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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig.

und Zwietracht zwischen ihn und die lutherischen Prädikcmten zu säen, bald
erneuerten sich die widrigen Szenen von Hader und Zerfahrenheit, bilderstürme-
rische und selbst aufrührerische Bewegungen schändeten und schädigten die reine
Sache, und so mußten denn nur zu bald selbst die getreuesten Anhänger Win¬
kels erkennen, daß mit diesem Manne das geplante Werk nicht zustande gebracht
werden könne.

Also ein andrer an seine Stelle oder neben ihn! Aller Augen richteten
sich nach Wittenberg, dort hatte seinerzeit Johannes Bugenhagen Kirche und
Schule aus ähnlichen und ärgeren Wirrnissen errettet und in gedeihliche Bahnen
gelenkt. Ihn, den Doktor Pommer, erbaten sich jetzt die Wortführer der Evan¬
gelischen zu Braunschweig samt dem Rate zum Helfer und Leiter bei ihrem
Vorhabe,,, brieflich zuerst, dann, als Luther und sein Kreis den, wie sie meinten,
Unentbehrlichen nicht hatten ziehen lassen wollen, zum andernmale durch förm¬
liche Gesandtschaft. Ihren Bitten und Vorstellungen ward nachgegeben, am
13. Mai reiste Bugcnhagen mit den beiden Braunschweigern ab und traf am
20. an dem Orte seiner neuen Wirksamkeit ein.

Noch an demselben Tage begann er sein Werk, und zwar bei dem schwersten
und wichtigsten Punkte. Es galt vor allem, den Eigenwillen und Eigendünkel
der Prädikanten, die jetzt, dreizehn an der Zahl, die Berufung eines neuen Obern
nicht alle mit günstigen Blicken ansahen, zu einem gedeihlichen Zusammenwirken
gefügig zu machen. Dazu entbot sie Bugcnhagen in die Andreaskirche, und
nachdem er sich durch Vorweisung des Rats- und Gemeinenschreibens als Mit¬
arbeiter legitimirt, erklärte er, "ohne ihre Zustimmung das Mindeste nicht weder
mit Lehren "och mit Predigen vornehmen" zu wollen, ja er ließ sich zum
Schluß von sämtlichen Prädikanten durch Handauflegung in seinem Amte be¬
stätigen. Dieses zugleich entschiedne und gewinnende Auftreten verfehlte seine
Wirkung nicht, weitere Kreise aber überzeugte die gewaltige Predigt, welche er
am nächsten Tage, als Himmelfahrt, in der Brüdernkirche that, daß in ihm der
rechte Mann gefunden sei. Und wer trotz der Frische und Überzeugungskraft
seiner Rede noch nicht hätte a" seinen Erfolg glauben mögen, der mußte es
von Tag zu Tag mehr angesichts seiner geradezu unerschöpflichen, für die be¬
quemen Herren von Braunschweig kaum begreiflichen Arbeitskraft, welche er in
seiner von früh bis spät angespornten Thätigkeit zutage treten ließ.

"Völlig mühelos, berichtet Hänselmanu nach zeitgenössischen Aufzeich¬
nungen, ohne jemals eiuen Anflug von Ermüdung an sich spüren zu lassen,
mit stets gleicher Freudigkeit entledigte er sich all der mannichfachen Aufgaben,
die ihm sein eigner Eifer und die gegebnen Verhältnisse stellten. Dreimal in
der Woche sah man ihn auf einer der Kanzeln, fast täglich hielt er im Kon-
fessorium der Minoriten lateinisch eine Vorlesung für die Gelehrten: den Römer¬
brief und beide Briefe an Timotheus legte er in der kurzen Zeit seines Blei¬
bens dort aus. Eifrig betrieb er daneben zunächst die äußerliche Reinigung


Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig.

und Zwietracht zwischen ihn und die lutherischen Prädikcmten zu säen, bald
erneuerten sich die widrigen Szenen von Hader und Zerfahrenheit, bilderstürme-
rische und selbst aufrührerische Bewegungen schändeten und schädigten die reine
Sache, und so mußten denn nur zu bald selbst die getreuesten Anhänger Win¬
kels erkennen, daß mit diesem Manne das geplante Werk nicht zustande gebracht
werden könne.

Also ein andrer an seine Stelle oder neben ihn! Aller Augen richteten
sich nach Wittenberg, dort hatte seinerzeit Johannes Bugenhagen Kirche und
Schule aus ähnlichen und ärgeren Wirrnissen errettet und in gedeihliche Bahnen
gelenkt. Ihn, den Doktor Pommer, erbaten sich jetzt die Wortführer der Evan¬
gelischen zu Braunschweig samt dem Rate zum Helfer und Leiter bei ihrem
Vorhabe,,, brieflich zuerst, dann, als Luther und sein Kreis den, wie sie meinten,
Unentbehrlichen nicht hatten ziehen lassen wollen, zum andernmale durch förm¬
liche Gesandtschaft. Ihren Bitten und Vorstellungen ward nachgegeben, am
13. Mai reiste Bugcnhagen mit den beiden Braunschweigern ab und traf am
20. an dem Orte seiner neuen Wirksamkeit ein.

