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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Nachtigal in Tunis.

den im Grunde urkvnservativcn, den europäischen Neuerungen abgeneigten
Arabern heiß ersehnt, bewog viele, in ihre Dörfer zurückzukehren. Die Haupt¬
masse aber erklärte sich nicht für befriedigt, ehe nicht der Khasnadar beseitigt
sei, welchen der Bey nicht fallen lassen wollte. Zwar verstieg sich die Revo¬
lution infolge der angestammten Loyalität nur bis zur Steuerverweigerung;
man wollte die Dynastie nicht stürzen, sondern nur von dem Berater befreien;
auch war kein religiöser Fanatismus im Spiel, mithin für die Fremden kein
Grund zur Besorgnis. Doch schon versammelten sich zahlreiche Kriegsschiffe der
Großmächte im Hafen von La Gvletta, um zur Hand zu sein. Die Haltung
des französischen Geschäftsträgers ließ leicht erkennen, wie sehr seiner Regierung
schon damals daran lag, sich um die Pazifikation von Tunesien verdient zu
machen. Vom französischen Generalkonsulate kamen stets die aufregendsten und
schlimmsten Nachrichten aus dem Innern des Landes. Der französische Ge¬
neralkonsul hatte vom Bey Absetzung und Verbannung des Khasnadar und der
andern Kreaturen gefordert. Er war es, der Truppen ans Land setzen wollte.
Dazwischen langte aber ein türkischer Abgesandter an, und Frankreichs Ver¬
treter, obwohl diese Macht die Unabhängigkeit von Tunis stets ohne Rückhalt
anerkannt hatte, überhäufte ihn mit Ehren und Freundschaftsbezeugungen.

Die Lage der Regierung wurde von Tag zu Tag kritischer; kein Geld
kam mehr ein, man glaubte, sie werde sich nur noch Wochen halten können.
So gering war ihr Kredit, daß Dr. Nachtigall die Stelle eines Militärarztes
für die bevorstehende Expedition, für die man ihn mit 10000 Franks auf we¬
nige Monate engagiren wollte, ausschlagen zu müssen glaubte, da er das Geld
doch nicht bekommen würde. Da erschien ein Brief von ihm ans Mdjez-et-Bab,
datirt den 1. August 1864. Er hatte das Engagement schließlich doch noch
angenommen und war der Armee nachgezogen. Er schreibt:

Ich kann auf diese Weise endlich meinem Wunsche, Land und Leute kennen
zu lernen, genügen; zugleich kann ich hoffen, nach Vollendung in konvenabler Weise
Plazirt zu werden. Kann auch mein Gehalt nicht dasselbe bleiben -- denn ich be¬
komme jetzt 2000 Piaster Per Monat --, so werde ich doch einen Platz bekommen,
der mir andre Aussichten bietet als kleine und große Städte Preußens. . . . Ich
habe einen jüdischen Jüngling, der sich David nennt und siebzehn Jahre zählt,
engagirt. Dieser hoffnungsvolle Knabe ist Dolmetscher, Koch, Wahns- und Plätt¬
frau und erschreckt mich ordentlich durch seine vielseitigen Talente. 1000 Piaster
habe ich gleich für Egnivirung ausgeben müssen, denn bei den geringen Hilfs¬
quellen des Landes muß man alles mitnehmen. Es gehört dahin ein Fäßchen
Wein, Kaffee, Lichter, Cognac, Matratzen, einige Burnus und die berühmte Schäschia,
das Zeichen der tunesischen Anstellung, eine rote Mütze mit blauseidner dicker Quaste.
Revolver und Dolche fehlen nicht. Gegen die Sonne bin ich durch einen Hut ge¬
schützt, von dem unsre Bezeichnung Pflanzcrhut nur eine höchst unvollkommene Idee
giebt, und der etwa vier Fuß im Durchmesser mißt. Es war mir höchst inter¬
essant, als ich, eskortirt von vier Spahis, gestern von Tunis hier ankam, das
mannichfaltige Ensemble des Lagers zu überblicken. Am Eingange bedrohten einige


