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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bugeichagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig.

dem Rat neue Geistliche anzunehmen und zu verpflichten. Der Rat erhält über¬
haupt die Oberaufsicht über die Durchführung der ganzen Ordnung, sowie die
Strafgewalt gege" solche, welche "syr enbvvcn wes nyges, sunderliges und
dctliges vorncmen."

So in den Grundzügen der Entwurf, welcher den Gemeinen zur Kenntnis¬
nahme und Meinungsäußerung zuging. Von den Gutachten sind noch heute
eine ganze Reihe im Stadtarchive vorhanden, unschätzbare Dokumente über die
Stimmungen, Neigungen und Gedankenkreise der gemeinen Bürgerschaft zu dieser
Zeit, wie sie schwerlich eine andre Stadt besitzen dürfte. Mit Fug hat daher
der Herausgeber die wesentlichen und charakteristischen Stücke derselben, nach
den Punkten der Vorlage geordnet, seiner Darstellung einverleibt. Sie zeigen,
mit welchem Ernste auch die Mehrheit der Bevölkerung an die neue Ordnung
hineintrat. Mit Lobpreisung der göttlichen Gnade, mit Dank gegen or. Po-
meranus und deu Rat beginnt das Gutachten der Hagengemeinde, die sich fast
unbedingt der Vorlage anschließt. Andre haben wohl dies und jenes daran
auszusetzen, wünschen Ermäßigung des Schulgeldes, schärfere und sofortige Ein¬
ziehung der ans katholischer Zeit bestehenden Pfründen und Lehen, die nach
der Vorlage nur nach jeweiliger Erledigung durch den Tod ihrer Inhaber in
den gemeinen Schatzkasten fließen sollten. Überall aber tritt neben gelegentlichen
Härten und Knausereien doch der ehrliche Wille hervor, die Sache zum sach¬
lichen Besten zu beschicken -- ein schönes Zeichen dafür die durchweg bean¬
tragte Erhöhung des vorgeschlagenen Predigersalars. Ob jener ehrliche Wille
auch immer beim Rate zu finden sein werde, ist manchem nach frühern Er¬
fahrungen bedenklich, und so wird derselbe denn wiederholt vermahnt, sich
nun aber auch selber unter die Ordnung zu stellen und keinen aus den eignen
Reihen mit Zucht und Strafe zu schonen. Den allseitig mit Freuden begrüßten
Satz der "Vortekeninge," wonach Ehebruch inskünftige nicht nur durch kirchlichen
Bann, sondern auch durch weltliche Strafe des Rats geahndet werden soll,
führt das etwas gröbliche Gutachten der Schmiede dem Rate selber eindring¬
lichst zu Gemüte; auch der Pfaffen wird gedacht, "die unserer Bürger Ehefrauen
bei sich haben," wie es denn auch nicht an Stimmen fehlt, die jede Art Un¬
zucht verbannt und gestraft wissen wollen. -- treffliches Beweismaterial gegen
Janssens These vom Niedergange der Sittlichkeit durch die den Glauben an
die Stelle der Werkgcrechtigkeit Setzende Reformation.

Soviel von deu Gutachten der Genossenschaften. Ein mehreres empfehle
ich jedem Freunde der Reformationsgeschichte an ihrem Orte, wo sie ziemlich
zwei Bogen füllen, nachzulesen. Die "Körte vortekeninge" war Ende August
zur Ausgabe gelangt, als die Niederschrift der Kirchenordnung selbst bereits
demi Abschlüsse nahe war. Auf Grund der Gutachten wurde nur einiges wenige
geändert, Ermäßigung des Schulgeldes, Erhöhung des Predigersalars gewährt
und ein elfter Prcidikant bei Unser lieben Frauen beibehalten -- es handelte


Johannes Bugeichagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig.

dem Rat neue Geistliche anzunehmen und zu verpflichten. Der Rat erhält über¬
haupt die Oberaufsicht über die Durchführung der ganzen Ordnung, sowie die
Strafgewalt gege» solche, welche „syr enbvvcn wes nyges, sunderliges und
dctliges vorncmen."

So in den Grundzügen der Entwurf, welcher den Gemeinen zur Kenntnis¬
nahme und Meinungsäußerung zuging. Von den Gutachten sind noch heute
eine ganze Reihe im Stadtarchive vorhanden, unschätzbare Dokumente über die
Stimmungen, Neigungen und Gedankenkreise der gemeinen Bürgerschaft zu dieser
Zeit, wie sie schwerlich eine andre Stadt besitzen dürfte. Mit Fug hat daher
der Herausgeber die wesentlichen und charakteristischen Stücke derselben, nach
den Punkten der Vorlage geordnet, seiner Darstellung einverleibt. Sie zeigen,
mit welchem Ernste auch die Mehrheit der Bevölkerung an die neue Ordnung
hineintrat. Mit Lobpreisung der göttlichen Gnade, mit Dank gegen or. Po-
meranus und deu Rat beginnt das Gutachten der Hagengemeinde, die sich fast
unbedingt der Vorlage anschließt. Andre haben wohl dies und jenes daran
auszusetzen, wünschen Ermäßigung des Schulgeldes, schärfere und sofortige Ein¬
ziehung der ans katholischer Zeit bestehenden Pfründen und Lehen, die nach
der Vorlage nur nach jeweiliger Erledigung durch den Tod ihrer Inhaber in
den gemeinen Schatzkasten fließen sollten. Überall aber tritt neben gelegentlichen
Härten und Knausereien doch der ehrliche Wille hervor, die Sache zum sach¬
lichen Besten zu beschicken — ein schönes Zeichen dafür die durchweg bean¬
tragte Erhöhung des vorgeschlagenen Predigersalars. Ob jener ehrliche Wille
auch immer beim Rate zu finden sein werde, ist manchem nach frühern Er¬
fahrungen bedenklich, und so wird derselbe denn wiederholt vermahnt, sich
nun aber auch selber unter die Ordnung zu stellen und keinen aus den eignen
Reihen mit Zucht und Strafe zu schonen. Den allseitig mit Freuden begrüßten
Satz der „Vortekeninge," wonach Ehebruch inskünftige nicht nur durch kirchlichen
Bann, sondern auch durch weltliche Strafe des Rats geahndet werden soll,
führt das etwas gröbliche Gutachten der Schmiede dem Rate selber eindring¬
lichst zu Gemüte; auch der Pfaffen wird gedacht, „die unserer Bürger Ehefrauen
bei sich haben," wie es denn auch nicht an Stimmen fehlt, die jede Art Un¬
zucht verbannt und gestraft wissen wollen. — treffliches Beweismaterial gegen
Janssens These vom Niedergange der Sittlichkeit durch die den Glauben an
die Stelle der Werkgcrechtigkeit Setzende Reformation.

