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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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mittelmäßiger Possen und Operretten in Wien und Berlin in einem einzigen
Jahre.

Da es hiernach in bezug ans die Ertragsfähigkeit seines Talents für den
Schauspieler wie für den Dichter weniger auf die Güte dessen ankommt, was
er leistet, als auf die Wirkung, welche er damit auf die Massen ausübt, so
wurde man auch nicht wählerisch in den Mitteln, welche hierzu noch außer¬
halb des Bereiches der Kunst lagen. Erst jetzt erlangte die Claane und Re¬
klame die .Höhe ihrer Ausbildung und ihrer Macht. Was man für sich selber
zu thun verschmähte, ließ sich hierbei bequem durch Jmpresarieu und Agenten
erreichen. Mit der Entwicklung der Tagesblütter ist der Einfluß der Presse
auf das Theater ins Ungeheure gewachsen. Er hätte sehr wohlthätig werden
können, wenn man die Aufgabe und Verantwortung, welche vorlagen, richtig
erkannt und ihnen zu entsprechen gesucht hätte. Am meisten haben hiergegen
die Lokalblätter gesündigt, doch selbst große Zeitungen sind nicht davon frei¬
zusprechen. Nur zu häufig werden die Theaterbesprechuugen Personen anver¬
traut, die hierzu weder die genügende Einsicht und ästhetisch-literarische Bildung
noch die nötige Zuverlässigkeit des Charakters besitzen. Selbst ausgezeichnete
Feuilletonisten erscheinen auf diesem Gebiete nicht immer frei von persönlichen
Rücksichten und von der Eitelkeit, welcher es mehr darum zu thun ist, den
eignen Witz leuchten zu lassen, als die Vorzüge und Mängel des Gegenstandes
in gewissenhafter Weise zu beleuchten. Kein Wunder, daß die verschiednen Kri-
tiker derselbe:? Stadt sich über dieselbe Vorstellung oft in der haarsträubendsten
Weise widersprechen, ja daß selbst geistvolle Beurteiler dann und wann in
Widerspruch mit sich selber geraten und das heute loben, was sie vorm Jahre
oder vor noch kürzerer Zeit verurteilt, und hente empfehlen, was sie damals
diseredidirt haben. Häufiger begegnet man freilich noch den Widersprüchen, die
zwischen dein Urteil des Theaterrcfcrcnteu und den aus andern Blättern ent¬
nommene" oder auf unteren Wege erhaltenen Theaternvtizen eines und desselben
Blattes bestehen. Hier in dem den Kunst- und Theaternachrichten gewidmeten
Teile ist der wahre Herd der Reklame. Hier werden die von den Thcatcr-
direktionen eingesandten Anpreisungen als Ausflüsse eignen Urteils wieder¬
gegeben. Hier arbeitet die Nedaltionsscheere Tag für Tag gedankenlos an der
Geburt neuer Berühmtheiten Napoleon I. hat die politische Geschichte in, t'Ms
czonvsnuv genannt; mit kaum minderem Rechte verdient ein Teil der Literatur-,
besonders der Theatergeschichte, diese Bezeichnung. Die Zeitungen arbeiten ihr
dabei flott in die Hände.

Was ans den Bühnengeschmack noch besonders nachteilig eingewirkt hat,
ist einerseits die Verschiebung der VermögensvcrlMtnissc, mit denen die Bildung
nicht immer Schritt hielt, andrerseits die durch den größeren Aufwand erforderten
hohen Thcaterpreise. Das alte Theaterpublikum wurde hierdurch fast voll¬
ständig aufgelöst, ein großer Teil der Gebildeten fast ganz ans dem Theater


mittelmäßiger Possen und Operretten in Wien und Berlin in einem einzigen
Jahre.

Da es hiernach in bezug ans die Ertragsfähigkeit seines Talents für den
Schauspieler wie für den Dichter weniger auf die Güte dessen ankommt, was
er leistet, als auf die Wirkung, welche er damit auf die Massen ausübt, so
wurde man auch nicht wählerisch in den Mitteln, welche hierzu noch außer¬
halb des Bereiches der Kunst lagen. Erst jetzt erlangte die Claane und Re¬
klame die .Höhe ihrer Ausbildung und ihrer Macht. Was man für sich selber
zu thun verschmähte, ließ sich hierbei bequem durch Jmpresarieu und Agenten
erreichen. Mit der Entwicklung der Tagesblütter ist der Einfluß der Presse
auf das Theater ins Ungeheure gewachsen. Er hätte sehr wohlthätig werden
können, wenn man die Aufgabe und Verantwortung, welche vorlagen, richtig
erkannt und ihnen zu entsprechen gesucht hätte. Am meisten haben hiergegen
die Lokalblätter gesündigt, doch selbst große Zeitungen sind nicht davon frei¬
zusprechen. Nur zu häufig werden die Theaterbesprechuugen Personen anver¬
traut, die hierzu weder die genügende Einsicht und ästhetisch-literarische Bildung
noch die nötige Zuverlässigkeit des Charakters besitzen. Selbst ausgezeichnete
Feuilletonisten erscheinen auf diesem Gebiete nicht immer frei von persönlichen
Rücksichten und von der Eitelkeit, welcher es mehr darum zu thun ist, den
eignen Witz leuchten zu lassen, als die Vorzüge und Mängel des Gegenstandes
in gewissenhafter Weise zu beleuchten. Kein Wunder, daß die verschiednen Kri-
tiker derselbe:? Stadt sich über dieselbe Vorstellung oft in der haarsträubendsten
Weise widersprechen, ja daß selbst geistvolle Beurteiler dann und wann in
Widerspruch mit sich selber geraten und das heute loben, was sie vorm Jahre
oder vor noch kürzerer Zeit verurteilt, und hente empfehlen, was sie damals
diseredidirt haben. Häufiger begegnet man freilich noch den Widersprüchen, die
zwischen dein Urteil des Theaterrcfcrcnteu und den aus andern Blättern ent¬
nommene» oder auf unteren Wege erhaltenen Theaternvtizen eines und desselben
Blattes bestehen. Hier in dem den Kunst- und Theaternachrichten gewidmeten
Teile ist der wahre Herd der Reklame. Hier werden die von den Thcatcr-
direktionen eingesandten Anpreisungen als Ausflüsse eignen Urteils wieder¬
gegeben. Hier arbeitet die Nedaltionsscheere Tag für Tag gedankenlos an der
Geburt neuer Berühmtheiten Napoleon I. hat die politische Geschichte in, t'Ms
czonvsnuv genannt; mit kaum minderem Rechte verdient ein Teil der Literatur-,
besonders der Theatergeschichte, diese Bezeichnung. Die Zeitungen arbeiten ihr
dabei flott in die Hände.

