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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigal in Tunis.

Wie ich jetzt weiß, sind der Herr Bnron Dr. Lumbroso (denn er ist jetzt ita¬
lienischer Baron geworden) und Dr. Vignale zum Bey gegangen, hinter dein Rücken
des Premierministers, um ihm auseinanderzusetzen, daß ein Spezialarzt des Ministers
ihre Interessen verletze, und daß es absolut notwendig sei, mich deshalb irgendwo
anders zu fixiren. Infolgedessen stellte mich der Bey dann als ersten Arzt der
Flotille an. So lange der Minister um in der Nähe war, blieb ich bei ihm;
doch jetzt, wo er mit dem Hofe nach Tunis zurückkehrt, werde ich an die Flotte
gebannt sein. Der Minister war zwar sehr erzürnt darüber, doch verhindert ihn
wahrscheinlich die hiesige Gewohnheit, niemand direkt vor den Kopf zu stoßen, sie
zu kontrariireu. Nun, wenigstens werde ich ruhig leben können und für mich ar¬
beiten, was mir schon seit lauger Zeit nicht mehr möglich war.

So um die wertvollsten Früchte seiner nicht gefahrlosen Mühen von denen
gebracht, die ihrerseits vor dein Aufstande nach Europa geflüchtet waren, schlug
Nachtigal sein Quartier in La Goletta auf, dem kümmerlichen Hafenstädtchen,
und verbrachte den Winter einsam in einer Wohnung, die ihn vor Kälte fast
umkommen ließ, ganz allein mit seinem Hunde und einem Diener, der so dumm
war, daß Nachtigal sich ärgerte, wenn er mit ihm sprechen mußte. Zum Glück
erfreute er sich wenigstens guter Gesundheit, hatte Bücher und die Hoffnung,
daß dieses Leben nicht ewig dauern würde. Einige Kranke im Hospital, einige
wenige in der Stadt, das war alles. Zweimal wöchentlich ging er nach Tunis
und dem Bardo, teils um einige restirende Patienten zu besuchen, teils um sich
bei Hofe zu zeigen. Letzteres war unbedingt notwendig, wenn er nicht in Ver¬
gessenheit geraten wollte. Der Minister war jedesmal sehr erfreut, ihn zu scheu,
oder sprach sich wenigstens so aus. Ob dies aber eine Garantie für die Zu¬
kunft war, konnte niemand sagen.

Nachtigal hatte lange zu warten. Es war eine öde, unerfreuliche Zeit,
schmerzlich getrübt noch durch den Tod seiner Mutter, die zu Anfang 1866 der
Grippe erlag. Damit war das erste und innigste Band, das ihn an die
Heimat knüpfte, gelöst. Er schreibt denn auch später in Erwägung seiner Si¬
tuation:

Ohne weitere Aussichten aus Verbesserung, und zwar baldige, werde ich gewiß
nicht aufhören, an Veränderung meiner Lage zu denken und, bevor wenige Jahre
verflossen sein werden, Tunis verlassen. Doch kann ich mir kaum denken, daß ich
mich werde entschließen können, vor meinem vierzigsten Jahre in meine Philiströse
Heimat zurückzukehren. Mein Endziel bleibt gewiß mein Vaterland, das sicherlich
das beste Land mit den besten Bewohnern darstellt, doch zuvor muß noch die Welt
in ihren ungewöhnlichen Formen studirt werden.

Überhaupt war seine Unternehmungslust, seine jugendfrische Elastizität nicht
im geringsten dadurch verringert worden, daß der Erfolg seinen Wünschen bis¬
her so wenig entsprochen hatte. Gott! ruft er im Februar 1867 im Rückblick
auf seine Studentenzeit aus, erst zehn Jahre, daß ich diese kolossal heitre Zeit
beendigte, und noch nichts für die Unsterblichkeit gethan! Ich fühle im Gegen¬
teil das deutliche Bedürfnis, noch einmal zu studiren, und werde sicherlich, wenn


Gustav Nachtigal in Tunis.

