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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Johannes Bugenhagen
und die Reformation in der Stadt Braunschweig.
Zum 2^. Juni.

or zwei Jahren beging die evangelische Christenheit aller Länder
die vierte Säkularfeier Martin Luthers als des Mannes, der,
wie viele auch teils mit, teils neben ihm am Werke der Re¬
formation gearbeitet haben, doch kraft feiner übermächtige" Per¬
sönlichkeit der Sache für alle Zeit den Namen gegeben hat. Heute
hat ein engerer Kreis in dankbarer Erinnerung eines seiner Jünger zu gedenken,
der, in praktischer Thätigkeit seine rechte Hand wie in gelehrten Dingen
Melanchthon, zur Ausbreitung und innern Festigung der neuen Kirche gewirkt
hat wie kein andrer -- Dr. Johannes Vugcuhagen.

Es ist ein Leben von seltener Einheit und Energie und, selbst an den
Besten der Zeit gemessen, von seltener Große und Reinheit des Erfolges, das
sich vor uns ausbreitet, wenn wir die Laufbahn des pommerschen Bürgersohnes
von Anfang bis zu Ende verfolgen. Seit seinem zwanzigsten Jahre Rektor
der lateinischen Schule zu Treptow, wohin sein Name Schüler ans allen
Gegenden des deutschredenden Nordens zieht, humanistisch gründlich durch¬
gebildet, ein Kenner der Schrift wie wenige, dazu von einem ehrlichen Drange
nach Wahrheit in Lehre und Leben beseelt, bleibt er doch arg- und ahnungslos
befangen in dem Vorstellungskreise der mittelalterlichen Kirche, bis Luthers
Schrift "Bon der Babylonischen Gefangenschaft" ihm die Binde von den Augen
nimmt. Nun siedelt er nach Wittenberg über, um bei dem, der "allein die
Wahrheit siehet," zu lernen, bald während dessen Abwesenheit zu Worms und
auf der Wartburg selbst ein Lehrer des Evangeliums und ein Führer der Ge¬
mäßigten gegen Karlstadt und die andern Schwarmgeister, Nach Luthers
Wiederkehr als Universitätslehrer und Pfarrer zu Wittenberg eingesetzt, nimmt
er wesentlichen Anteil an allem, was fortan zum Ausbau des evangelischen
Kirchenwesens von hier aus geschieht. Seine eigentliche Lebensarbeit aber
beginnt er 1528 mit der selbständigen Neuordnung des Kirchen- und Schul¬
wesens der Stadt Braunschweig, über die im weitern Verlauf dieses Aufsatzes
eingehender berichtet werden soll, da sie für sein Wirken nach dieser Seite hin
als typisch gelten darf. Von Braunschweig ruft ihn 1525 die gleiche Aufgabe
nach Hamburg, 1530 läßt sich die indische Kirche von ihm reformiren, wenige


Johannes Bugenhagen
und die Reformation in der Stadt Braunschweig.
Zum 2^. Juni.

or zwei Jahren beging die evangelische Christenheit aller Länder
die vierte Säkularfeier Martin Luthers als des Mannes, der,
wie viele auch teils mit, teils neben ihm am Werke der Re¬
formation gearbeitet haben, doch kraft feiner übermächtige» Per¬
sönlichkeit der Sache für alle Zeit den Namen gegeben hat. Heute
hat ein engerer Kreis in dankbarer Erinnerung eines seiner Jünger zu gedenken,
der, in praktischer Thätigkeit seine rechte Hand wie in gelehrten Dingen
Melanchthon, zur Ausbreitung und innern Festigung der neuen Kirche gewirkt
hat wie kein andrer — Dr. Johannes Vugcuhagen.