Was ans den Bühnengeschmack noch besonders nachteilig eingewirkt hat,
ist einerseits die Verschiebung der VermögensvcrlMtnissc, mit denen die Bildung
nicht immer Schritt hielt, andrerseits die durch den größeren Aufwand erforderten
hohen Thcaterpreise. Das alte Theaterpublikum wurde hierdurch fast voll¬
ständig aufgelöst, ein großer Teil der Gebildeten fast ganz ans dem Theater


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[0091] mittelmäßiger Possen und Operretten in Wien und Berlin in einem einzigen Jahre. Da es hiernach in bezug ans die Ertragsfähigkeit seines Talents für den Schauspieler wie für den Dichter weniger auf die Güte dessen ankommt, was er leistet, als auf die Wirkung, welche er damit auf die Massen ausübt, so wurde man auch nicht wählerisch in den Mitteln, welche hierzu noch außer¬ halb des Bereiches der Kunst lagen. Erst jetzt erlangte die Claane und Re¬ klame die .Höhe ihrer Ausbildung und ihrer Macht. Was man für sich selber zu thun verschmähte, ließ sich hierbei bequem durch Jmpresarieu und Agenten erreichen. Mit der Entwicklung der Tagesblütter ist der Einfluß der Presse auf das Theater ins Ungeheure gewachsen. Er hätte sehr wohlthätig werden können, wenn man die Aufgabe und Verantwortung, welche vorlagen, richtig erkannt und ihnen zu entsprechen gesucht hätte. Am meisten haben hiergegen die Lokalblätter gesündigt, doch selbst große Zeitungen sind nicht davon frei¬ zusprechen. Nur zu häufig werden die Theaterbesprechuugen Personen anver¬ traut, die hierzu weder die genügende Einsicht und ästhetisch-literarische Bildung noch die nötige Zuverlässigkeit des Charakters besitzen. Selbst ausgezeichnete Feuilletonisten erscheinen auf diesem Gebiete nicht immer frei von persönlichen Rücksichten und von der Eitelkeit, welcher es mehr darum zu thun ist, den eignen Witz leuchten zu lassen, als die Vorzüge und Mängel des Gegenstandes in gewissenhafter Weise zu beleuchten. Kein Wunder, daß die verschiednen Kri- tiker derselbe:? Stadt sich über dieselbe Vorstellung oft in der haarsträubendsten Weise widersprechen, ja daß selbst geistvolle Beurteiler dann und wann in Widerspruch mit sich selber geraten und das heute loben, was sie vorm Jahre oder vor noch kürzerer Zeit verurteilt, und hente empfehlen, was sie damals diseredidirt haben. Häufiger begegnet man freilich noch den Widersprüchen, die zwischen dein Urteil des Theaterrcfcrcnteu und den aus andern Blättern ent¬ nommene» oder auf unteren Wege erhaltenen Theaternvtizen eines und desselben Blattes bestehen. Hier in dem den Kunst- und Theaternachrichten gewidmeten Teile ist der wahre Herd der Reklame. Hier werden die von den Thcatcr- direktionen eingesandten Anpreisungen als Ausflüsse eignen Urteils wieder¬ gegeben. Hier arbeitet die Nedaltionsscheere Tag für Tag gedankenlos an der Geburt neuer Berühmtheiten Napoleon I. hat die politische Geschichte in, t'Ms czonvsnuv genannt; mit kaum minderem Rechte verdient ein Teil der Literatur-, besonders der Theatergeschichte, diese Bezeichnung. Die Zeitungen arbeiten ihr dabei flott in die Hände. Was ans den Bühnengeschmack noch besonders nachteilig eingewirkt hat, ist einerseits die Verschiebung der VermögensvcrlMtnissc, mit denen die Bildung nicht immer Schritt hielt, andrerseits die durch den größeren Aufwand erforderten hohen Thcaterpreise. Das alte Theaterpublikum wurde hierdurch fast voll¬ ständig aufgelöst, ein großer Teil der Gebildeten fast ganz ans dem Theater

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/91>, abgerufen am 22.07.2024.