Wie ich jetzt weiß, sind der Herr Bnron Dr. Lumbroso (denn er ist jetzt ita¬
lienischer Baron geworden) und Dr. Vignale zum Bey gegangen, hinter dein Rücken
des Premierministers, um ihm auseinanderzusetzen, daß ein Spezialarzt des Ministers
ihre Interessen verletze, und daß es absolut notwendig sei, mich deshalb irgendwo
anders zu fixiren. Infolgedessen stellte mich der Bey dann als ersten Arzt der
Flotille an. So lange der Minister um in der Nähe war, blieb ich bei ihm;
doch jetzt, wo er mit dem Hofe nach Tunis zurückkehrt, werde ich an die Flotte
gebannt sein. Der Minister war zwar sehr erzürnt darüber, doch verhindert ihn
wahrscheinlich die hiesige Gewohnheit, niemand direkt vor den Kopf zu stoßen, sie
zu kontrariireu. Nun, wenigstens werde ich ruhig leben können und für mich ar¬
beiten, was mir schon seit lauger Zeit nicht mehr möglich war.

So um die wertvollsten Früchte seiner nicht gefahrlosen Mühen von denen
gebracht, die ihrerseits vor dein Aufstande nach Europa geflüchtet waren, schlug
Nachtigal sein Quartier in La Goletta auf, dem kümmerlichen Hafenstädtchen,
und verbrachte den Winter einsam in einer Wohnung, die ihn vor Kälte fast
umkommen ließ, ganz allein mit seinem Hunde und einem Diener, der so dumm
war, daß Nachtigal sich ärgerte, wenn er mit ihm sprechen mußte. Zum Glück
erfreute er sich wenigstens guter Gesundheit, hatte Bücher und die Hoffnung,
daß dieses Leben nicht ewig dauern würde. Einige Kranke im Hospital, einige
wenige in der Stadt, das war alles. Zweimal wöchentlich ging er nach Tunis
und dem Bardo, teils um einige restirende Patienten zu besuchen, teils um sich
bei Hofe zu zeigen. Letzteres war unbedingt notwendig, wenn er nicht in Ver¬
gessenheit geraten wollte. Der Minister war jedesmal sehr erfreut, ihn zu scheu,
oder sprach sich wenigstens so aus. Ob dies aber eine Garantie für die Zu¬
kunft war, konnte niemand sagen.

Nachtigal hatte lange zu warten. Es war eine öde, unerfreuliche Zeit,
schmerzlich getrübt noch durch den Tod seiner Mutter, die zu Anfang 1866 der
Grippe erlag. Damit war das erste und innigste Band, das ihn an die
Heimat knüpfte, gelöst. Er schreibt denn auch später in Erwägung seiner Si¬
tuation:

Ohne weitere Aussichten aus Verbesserung, und zwar baldige, werde ich gewiß
nicht aufhören, an Veränderung meiner Lage zu denken und, bevor wenige Jahre
verflossen sein werden, Tunis verlassen. Doch kann ich mir kaum denken, daß ich
mich werde entschließen können, vor meinem vierzigsten Jahre in meine Philiströse
Heimat zurückzukehren. Mein Endziel bleibt gewiß mein Vaterland, das sicherlich
das beste Land mit den besten Bewohnern darstellt, doch zuvor muß noch die Welt
in ihren ungewöhnlichen Formen studirt werden.

Überhaupt war seine Unternehmungslust, seine jugendfrische Elastizität nicht
im geringsten dadurch verringert worden, daß der Erfolg seinen Wünschen bis¬
her so wenig entsprochen hatte. Gott! ruft er im Februar 1867 im Rückblick
auf seine Studentenzeit aus, erst zehn Jahre, daß ich diese kolossal heitre Zeit
beendigte, und noch nichts für die Unsterblichkeit gethan! Ich fühle im Gegen¬
teil das deutliche Bedürfnis, noch einmal zu studiren, und werde sicherlich, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/168>, abgerufen am 24.11.2024.