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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Bühne zu widmen beabsichtigten, durch die Aufhebung der den Schauspieler¬
stand bisher umcugeuden Schranken und die erweiterten und immer glänzender
werdenden Aussichten ganz außerordentlich stieg. Die Zahl der neuen Talente
entsprach aber durchaus nicht dem Andrang der Kunstnovizen, daher die neuen
Unternehmer den alten Theatern ihre Kräfte streitig zu mache" suchten. Es
entstand ein wechselseitiges Überbieten, bei welchem man zuletzt doch uoch weit
hinter den immer dreister werdenden Ansprüchen und Forderungen der Schau¬
spieler zurückblieb. Die Spielhvnvrare, die laugen Urlande, das wandernde
Virtuosentum kamen in Aufnahme. Man bedenke nur, daß einzelne dieser Vir¬
tuosen bei nicht immer vorzüglichen Leistungen von manchem Theater die Hälfte
der Einnahme nicht nur verlangten, sondern auch willig erhielten, sodaß die
andre Hälfte das ganze übrige Personal, das Haus, deu Aufwand an Dekora¬
tionen und Kostümen, kurz alles andre zu decken hatte! Talente giebt die Natur,
aber sie müssen gebildet werden. Der alte praktische Weg von unten herauf
am Theater war natürlich zu langsam. Es entstanden Theaterdressureu und
Theaterschulen. Es wurde damit zum Teil ein unglaublicher Humbug getrieben.
Leute, welche noch selbst der Schulung bedurften, warfen sich nicht nur als
Lehrmeister auf, nein, sie galten dafür. Die Bühnen wurden mit jungen
Menschen angefüllt, die den Mangel an Talent und Beruf durch eine ober¬
flächliche Dressur oder durch die Kunst der Toilette und die eignen zur Schau
gestellten Reize zu ersetzen suchten. Die Agenten priesen sie den Theatern, die
Zeitungen dem Publikum an. Man wendete sich der Bühne viel seltener aus
innerm Beruf, als aus Eitelkeit, Gefall- und Gewinnsucht zu. Nicht selten
wurde sie sogar zum Deckmantel niedrer Gelüste gemacht.

Der Dichter, der bei der Teilung der Welt leer ausgegangen und vom
Theater meist ziemlich geringschätzig behandelt worden war, obschon er, falls
er nur ist, was er sein soll, hier die erste Rolle zu spielen hätte, wollte bei
diesem allgemeinen Wettlauf nach Glück nicht wieder zu kurz kommen. Weniger
die Billigkeit als die Konkurrenz der Theater warf ihm die Tantieme zu. So
sehr es zu wünschen ist, daß der Dichter einen seinem Verdienste angemessene"
Lohn finde, so wird dies doch durch sie nur in beschränktesten Umfange gewähr¬
leistet. Die Höhe des Tantiemencrträgnisses beweist nämlich mit Sicherheit
nichts für den Wert einer Arbeit. Nicht was den Kennern, sondern was den
Massen gefällt, wird das höhere Ertrüguis abwerfen. Der schlechte Geschmack
wird hierfür öfter entscheidend sein, als der gute. Kein Wunder, daß die
Theaterunternchmer sich meist auf die Seite des ersteren schlugen, wie oft sie
auch dabei in ihren Erwartungen getäuscht wurden. Doch auch die Dichter
wurden mehr und mehr nach dieser Seite gezogen. Und von dein Tantieme-
Standpunkte aus hatten sie Recht. Hat doch das populärste Schillersche
Drama an keinem deutschen Theater in deu achtzig bis hundert Jahren seines
Bestehens so viele Wiederholungen zu erreichen vermocht, als eine Menge


Bühne zu widmen beabsichtigten, durch die Aufhebung der den Schauspieler¬
stand bisher umcugeuden Schranken und die erweiterten und immer glänzender
werdenden Aussichten ganz außerordentlich stieg. Die Zahl der neuen Talente
entsprach aber durchaus nicht dem Andrang der Kunstnovizen, daher die neuen
Unternehmer den alten Theatern ihre Kräfte streitig zu mache» suchten. Es
entstand ein wechselseitiges Überbieten, bei welchem man zuletzt doch uoch weit
hinter den immer dreister werdenden Ansprüchen und Forderungen der Schau¬
spieler zurückblieb. Die Spielhvnvrare, die laugen Urlande, das wandernde
Virtuosentum kamen in Aufnahme. Man bedenke nur, daß einzelne dieser Vir¬
tuosen bei nicht immer vorzüglichen Leistungen von manchem Theater die Hälfte
der Einnahme nicht nur verlangten, sondern auch willig erhielten, sodaß die
andre Hälfte das ganze übrige Personal, das Haus, deu Aufwand an Dekora¬
tionen und Kostümen, kurz alles andre zu decken hatte! Talente giebt die Natur,
aber sie müssen gebildet werden. Der alte praktische Weg von unten herauf
am Theater war natürlich zu langsam. Es entstanden Theaterdressureu und
Theaterschulen. Es wurde damit zum Teil ein unglaublicher Humbug getrieben.
Leute, welche noch selbst der Schulung bedurften, warfen sich nicht nur als
Lehrmeister auf, nein, sie galten dafür. Die Bühnen wurden mit jungen
Menschen angefüllt, die den Mangel an Talent und Beruf durch eine ober¬
flächliche Dressur oder durch die Kunst der Toilette und die eignen zur Schau
gestellten Reize zu ersetzen suchten. Die Agenten priesen sie den Theatern, die
Zeitungen dem Publikum an. Man wendete sich der Bühne viel seltener aus
innerm Beruf, als aus Eitelkeit, Gefall- und Gewinnsucht zu. Nicht selten
wurde sie sogar zum Deckmantel niedrer Gelüste gemacht.