Soviel von deu Gutachten der Genossenschaften. Ein mehreres empfehle
ich jedem Freunde der Reformationsgeschichte an ihrem Orte, wo sie ziemlich
zwei Bogen füllen, nachzulesen. Die „Körte vortekeninge" war Ende August
zur Ausgabe gelangt, als die Niederschrift der Kirchenordnung selbst bereits
demi Abschlüsse nahe war. Auf Grund der Gutachten wurde nur einiges wenige
geändert, Ermäßigung des Schulgeldes, Erhöhung des Predigersalars gewährt
und ein elfter Prcidikant bei Unser lieben Frauen beibehalten — es handelte


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[0675] Johannes Bugeichagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig. dem Rat neue Geistliche anzunehmen und zu verpflichten. Der Rat erhält über¬ haupt die Oberaufsicht über die Durchführung der ganzen Ordnung, sowie die Strafgewalt gege» solche, welche „syr enbvvcn wes nyges, sunderliges und dctliges vorncmen." So in den Grundzügen der Entwurf, welcher den Gemeinen zur Kenntnis¬ nahme und Meinungsäußerung zuging. Von den Gutachten sind noch heute eine ganze Reihe im Stadtarchive vorhanden, unschätzbare Dokumente über die Stimmungen, Neigungen und Gedankenkreise der gemeinen Bürgerschaft zu dieser Zeit, wie sie schwerlich eine andre Stadt besitzen dürfte. Mit Fug hat daher der Herausgeber die wesentlichen und charakteristischen Stücke derselben, nach den Punkten der Vorlage geordnet, seiner Darstellung einverleibt. Sie zeigen, mit welchem Ernste auch die Mehrheit der Bevölkerung an die neue Ordnung hineintrat. Mit Lobpreisung der göttlichen Gnade, mit Dank gegen or. Po- meranus und deu Rat beginnt das Gutachten der Hagengemeinde, die sich fast unbedingt der Vorlage anschließt. Andre haben wohl dies und jenes daran auszusetzen, wünschen Ermäßigung des Schulgeldes, schärfere und sofortige Ein¬ ziehung der ans katholischer Zeit bestehenden Pfründen und Lehen, die nach der Vorlage nur nach jeweiliger Erledigung durch den Tod ihrer Inhaber in den gemeinen Schatzkasten fließen sollten. Überall aber tritt neben gelegentlichen Härten und Knausereien doch der ehrliche Wille hervor, die Sache zum sach¬ lichen Besten zu beschicken — ein schönes Zeichen dafür die durchweg bean¬ tragte Erhöhung des vorgeschlagenen Predigersalars. Ob jener ehrliche Wille auch immer beim Rate zu finden sein werde, ist manchem nach frühern Er¬ fahrungen bedenklich, und so wird derselbe denn wiederholt vermahnt, sich nun aber auch selber unter die Ordnung zu stellen und keinen aus den eignen Reihen mit Zucht und Strafe zu schonen. Den allseitig mit Freuden begrüßten Satz der „Vortekeninge," wonach Ehebruch inskünftige nicht nur durch kirchlichen Bann, sondern auch durch weltliche Strafe des Rats geahndet werden soll, führt das etwas gröbliche Gutachten der Schmiede dem Rate selber eindring¬ lichst zu Gemüte; auch der Pfaffen wird gedacht, „die unserer Bürger Ehefrauen bei sich haben," wie es denn auch nicht an Stimmen fehlt, die jede Art Un¬ zucht verbannt und gestraft wissen wollen. — treffliches Beweismaterial gegen Janssens These vom Niedergange der Sittlichkeit durch die den Glauben an die Stelle der Werkgcrechtigkeit Setzende Reformation. Soviel von deu Gutachten der Genossenschaften. Ein mehreres empfehle ich jedem Freunde der Reformationsgeschichte an ihrem Orte, wo sie ziemlich zwei Bogen füllen, nachzulesen. Die „Körte vortekeninge" war Ende August zur Ausgabe gelangt, als die Niederschrift der Kirchenordnung selbst bereits demi Abschlüsse nahe war. Auf Grund der Gutachten wurde nur einiges wenige geändert, Ermäßigung des Schulgeldes, Erhöhung des Predigersalars gewährt und ein elfter Prcidikant bei Unser lieben Frauen beibehalten — es handelte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/675>, abgerufen am 22.07.2024.