Noch an demselben Tage begann er sein Werk, und zwar bei dem schwersten
und wichtigsten Punkte. Es galt vor allem, den Eigenwillen und Eigendünkel
der Prädikanten, die jetzt, dreizehn an der Zahl, die Berufung eines neuen Obern
nicht alle mit günstigen Blicken ansahen, zu einem gedeihlichen Zusammenwirken
gefügig zu machen. Dazu entbot sie Bugcnhagen in die Andreaskirche, und
nachdem er sich durch Vorweisung des Rats- und Gemeinenschreibens als Mit¬
arbeiter legitimirt, erklärte er, „ohne ihre Zustimmung das Mindeste nicht weder
mit Lehren „och mit Predigen vornehmen" zu wollen, ja er ließ sich zum
Schluß von sämtlichen Prädikanten durch Handauflegung in seinem Amte be¬
stätigen. Dieses zugleich entschiedne und gewinnende Auftreten verfehlte seine
Wirkung nicht, weitere Kreise aber überzeugte die gewaltige Predigt, welche er
am nächsten Tage, als Himmelfahrt, in der Brüdernkirche that, daß in ihm der
rechte Mann gefunden sei. Und wer trotz der Frische und Überzeugungskraft
seiner Rede noch nicht hätte a» seinen Erfolg glauben mögen, der mußte es
von Tag zu Tag mehr angesichts seiner geradezu unerschöpflichen, für die be¬
quemen Herren von Braunschweig kaum begreiflichen Arbeitskraft, welche er in
seiner von früh bis spät angespornten Thätigkeit zutage treten ließ.

„Völlig mühelos, berichtet Hänselmanu nach zeitgenössischen Aufzeich¬
nungen, ohne jemals eiuen Anflug von Ermüdung an sich spüren zu lassen,
mit stets gleicher Freudigkeit entledigte er sich all der mannichfachen Aufgaben,
die ihm sein eigner Eifer und die gegebnen Verhältnisse stellten. Dreimal in
der Woche sah man ihn auf einer der Kanzeln, fast täglich hielt er im Kon-
fessorium der Minoriten lateinisch eine Vorlesung für die Gelehrten: den Römer¬
brief und beide Briefe an Timotheus legte er in der kurzen Zeit seines Blei¬
bens dort aus. Eifrig betrieb er daneben zunächst die äußerliche Reinigung


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[0672] Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig. und Zwietracht zwischen ihn und die lutherischen Prädikcmten zu säen, bald erneuerten sich die widrigen Szenen von Hader und Zerfahrenheit, bilderstürme- rische und selbst aufrührerische Bewegungen schändeten und schädigten die reine Sache, und so mußten denn nur zu bald selbst die getreuesten Anhänger Win¬ kels erkennen, daß mit diesem Manne das geplante Werk nicht zustande gebracht werden könne. Also ein andrer an seine Stelle oder neben ihn! Aller Augen richteten sich nach Wittenberg, dort hatte seinerzeit Johannes Bugenhagen Kirche und Schule aus ähnlichen und ärgeren Wirrnissen errettet und in gedeihliche Bahnen gelenkt. Ihn, den Doktor Pommer, erbaten sich jetzt die Wortführer der Evan¬ gelischen zu Braunschweig samt dem Rate zum Helfer und Leiter bei ihrem Vorhabe,,, brieflich zuerst, dann, als Luther und sein Kreis den, wie sie meinten, Unentbehrlichen nicht hatten ziehen lassen wollen, zum andernmale durch förm¬ liche Gesandtschaft. Ihren Bitten und Vorstellungen ward nachgegeben, am 13. Mai reiste Bugcnhagen mit den beiden Braunschweigern ab und traf am 20. an dem Orte seiner neuen Wirksamkeit ein. Noch an demselben Tage begann er sein Werk, und zwar bei dem schwersten und wichtigsten Punkte. Es galt vor allem, den Eigenwillen und Eigendünkel der Prädikanten, die jetzt, dreizehn an der Zahl, die Berufung eines neuen Obern nicht alle mit günstigen Blicken ansahen, zu einem gedeihlichen Zusammenwirken gefügig zu machen. Dazu entbot sie Bugcnhagen in die Andreaskirche, und nachdem er sich durch Vorweisung des Rats- und Gemeinenschreibens als Mit¬ arbeiter legitimirt, erklärte er, „ohne ihre Zustimmung das Mindeste nicht weder mit Lehren „och mit Predigen vornehmen" zu wollen, ja er ließ sich zum Schluß von sämtlichen Prädikanten durch Handauflegung in seinem Amte be¬ stätigen. Dieses zugleich entschiedne und gewinnende Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht, weitere Kreise aber überzeugte die gewaltige Predigt, welche er am nächsten Tage, als Himmelfahrt, in der Brüdernkirche that, daß in ihm der rechte Mann gefunden sei. Und wer trotz der Frische und Überzeugungskraft seiner Rede noch nicht hätte a» seinen Erfolg glauben mögen, der mußte es von Tag zu Tag mehr angesichts seiner geradezu unerschöpflichen, für die be¬ quemen Herren von Braunschweig kaum begreiflichen Arbeitskraft, welche er in seiner von früh bis spät angespornten Thätigkeit zutage treten ließ. „Völlig mühelos, berichtet Hänselmanu nach zeitgenössischen Aufzeich¬ nungen, ohne jemals eiuen Anflug von Ermüdung an sich spüren zu lassen, mit stets gleicher Freudigkeit entledigte er sich all der mannichfachen Aufgaben, die ihm sein eigner Eifer und die gegebnen Verhältnisse stellten. Dreimal in der Woche sah man ihn auf einer der Kanzeln, fast täglich hielt er im Kon- fessorium der Minoriten lateinisch eine Vorlesung für die Gelehrten: den Römer¬ brief und beide Briefe an Timotheus legte er in der kurzen Zeit seines Blei¬ bens dort aus. Eifrig betrieb er daneben zunächst die äußerliche Reinigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/672>, abgerufen am 22.07.2024.