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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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(ystpreußische Skizzen.

Weisen völligen Unzugänglichkeit, Waldgebiete, welche sich zum Teil dem Urwald¬
zustande nähern, und die "Johannisburger Wildnis" sowie der ungeheure
Wald im Süden des Kreises Altenstein mit seinen vier Oberförstereien sind
herrliche, Quadratmeilen große Komplexe, Holzhandel und Flößerei sind daher
auch recht bedeutend, wenngleich das russische Holz hierbei immer die Haupt¬
rolle spielt. Von einem eigentlichen Überfluß an Wäldern kann man jedoch
nicht reden, sondern höchstens annehmen, daß die Wäldcrverwüstung in Ost¬
preußen im allgemeinen noch nicht über eil, leidliches Maß hinausgegangen ist;
stattgefunden hat sie auch hier, sicher mehr als wünschenswert. Gar manches
schöne Gut ist, zur Gewinnung öaaren Geldes, vom ursprünglichen Besitzer
oder vom spekulirenden Käufer durch Schlagen des Waldes verwüstet worden.
Indessen giebt es wohl noch hinlänglich Wald, zumal die Regierung neuerdings
auch hier mit Wicderauffvrstuugen vorzugehen beginnt. Ein Hauptreiz ost-
preußischer Landschaft liegt sogar in deu, fast nirgends ganz fehlenden ver¬
einzelten Waldstücken. Wild hat das Land im Überfluß, Fische könnte es im
Überfluß haben. Wolfe und Bären sind zwar längst verschwunden, und auch
Rotwild findet man nur noch in gewissen herrschaftlichen Wäldern; aber wilde
Schweine sind hie und da noch recht zahlreich, Rehe fehlen nirgends, Fasanen,
Drosseln (Krammetsvögel), Wasservögel aller Art sind in Menge vorhanden,
Hasen und Hühner (auch Schneehühner) natürlich erst recht. Treibjagden, in
denen Hunderte von Hasen erlegt werden, kommen alle Tage vor. Manche
Flüsse des Landes, so namentlich die Alle, sind reich an trefflichen Fischen;
in einigen der masurischen Seen findet sich die edle Marcine; Memel versendet
in alle Welt seine Neunaugen; in manchen Gegenden kommen die Krebse noch
so zahlreich vor, daß sie so gut wie keinen Preis haben. Viele der Seen sind
dagegen in der empörendsten Weise ausgefischt, teils durch die Bewohner, welche
ja meist eine gewisse (ihnen nicht zum Segen gereichende, sondern sie zu Müßig¬
gang und Trunk verleitende) Fischerciberechtigung haben, teils durch die Pächter.
Letzteres sind zum großen Teil polnische Juden, die den ganzen Ertrag nach
Polen hinüberschaffen. Neuerdings bemüht sich indessen der Fischereivercin
mit Erfolg, alle Fischwasser neu zu besetzen, sowie Zucht und Pflege guter
Fische allenthalben in Aufnahme zu bringen. Es kann und muß dahin gebracht
werden, daß in keinem deutschen Lande die Fische, sowohl für die Tafel wie
für den bürgerlichen Tisch, so gut und billig sind wie in Ostpreußen; aber
gegenwärtig ist dies keineswegs der Fall.

Nach alledem kann man entschieden nicht sagen, daß das Land arm sei.
Kann es keine Bevölkerung ernähren wie Sachsen und der Niederrhein oder mich
nur wie Baden und Würtemberg, so ist es doch im Durchschnitt nicht schlechter
bevölkert als Hannover nach Abrechnung des Hildesheimischen, und immer¬
hin -- was vielleicht einen richtigeren Maßstab giebt -- fast dreimal so gut
wie die gegenüberliegende schwedische Provinz Gothland, fünf- bis sechsmal so


(ystpreußische Skizzen.

Weisen völligen Unzugänglichkeit, Waldgebiete, welche sich zum Teil dem Urwald¬
zustande nähern, und die „Johannisburger Wildnis" sowie der ungeheure
Wald im Süden des Kreises Altenstein mit seinen vier Oberförstereien sind
herrliche, Quadratmeilen große Komplexe, Holzhandel und Flößerei sind daher
auch recht bedeutend, wenngleich das russische Holz hierbei immer die Haupt¬
rolle spielt. Von einem eigentlichen Überfluß an Wäldern kann man jedoch
nicht reden, sondern höchstens annehmen, daß die Wäldcrverwüstung in Ost¬
preußen im allgemeinen noch nicht über eil, leidliches Maß hinausgegangen ist;
stattgefunden hat sie auch hier, sicher mehr als wünschenswert. Gar manches
schöne Gut ist, zur Gewinnung öaaren Geldes, vom ursprünglichen Besitzer
oder vom spekulirenden Käufer durch Schlagen des Waldes verwüstet worden.
Indessen giebt es wohl noch hinlänglich Wald, zumal die Regierung neuerdings
auch hier mit Wicderauffvrstuugen vorzugehen beginnt. Ein Hauptreiz ost-
preußischer Landschaft liegt sogar in deu, fast nirgends ganz fehlenden ver¬
einzelten Waldstücken. Wild hat das Land im Überfluß, Fische könnte es im
Überfluß haben. Wolfe und Bären sind zwar längst verschwunden, und auch
Rotwild findet man nur noch in gewissen herrschaftlichen Wäldern; aber wilde
Schweine sind hie und da noch recht zahlreich, Rehe fehlen nirgends, Fasanen,
Drosseln (Krammetsvögel), Wasservögel aller Art sind in Menge vorhanden,
Hasen und Hühner (auch Schneehühner) natürlich erst recht. Treibjagden, in
denen Hunderte von Hasen erlegt werden, kommen alle Tage vor. Manche
Flüsse des Landes, so namentlich die Alle, sind reich an trefflichen Fischen;
in einigen der masurischen Seen findet sich die edle Marcine; Memel versendet
in alle Welt seine Neunaugen; in manchen Gegenden kommen die Krebse noch
so zahlreich vor, daß sie so gut wie keinen Preis haben. Viele der Seen sind
dagegen in der empörendsten Weise ausgefischt, teils durch die Bewohner, welche
ja meist eine gewisse (ihnen nicht zum Segen gereichende, sondern sie zu Müßig¬
gang und Trunk verleitende) Fischerciberechtigung haben, teils durch die Pächter.
Letzteres sind zum großen Teil polnische Juden, die den ganzen Ertrag nach
Polen hinüberschaffen. Neuerdings bemüht sich indessen der Fischereivercin
mit Erfolg, alle Fischwasser neu zu besetzen, sowie Zucht und Pflege guter
Fische allenthalben in Aufnahme zu bringen. Es kann und muß dahin gebracht
werden, daß in keinem deutschen Lande die Fische, sowohl für die Tafel wie
für den bürgerlichen Tisch, so gut und billig sind wie in Ostpreußen; aber
gegenwärtig ist dies keineswegs der Fall.