Der Dichter, der bei der Teilung der Welt leer ausgegangen und vom
Theater meist ziemlich geringschätzig behandelt worden war, obschon er, falls
er nur ist, was er sein soll, hier die erste Rolle zu spielen hätte, wollte bei
diesem allgemeinen Wettlauf nach Glück nicht wieder zu kurz kommen. Weniger
die Billigkeit als die Konkurrenz der Theater warf ihm die Tantieme zu. So
sehr es zu wünschen ist, daß der Dichter einen seinem Verdienste angemessene»
Lohn finde, so wird dies doch durch sie nur in beschränktesten Umfange gewähr¬
leistet. Die Höhe des Tantiemencrträgnisses beweist nämlich mit Sicherheit
nichts für den Wert einer Arbeit. Nicht was den Kennern, sondern was den
Massen gefällt, wird das höhere Ertrüguis abwerfen. Der schlechte Geschmack
wird hierfür öfter entscheidend sein, als der gute. Kein Wunder, daß die
Theaterunternchmer sich meist auf die Seite des ersteren schlugen, wie oft sie
auch dabei in ihren Erwartungen getäuscht wurden. Doch auch die Dichter
wurden mehr und mehr nach dieser Seite gezogen. Und von dein Tantieme-
Standpunkte aus hatten sie Recht. Hat doch das populärste Schillersche
Drama an keinem deutschen Theater in deu achtzig bis hundert Jahren seines
Bestehens so viele Wiederholungen zu erreichen vermocht, als eine Menge


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[0090] Bühne zu widmen beabsichtigten, durch die Aufhebung der den Schauspieler¬ stand bisher umcugeuden Schranken und die erweiterten und immer glänzender werdenden Aussichten ganz außerordentlich stieg. Die Zahl der neuen Talente entsprach aber durchaus nicht dem Andrang der Kunstnovizen, daher die neuen Unternehmer den alten Theatern ihre Kräfte streitig zu mache» suchten. Es entstand ein wechselseitiges Überbieten, bei welchem man zuletzt doch uoch weit hinter den immer dreister werdenden Ansprüchen und Forderungen der Schau¬ spieler zurückblieb. Die Spielhvnvrare, die laugen Urlande, das wandernde Virtuosentum kamen in Aufnahme. Man bedenke nur, daß einzelne dieser Vir¬ tuosen bei nicht immer vorzüglichen Leistungen von manchem Theater die Hälfte der Einnahme nicht nur verlangten, sondern auch willig erhielten, sodaß die andre Hälfte das ganze übrige Personal, das Haus, deu Aufwand an Dekora¬ tionen und Kostümen, kurz alles andre zu decken hatte! Talente giebt die Natur, aber sie müssen gebildet werden. Der alte praktische Weg von unten herauf am Theater war natürlich zu langsam. Es entstanden Theaterdressureu und Theaterschulen. Es wurde damit zum Teil ein unglaublicher Humbug getrieben. Leute, welche noch selbst der Schulung bedurften, warfen sich nicht nur als Lehrmeister auf, nein, sie galten dafür. Die Bühnen wurden mit jungen Menschen angefüllt, die den Mangel an Talent und Beruf durch eine ober¬ flächliche Dressur oder durch die Kunst der Toilette und die eignen zur Schau gestellten Reize zu ersetzen suchten. Die Agenten priesen sie den Theatern, die Zeitungen dem Publikum an. Man wendete sich der Bühne viel seltener aus innerm Beruf, als aus Eitelkeit, Gefall- und Gewinnsucht zu. Nicht selten wurde sie sogar zum Deckmantel niedrer Gelüste gemacht. Der Dichter, der bei der Teilung der Welt leer ausgegangen und vom Theater meist ziemlich geringschätzig behandelt worden war, obschon er, falls er nur ist, was er sein soll, hier die erste Rolle zu spielen hätte, wollte bei diesem allgemeinen Wettlauf nach Glück nicht wieder zu kurz kommen. Weniger die Billigkeit als die Konkurrenz der Theater warf ihm die Tantieme zu. So sehr es zu wünschen ist, daß der Dichter einen seinem Verdienste angemessene» Lohn finde, so wird dies doch durch sie nur in beschränktesten Umfange gewähr¬ leistet. Die Höhe des Tantiemencrträgnisses beweist nämlich mit Sicherheit nichts für den Wert einer Arbeit. Nicht was den Kennern, sondern was den Massen gefällt, wird das höhere Ertrüguis abwerfen. Der schlechte Geschmack wird hierfür öfter entscheidend sein, als der gute. Kein Wunder, daß die Theaterunternchmer sich meist auf die Seite des ersteren schlugen, wie oft sie auch dabei in ihren Erwartungen getäuscht wurden. Doch auch die Dichter wurden mehr und mehr nach dieser Seite gezogen. Und von dein Tantieme- Standpunkte aus hatten sie Recht. Hat doch das populärste Schillersche Drama an keinem deutschen Theater in deu achtzig bis hundert Jahren seines Bestehens so viele Wiederholungen zu erreichen vermocht, als eine Menge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/90>, abgerufen am 22.07.2024.