Gustav Nachtigal in Tunis.

den im Grunde urkvnservativcn, den europäischen Neuerungen abgeneigten
Arabern heiß ersehnt, bewog viele, in ihre Dörfer zurückzukehren. Die Haupt¬
masse aber erklärte sich nicht für befriedigt, ehe nicht der Khasnadar beseitigt
sei, welchen der Bey nicht fallen lassen wollte. Zwar verstieg sich die Revo¬
lution infolge der angestammten Loyalität nur bis zur Steuerverweigerung;
man wollte die Dynastie nicht stürzen, sondern nur von dem Berater befreien;
auch war kein religiöser Fanatismus im Spiel, mithin für die Fremden kein
Grund zur Besorgnis. Doch schon versammelten sich zahlreiche Kriegsschiffe der
Großmächte im Hafen von La Gvletta, um zur Hand zu sein. Die Haltung
des französischen Geschäftsträgers ließ leicht erkennen, wie sehr seiner Regierung
schon damals daran lag, sich um die Pazifikation von Tunesien verdient zu
machen. Vom französischen Generalkonsulate kamen stets die aufregendsten und
schlimmsten Nachrichten aus dem Innern des Landes. Der französische Ge¬
neralkonsul hatte vom Bey Absetzung und Verbannung des Khasnadar und der
andern Kreaturen gefordert. Er war es, der Truppen ans Land setzen wollte.
Dazwischen langte aber ein türkischer Abgesandter an, und Frankreichs Ver¬
treter, obwohl diese Macht die Unabhängigkeit von Tunis stets ohne Rückhalt
anerkannt hatte, überhäufte ihn mit Ehren und Freundschaftsbezeugungen.

Die Lage der Regierung wurde von Tag zu Tag kritischer; kein Geld
kam mehr ein, man glaubte, sie werde sich nur noch Wochen halten können.
So gering war ihr Kredit, daß Dr. Nachtigall die Stelle eines Militärarztes
für die bevorstehende Expedition, für die man ihn mit 10000 Franks auf we¬
nige Monate engagiren wollte, ausschlagen zu müssen glaubte, da er das Geld
doch nicht bekommen würde. Da erschien ein Brief von ihm ans Mdjez-et-Bab,
datirt den 1. August 1864. Er hatte das Engagement schließlich doch noch
angenommen und war der Armee nachgezogen. Er schreibt:

Ich kann auf diese Weise endlich meinem Wunsche, Land und Leute kennen
zu lernen, genügen; zugleich kann ich hoffen, nach Vollendung in konvenabler Weise
Plazirt zu werden. Kann auch mein Gehalt nicht dasselbe bleiben — denn ich be¬
komme jetzt 2000 Piaster Per Monat —, so werde ich doch einen Platz bekommen,
der mir andre Aussichten bietet als kleine und große Städte Preußens. . . . Ich
habe einen jüdischen Jüngling, der sich David nennt und siebzehn Jahre zählt,
engagirt. Dieser hoffnungsvolle Knabe ist Dolmetscher, Koch, Wahns- und Plätt¬
frau und erschreckt mich ordentlich durch seine vielseitigen Talente. 1000 Piaster
habe ich gleich für Egnivirung ausgeben müssen, denn bei den geringen Hilfs¬
quellen des Landes muß man alles mitnehmen. Es gehört dahin ein Fäßchen
Wein, Kaffee, Lichter, Cognac, Matratzen, einige Burnus und die berühmte Schäschia,
das Zeichen der tunesischen Anstellung, eine rote Mütze mit blauseidner dicker Quaste.
Revolver und Dolche fehlen nicht. Gegen die Sonne bin ich durch einen Hut ge¬
schützt, von dem unsre Bezeichnung Pflanzcrhut nur eine höchst unvollkommene Idee
giebt, und der etwa vier Fuß im Durchmesser mißt. Es war mir höchst inter¬
essant, als ich, eskortirt von vier Spahis, gestern von Tunis hier ankam, das
mannichfaltige Ensemble des Lagers zu überblicken. Am Eingange bedrohten einige


