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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine perle.

Aber wo war Antonio Maria? Die Flucht des Schloßgesindes hatte be¬
gonnen. Wie bei einem Erdbeben jeder vor allein ins Freie zu kommen sucht,
ehe die Mauern über ihn zusammenstürzen, so pflegte damals der in einen: Hause
ertönende Schreckensruf: ?oso! xsstilonM! alles, was Beine hatte, auf und da¬
von zu jagen, sei es von der Arbeit oder vom Festgelage oder aus dem Bette,
sei es sogar vom Schildwand-Posten, ob auch auf das Verlassen desselben Todes¬
strafe stehen mochte. Hinaus stürmte alles, denn der Tod war ja allen auf
den Fersen, hinaus in die Kirchen, in die Kapellen, unter den Schutz des LMto
xrotöttors, hinaus in die sofort unter dem Vvrantritt von Mönchen oder Nonnen
sich bildenden Prozessionen, denn es war ja erste und dringendste Pflicht, sich
im Gebet und in Bittgesängen zu denen zu gesellen, welche den Zorn Gottes noch
zu beschwören suchten.

War denn aber die Pest im Schlosse ausgebrochen, oder hatte der durch¬
stochene und durchräucherte Florentiner Brief, welcher gestern Francesco und
dann den zum Vorlesen desselben befohlenen Pagen in so arges Entsetzen brachte,
nachträglich nur ein Pestgerücht veranlaßt?

Keins von beiden.

Aber die ebenso fürchterliche Seuche, die v-rjnols jener seuchenreichen Zeit,
die schwarzen Blattern waren im Schlosse ausgebrochen. Seit drei Jahrhunderten
hatte dieses Schrecknis des Orients sich in Europa eingebürgert und oft genug
ganze Ortschaften entvölkert. Die Faftcnprediger versäumten nie, wenn sie von
den Geißeln redeten, die der Herr in Zeiten großer Sündenverderbnis über die
erschreckte Menschheit zu schwingen wisse, auch die v^roth zu nennen und die
Mütter daran zu erinnern, daß nnter Pharao die ganze ägyptische Erstgeburt
durch die of-Mois dahingemäht worden sei. Die indische Pockengöttin Mariatale
Patragali hatte hie und da, wie in Venedig und Verona auch in Mantua ge¬
heime Verehrer; und in Mantua fast mehr noch als in den eigentlichen, mit
dem Orient sich berührenden Handelsplätzen wurden Amulette aller Art, ob-
schon aus dem Pockenneste Mekka und andern ähnlich verdächtigen Orten ein¬
geschmuggelt, gerade deshalb als wunderthätig geschätzt, denn nur in solchen Ge¬
genden konnte ihre Geheimkraft sich ja erprobt haben.

Das Lieblingszimmer, in welchem Francesco in müßigen Stunden, zwischen
Retorten und Schmelztiegeln, von niemand beobachtet und gestört, der Kunst
des Hermes Trismegistos, der Alchemie, oblag und wo er heute auch das für
Fernando bestimmte Memorandum zu verfassen begonnen hatte, befand sich in
dem ältesten Teile des herzoglichen Palastes, dem Castellv ti Corea, einem von
Gräben festungsartig umgebenen, durch Türme befestigten Außenwerke zunächst
dem Ponte San Giorgio. Das nahe Rauschen eines Wehres, vorn Argile Mulino
herüber das Klappern der Apostclmnhlen, das Waffenklirren der im Hofe mit
Würfelspiel und andern Zerstreuungen sich die Langeweile vertreibenden Helle¬
bardire, das waren die Laute, welche bis in das Zimmer Frcmeeseos eintönig


Um eine perle.

Aber wo war Antonio Maria? Die Flucht des Schloßgesindes hatte be¬
gonnen. Wie bei einem Erdbeben jeder vor allein ins Freie zu kommen sucht,
ehe die Mauern über ihn zusammenstürzen, so pflegte damals der in einen: Hause
ertönende Schreckensruf: ?oso! xsstilonM! alles, was Beine hatte, auf und da¬
von zu jagen, sei es von der Arbeit oder vom Festgelage oder aus dem Bette,
sei es sogar vom Schildwand-Posten, ob auch auf das Verlassen desselben Todes¬
strafe stehen mochte. Hinaus stürmte alles, denn der Tod war ja allen auf
den Fersen, hinaus in die Kirchen, in die Kapellen, unter den Schutz des LMto
xrotöttors, hinaus in die sofort unter dem Vvrantritt von Mönchen oder Nonnen
sich bildenden Prozessionen, denn es war ja erste und dringendste Pflicht, sich
im Gebet und in Bittgesängen zu denen zu gesellen, welche den Zorn Gottes noch
zu beschwören suchten.

War denn aber die Pest im Schlosse ausgebrochen, oder hatte der durch¬
stochene und durchräucherte Florentiner Brief, welcher gestern Francesco und
dann den zum Vorlesen desselben befohlenen Pagen in so arges Entsetzen brachte,
nachträglich nur ein Pestgerücht veranlaßt?

Keins von beiden.

Aber die ebenso fürchterliche Seuche, die v-rjnols jener seuchenreichen Zeit,
die schwarzen Blattern waren im Schlosse ausgebrochen. Seit drei Jahrhunderten
hatte dieses Schrecknis des Orients sich in Europa eingebürgert und oft genug
ganze Ortschaften entvölkert. Die Faftcnprediger versäumten nie, wenn sie von
den Geißeln redeten, die der Herr in Zeiten großer Sündenverderbnis über die
erschreckte Menschheit zu schwingen wisse, auch die v^roth zu nennen und die
Mütter daran zu erinnern, daß nnter Pharao die ganze ägyptische Erstgeburt
durch die of-Mois dahingemäht worden sei. Die indische Pockengöttin Mariatale
Patragali hatte hie und da, wie in Venedig und Verona auch in Mantua ge¬
heime Verehrer; und in Mantua fast mehr noch als in den eigentlichen, mit
dem Orient sich berührenden Handelsplätzen wurden Amulette aller Art, ob-
schon aus dem Pockenneste Mekka und andern ähnlich verdächtigen Orten ein¬
geschmuggelt, gerade deshalb als wunderthätig geschätzt, denn nur in solchen Ge¬
genden konnte ihre Geheimkraft sich ja erprobt haben.

Das Lieblingszimmer, in welchem Francesco in müßigen Stunden, zwischen
Retorten und Schmelztiegeln, von niemand beobachtet und gestört, der Kunst
des Hermes Trismegistos, der Alchemie, oblag und wo er heute auch das für
Fernando bestimmte Memorandum zu verfassen begonnen hatte, befand sich in
dem ältesten Teile des herzoglichen Palastes, dem Castellv ti Corea, einem von
Gräben festungsartig umgebenen, durch Türme befestigten Außenwerke zunächst
dem Ponte San Giorgio. Das nahe Rauschen eines Wehres, vorn Argile Mulino
herüber das Klappern der Apostclmnhlen, das Waffenklirren der im Hofe mit
Würfelspiel und andern Zerstreuungen sich die Langeweile vertreibenden Helle¬
bardire, das waren die Laute, welche bis in das Zimmer Frcmeeseos eintönig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/149>, abgerufen am 25.11.2024.