Nach alledem kann man entschieden nicht sagen, daß das Land arm sei.
Kann es keine Bevölkerung ernähren wie Sachsen und der Niederrhein oder mich
nur wie Baden und Würtemberg, so ist es doch im Durchschnitt nicht schlechter
bevölkert als Hannover nach Abrechnung des Hildesheimischen, und immer¬
hin — was vielleicht einen richtigeren Maßstab giebt — fast dreimal so gut
wie die gegenüberliegende schwedische Provinz Gothland, fünf- bis sechsmal so


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[0084] (ystpreußische Skizzen. Weisen völligen Unzugänglichkeit, Waldgebiete, welche sich zum Teil dem Urwald¬ zustande nähern, und die „Johannisburger Wildnis" sowie der ungeheure Wald im Süden des Kreises Altenstein mit seinen vier Oberförstereien sind herrliche, Quadratmeilen große Komplexe, Holzhandel und Flößerei sind daher auch recht bedeutend, wenngleich das russische Holz hierbei immer die Haupt¬ rolle spielt. Von einem eigentlichen Überfluß an Wäldern kann man jedoch nicht reden, sondern höchstens annehmen, daß die Wäldcrverwüstung in Ost¬ preußen im allgemeinen noch nicht über eil, leidliches Maß hinausgegangen ist; stattgefunden hat sie auch hier, sicher mehr als wünschenswert. Gar manches schöne Gut ist, zur Gewinnung öaaren Geldes, vom ursprünglichen Besitzer oder vom spekulirenden Käufer durch Schlagen des Waldes verwüstet worden. Indessen giebt es wohl noch hinlänglich Wald, zumal die Regierung neuerdings auch hier mit Wicderauffvrstuugen vorzugehen beginnt. Ein Hauptreiz ost- preußischer Landschaft liegt sogar in deu, fast nirgends ganz fehlenden ver¬ einzelten Waldstücken. Wild hat das Land im Überfluß, Fische könnte es im Überfluß haben. Wolfe und Bären sind zwar längst verschwunden, und auch Rotwild findet man nur noch in gewissen herrschaftlichen Wäldern; aber wilde Schweine sind hie und da noch recht zahlreich, Rehe fehlen nirgends, Fasanen, Drosseln (Krammetsvögel), Wasservögel aller Art sind in Menge vorhanden, Hasen und Hühner (auch Schneehühner) natürlich erst recht. Treibjagden, in denen Hunderte von Hasen erlegt werden, kommen alle Tage vor. Manche Flüsse des Landes, so namentlich die Alle, sind reich an trefflichen Fischen; in einigen der masurischen Seen findet sich die edle Marcine; Memel versendet in alle Welt seine Neunaugen; in manchen Gegenden kommen die Krebse noch so zahlreich vor, daß sie so gut wie keinen Preis haben. Viele der Seen sind dagegen in der empörendsten Weise ausgefischt, teils durch die Bewohner, welche ja meist eine gewisse (ihnen nicht zum Segen gereichende, sondern sie zu Müßig¬ gang und Trunk verleitende) Fischerciberechtigung haben, teils durch die Pächter. Letzteres sind zum großen Teil polnische Juden, die den ganzen Ertrag nach Polen hinüberschaffen. Neuerdings bemüht sich indessen der Fischereivercin mit Erfolg, alle Fischwasser neu zu besetzen, sowie Zucht und Pflege guter Fische allenthalben in Aufnahme zu bringen. Es kann und muß dahin gebracht werden, daß in keinem deutschen Lande die Fische, sowohl für die Tafel wie für den bürgerlichen Tisch, so gut und billig sind wie in Ostpreußen; aber gegenwärtig ist dies keineswegs der Fall. Nach alledem kann man entschieden nicht sagen, daß das Land arm sei. Kann es keine Bevölkerung ernähren wie Sachsen und der Niederrhein oder mich nur wie Baden und Würtemberg, so ist es doch im Durchschnitt nicht schlechter bevölkert als Hannover nach Abrechnung des Hildesheimischen, und immer¬ hin — was vielleicht einen richtigeren Maßstab giebt — fast dreimal so gut wie die gegenüberliegende schwedische Provinz Gothland, fünf- bis sechsmal so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/84>, abgerufen am 22.07.2024.