Es ist ein Leben von seltener Einheit und Energie und, selbst an den
Besten der Zeit gemessen, von seltener Große und Reinheit des Erfolges, das
sich vor uns ausbreitet, wenn wir die Laufbahn des pommerschen Bürgersohnes
von Anfang bis zu Ende verfolgen. Seit seinem zwanzigsten Jahre Rektor
der lateinischen Schule zu Treptow, wohin sein Name Schüler ans allen
Gegenden des deutschredenden Nordens zieht, humanistisch gründlich durch¬
gebildet, ein Kenner der Schrift wie wenige, dazu von einem ehrlichen Drange
nach Wahrheit in Lehre und Leben beseelt, bleibt er doch arg- und ahnungslos
befangen in dem Vorstellungskreise der mittelalterlichen Kirche, bis Luthers
Schrift „Bon der Babylonischen Gefangenschaft" ihm die Binde von den Augen
nimmt. Nun siedelt er nach Wittenberg über, um bei dem, der „allein die
Wahrheit siehet," zu lernen, bald während dessen Abwesenheit zu Worms und
auf der Wartburg selbst ein Lehrer des Evangeliums und ein Führer der Ge¬
mäßigten gegen Karlstadt und die andern Schwarmgeister, Nach Luthers
Wiederkehr als Universitätslehrer und Pfarrer zu Wittenberg eingesetzt, nimmt
er wesentlichen Anteil an allem, was fortan zum Ausbau des evangelischen
Kirchenwesens von hier aus geschieht. Seine eigentliche Lebensarbeit aber
beginnt er 1528 mit der selbständigen Neuordnung des Kirchen- und Schul¬
wesens der Stadt Braunschweig, über die im weitern Verlauf dieses Aufsatzes
eingehender berichtet werden soll, da sie für sein Wirken nach dieser Seite hin
als typisch gelten darf. Von Braunschweig ruft ihn 1525 die gleiche Aufgabe
nach Hamburg, 1530 läßt sich die indische Kirche von ihm reformiren, wenige


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[0668] Johannes Bugenhagen und die Reformation in der Stadt Braunschweig. Zum 2^. Juni. or zwei Jahren beging die evangelische Christenheit aller Länder die vierte Säkularfeier Martin Luthers als des Mannes, der, wie viele auch teils mit, teils neben ihm am Werke der Re¬ formation gearbeitet haben, doch kraft feiner übermächtige» Per¬ sönlichkeit der Sache für alle Zeit den Namen gegeben hat. Heute hat ein engerer Kreis in dankbarer Erinnerung eines seiner Jünger zu gedenken, der, in praktischer Thätigkeit seine rechte Hand wie in gelehrten Dingen Melanchthon, zur Ausbreitung und innern Festigung der neuen Kirche gewirkt hat wie kein andrer — Dr. Johannes Vugcuhagen. Es ist ein Leben von seltener Einheit und Energie und, selbst an den Besten der Zeit gemessen, von seltener Große und Reinheit des Erfolges, das sich vor uns ausbreitet, wenn wir die Laufbahn des pommerschen Bürgersohnes von Anfang bis zu Ende verfolgen. Seit seinem zwanzigsten Jahre Rektor der lateinischen Schule zu Treptow, wohin sein Name Schüler ans allen Gegenden des deutschredenden Nordens zieht, humanistisch gründlich durch¬ gebildet, ein Kenner der Schrift wie wenige, dazu von einem ehrlichen Drange nach Wahrheit in Lehre und Leben beseelt, bleibt er doch arg- und ahnungslos befangen in dem Vorstellungskreise der mittelalterlichen Kirche, bis Luthers Schrift „Bon der Babylonischen Gefangenschaft" ihm die Binde von den Augen nimmt. Nun siedelt er nach Wittenberg über, um bei dem, der „allein die Wahrheit siehet," zu lernen, bald während dessen Abwesenheit zu Worms und auf der Wartburg selbst ein Lehrer des Evangeliums und ein Führer der Ge¬ mäßigten gegen Karlstadt und die andern Schwarmgeister, Nach Luthers Wiederkehr als Universitätslehrer und Pfarrer zu Wittenberg eingesetzt, nimmt er wesentlichen Anteil an allem, was fortan zum Ausbau des evangelischen Kirchenwesens von hier aus geschieht. Seine eigentliche Lebensarbeit aber beginnt er 1528 mit der selbständigen Neuordnung des Kirchen- und Schul¬ wesens der Stadt Braunschweig, über die im weitern Verlauf dieses Aufsatzes eingehender berichtet werden soll, da sie für sein Wirken nach dieser Seite hin als typisch gelten darf. Von Braunschweig ruft ihn 1525 die gleiche Aufgabe nach Hamburg, 1530 läßt sich die indische Kirche von ihm reformiren, wenige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/668>, abgerufen am 22.07.2024.