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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

dieser Stunde durchgekostet habe, ja die mich noch immer nicht ganz aus ihrem
beklemmenden Bann freilassen will. Was führte mich hierher? Der innige
Wunsch, das Leben eines guten Menschen zu retten? Gewiß, Altezzci, in erster
Linie dieser Wunsch, aber daneben, Altezzci, auch die Hoffnung, Euch dadurch
vor einer That zu behüten, die Euch mit Rene und Eure Unterthanen mit
Zweifeln an Eurer fürstlichen Charaktergrvße erfüllen konnte. Es ist mir gelungen,
Euer Fürstenwort und Eure Achtung vor der Heiligkeit des Eides bürgen mir
dafür. Aber um zum Ziele zu gelangen, mußte ich tastend vorgehen, wie der
Blinde, denn ich hatte nie mit Euch persönlich verkehrt, und ich fühlte etwas
von der Unsicherheit, welche, wie in Büchern berichtet wird, den Schritt der
Entdecker eines neuen Weltteils zögern macht. Ging es Euch, Altezzci, doch
eigentlich wohl nicht anders -- Ihr sahet in mir vornehmlich den Schlamm Ad¬
vokaten, ich in Euch den gewiegten Diplomaten --, wir trauten einander beide
nur zum Scheine, wir witterten Hinterhalt, und auf die Goldwage -- verzeiht
meine Offenheit -- durfte man weder jedes Wort legen, das über Eure fürst¬
lichen Lippen ging, noch jedes, das ich erwiederte.

Er hielt einen Augenblick inne.

Der Herzog verschränkte die Arme und sagte: Ich höre gern ein offnes
Wort -- haltet nicht mit Euern Gedanken zurück.

War ihm zu trauen? Schwer lastete der Zweifel auf dem alten Urwald.
Aber heraus mußte die volle Wahrheit.

Altezzci, begann er von neuem, Ihr seid unumschränkter Herrscher -- we¬
nigstens nach meinem Dafürhalten. Ihr verfügt nahezu schrankenlos über Tod
und Leben. Einem so mächtigen Manne redlich zu dienen, muß etwas Köst¬
liches sein, denn redliche Diener halten, ohne sich selbst ins Regiment mischen
zu wollen, die Leidenschaften ihrer Herren in maßvollen Grenzen, und so ar¬
beiten sie als gute Patrioten, selbst in bescheidnen Stellungen, für das Wohl
ihres Vaterlandes. Ihr habt mich nnn auf einen Posten berufen, der Euch,
wie ich annehme, Gelegenheit geben soll, den Grad meiner Zuverlässigkeit zu
ermitteln. Kann ich eine solche Stellung annehmen, ohne, wenn ich Euch bellte
hintergangen haben sollte, zu allererst Eure Verzeihung dafür zu erbitten?

Was sagt Ihr, Andrea? rief der Herzog.

Ihr habt die Macht, mich zu strafen, antwortete der Anwalt, aber nicht
steht es in Eurer Macht, die mir durch Euern Schwur verbürgte Begnadigung
Marcellos rückgängig zu machen. Nun hört! Ich habe Euch hintergangen,
Altezzci, denn ich habe durch Verschweigen eines wichtigen Umstandes von Euch
erlangt, was Ihr mir bei voller Kenntnis der Thatsachen vermutlich verweigert
haben würdet.

Über das Gesicht des Herzogs glitt ein finsterer Schatten. Weiter, weiter!
sagte er brütend.

Ihr fragtet, Altezzci, fuhr Andrea fort, wo Abbondio sich befinde --


Um eine perle.

dieser Stunde durchgekostet habe, ja die mich noch immer nicht ganz aus ihrem
beklemmenden Bann freilassen will. Was führte mich hierher? Der innige
Wunsch, das Leben eines guten Menschen zu retten? Gewiß, Altezzci, in erster
Linie dieser Wunsch, aber daneben, Altezzci, auch die Hoffnung, Euch dadurch
vor einer That zu behüten, die Euch mit Rene und Eure Unterthanen mit
Zweifeln an Eurer fürstlichen Charaktergrvße erfüllen konnte. Es ist mir gelungen,
Euer Fürstenwort und Eure Achtung vor der Heiligkeit des Eides bürgen mir
dafür. Aber um zum Ziele zu gelangen, mußte ich tastend vorgehen, wie der
Blinde, denn ich hatte nie mit Euch persönlich verkehrt, und ich fühlte etwas
von der Unsicherheit, welche, wie in Büchern berichtet wird, den Schritt der
Entdecker eines neuen Weltteils zögern macht. Ging es Euch, Altezzci, doch
eigentlich wohl nicht anders — Ihr sahet in mir vornehmlich den Schlamm Ad¬
vokaten, ich in Euch den gewiegten Diplomaten —, wir trauten einander beide
nur zum Scheine, wir witterten Hinterhalt, und auf die Goldwage — verzeiht
meine Offenheit — durfte man weder jedes Wort legen, das über Eure fürst¬
lichen Lippen ging, noch jedes, das ich erwiederte.

Er hielt einen Augenblick inne.

Der Herzog verschränkte die Arme und sagte: Ich höre gern ein offnes
Wort — haltet nicht mit Euern Gedanken zurück.

War ihm zu trauen? Schwer lastete der Zweifel auf dem alten Urwald.
Aber heraus mußte die volle Wahrheit.

Altezzci, begann er von neuem, Ihr seid unumschränkter Herrscher — we¬
nigstens nach meinem Dafürhalten. Ihr verfügt nahezu schrankenlos über Tod
und Leben. Einem so mächtigen Manne redlich zu dienen, muß etwas Köst¬
liches sein, denn redliche Diener halten, ohne sich selbst ins Regiment mischen
zu wollen, die Leidenschaften ihrer Herren in maßvollen Grenzen, und so ar¬
beiten sie als gute Patrioten, selbst in bescheidnen Stellungen, für das Wohl
ihres Vaterlandes. Ihr habt mich nnn auf einen Posten berufen, der Euch,
wie ich annehme, Gelegenheit geben soll, den Grad meiner Zuverlässigkeit zu
ermitteln. Kann ich eine solche Stellung annehmen, ohne, wenn ich Euch bellte
hintergangen haben sollte, zu allererst Eure Verzeihung dafür zu erbitten?

Was sagt Ihr, Andrea? rief der Herzog.

Ihr habt die Macht, mich zu strafen, antwortete der Anwalt, aber nicht
steht es in Eurer Macht, die mir durch Euern Schwur verbürgte Begnadigung
Marcellos rückgängig zu machen. Nun hört! Ich habe Euch hintergangen,
Altezzci, denn ich habe durch Verschweigen eines wichtigen Umstandes von Euch
erlangt, was Ihr mir bei voller Kenntnis der Thatsachen vermutlich verweigert
haben würdet.

Über das Gesicht des Herzogs glitt ein finsterer Schatten. Weiter, weiter!
sagte er brütend.

Ihr fragtet, Altezzci, fuhr Andrea fort, wo Abbondio sich befinde —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/695>, abgerufen am 26.06.2024.