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[0119] Gustav Nachtigal in Tunis. den im Grunde urkvnservativcn, den europäischen Neuerungen abgeneigten Arabern heiß ersehnt, bewog viele, in ihre Dörfer zurückzukehren. Die Haupt¬ masse aber erklärte sich nicht für befriedigt, ehe nicht der Khasnadar beseitigt sei, welchen der Bey nicht fallen lassen wollte. Zwar verstieg sich die Revo¬ lution infolge der angestammten Loyalität nur bis zur Steuerverweigerung; man wollte die Dynastie nicht stürzen, sondern nur von dem Berater befreien; auch war kein religiöser Fanatismus im Spiel, mithin für die Fremden kein Grund zur Besorgnis. Doch schon versammelten sich zahlreiche Kriegsschiffe der Großmächte im Hafen von La Gvletta, um zur Hand zu sein. Die Haltung des französischen Geschäftsträgers ließ leicht erkennen, wie sehr seiner Regierung schon damals daran lag, sich um die Pazifikation von Tunesien verdient zu machen. Vom französischen Generalkonsulate kamen stets die aufregendsten und schlimmsten Nachrichten aus dem Innern des Landes. Der französische Ge¬ neralkonsul hatte vom Bey Absetzung und Verbannung des Khasnadar und der andern Kreaturen gefordert. Er war es, der Truppen ans Land setzen wollte. Dazwischen langte aber ein türkischer Abgesandter an, und Frankreichs Ver¬ treter, obwohl diese Macht die Unabhängigkeit von Tunis stets ohne Rückhalt anerkannt hatte, überhäufte ihn mit Ehren und Freundschaftsbezeugungen. Die Lage der Regierung wurde von Tag zu Tag kritischer; kein Geld kam mehr ein, man glaubte, sie werde sich nur noch Wochen halten können. So gering war ihr Kredit, daß Dr. Nachtigall die Stelle eines Militärarztes für die bevorstehende Expedition, für die man ihn mit 10000 Franks auf we¬ nige Monate engagiren wollte, ausschlagen zu müssen glaubte, da er das Geld doch nicht bekommen würde. Da erschien ein Brief von ihm ans Mdjez-et-Bab, datirt den 1. August 1864. Er hatte das Engagement schließlich doch noch angenommen und war der Armee nachgezogen. Er schreibt: Ich kann auf diese Weise endlich meinem Wunsche, Land und Leute kennen zu lernen, genügen; zugleich kann ich hoffen, nach Vollendung in konvenabler Weise Plazirt zu werden. Kann auch mein Gehalt nicht dasselbe bleiben — denn ich be¬ komme jetzt 2000 Piaster Per Monat —, so werde ich doch einen Platz bekommen, der mir andre Aussichten bietet als kleine und große Städte Preußens. . . . Ich habe einen jüdischen Jüngling, der sich David nennt und siebzehn Jahre zählt, engagirt. Dieser hoffnungsvolle Knabe ist Dolmetscher, Koch, Wahns- und Plätt¬ frau und erschreckt mich ordentlich durch seine vielseitigen Talente. 1000 Piaster habe ich gleich für Egnivirung ausgeben müssen, denn bei den geringen Hilfs¬ quellen des Landes muß man alles mitnehmen. Es gehört dahin ein Fäßchen Wein, Kaffee, Lichter, Cognac, Matratzen, einige Burnus und die berühmte Schäschia, das Zeichen der tunesischen Anstellung, eine rote Mütze mit blauseidner dicker Quaste. Revolver und Dolche fehlen nicht. Gegen die Sonne bin ich durch einen Hut ge¬ schützt, von dem unsre Bezeichnung Pflanzcrhut nur eine höchst unvollkommene Idee giebt, und der etwa vier Fuß im Durchmesser mißt. Es war mir höchst inter¬ essant, als ich, eskortirt von vier Spahis, gestern von Tunis hier ankam, das mannichfaltige Ensemble des Lagers zu überblicken. Am Eingange bedrohten einige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/119>, abgerufen am 24.11.2024.