß die Franzosen viel Geld hierher gebracht und die Speku¬ lationen vervielfältigt haben; die, welche davon Nutzen ziehen, sind meist Europäer und Juden.") Die Muselmänner kommen, wie immer, zu kurz. Mein Auftreten mit den Franzosen hier hat natürlich etwas Mißtrauen vonseiten der Muhammedaner und der Italiener geweckt, und ich werde etwas Zeit nötig haben, dasselbe zu besiegen. Daß er dieses Mißtrauen beseitigte, ist kaum zu bezweifeln, da Näch¬ tign! im Laufe der Jahre, während seiner ersten afrikanischen Reise, sich zu einem klugen Diplomaten ausgebildet hatte, welcher es selbst nach Art der alten Diplomaten nicht verschmähte, durch Betäubung des Gegners Vorteile zu erringen. So erzählte er gern mit viel Humor, wie er in Darfur Kunde über die Geschichte des Landes einzog. Der König hatte ihn zu diesem Behufe an seinen Oheim gewiesen. Dieser Besitzer der Geheimnisse aber war das, was Nachtigal in der burschikosen Sprache, die ihm eigentümlich war, ein Sauf¬ genie nannte; wenn der Jntcrwiever des Abends zu ihm kam, war er be¬ trunken, des Morgens katzenjämmerlich; in beiden Fällen außer stände, den Schatz seines Wissens zu öffnen. Nachtigal wußte sich schließlich nicht anders zu helfen, als daß er vom Morgen bis zum Abend in dem landesüblichen ent¬ setzlichen Gebräu mit ihm zechte und ihm dabei seine Geständnisse entlockte. Nachtigal fand übrigens jetzt manche alte Freunde wieder, deren Wieder¬ sehen ihn sehr erfreute. So schrieb er gegen Ende des Jahres: Mein Aufenthalt in Tripolis, wo mein alter Getreuer Wvhammed-el-GatrSni, sein treuer Gefährte auf den Entdeckungsreisen^ bereits seit Monaten auf mich wartete, und viele alte Freunde und Gefährten aus Bornn und Wadai zufällig anwesend waren, hat mich sehr interessirt. Die Aenderungen und Fortschritte so¬ wohl dort als in den südlich von der Wüste gelegenen Negerländern sind viel beträchtlicher, als ich vermutet hätte. Der Scheich Omar von Bornu ist tot, und sein Sohn Abu Bu Bekr regiert, und zwar sehr viel besser, als man je zu hoffen berechtigt war. Auch Sultan Ali von Wadai und der König Abu Selin von Bagirmi ^seine gekrönten Freunde in Jnnernfrika^ sind bereits zu ihren Väter» versammelt. *) Bei dieser Gelegenheit sei eine Bemerkung Nachtigals aus einem seiner ersten Briefe vom Jahre 1864 über die in Tunis vertretenen Völkertypen erwähnt: „Die Araber und Käbylen sind wahrlich nicht schlecht und könnten, wie ich nicht selten das Vergnügen zu be¬ zeugen hatte, einem großen Teile der blutsnugendcn Europäer zum Muster dienen. Die schlechtesten sind die europäischen Juden, dann kommen die Christen, dann die tunesischen Juden und endlich die eingebornen Muhammedaner hinsichtlich ihres moralischen Wertes. Die Jsrneliten sind lebendiger als die Muselmänner, doch auch um soviel spitzbübischer und nichtsnutziger. Während sie bei uns im allgemeinen die nüchternen, mäßigen und thätigen Leute sind, reprttsentiren sie hier das Schlemmen, Saufen und Nichtsthun. Je nachdem sie tuncsische oder italienische Juden sind, unterscheiden sie sich noch wesentlich. Erstere sind viel strenger, orthodoxer.....Sie bestehlen auch den Judenmissionar He.rrn Fenner, während sie bei ihm versammelt sind, um über religiöse Gegenstände zu disputiren."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/174>, abgerufen am 24.11.2024.