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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Sollen wir unsre Statuen bemalen?

sei letztere um eine künstlerische oder eine außerhalb dieser Sphäre gelegene.
Zunächst ist die Plastik einzig befähigt, gewisse abstrakte Vorwürfe zu gestalten,
die einer polychromen Behandlung widersprechen. Nicht nur Allegorien sind
hierunter zu verstehen, solider" auch Jdealbildungen, die erst durch die Abstraktion
vou der äußern Lebenswahrheit zu solchen werden. Goethe bezeichnet es sogar
einmal als die höchste Aufgabe jeder Kunst, "dnrch den Schein die Täuschung
einer höhern Wirklichkeit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, so fährt er
fort, den Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur noch das Gemeine
übrig bleibt." (Wahrheit und Dichtung, III.) Keine archäologische Untersuchung
wird mich belehren, daß unsre Vorstellungen von den Idealgestalten griechischer
Götter sich mit größerm ästhetischen Erfolg in farbiges, derb irdisches Gewand
kleiden, als dnrch den Adel reiner, ungetrübter Formenschönheit ausdrücken lassen.
Wenn Phidias seinen olympischen Zeus in den Glanz chryselephantiner Farben¬
pracht hüllte, so war nicht dieser Materialprunk, der sich schließlich auf
orientalische Tradition zurückführen läßt, als vielmehr das Mächtige der Formen
und Maße das künstlerische Mittel, welches die Begeisterung religiöser Ver¬
ehrung belebte und steigerte. In den erhaltenen Resten griechischer polychromer
Plastik findet sich übrigens ein entschiedenes Abnehmen der Bemalung zwischen
der teilweise noch unter traditionellen Banne stehenden chryselephcmtiueu Technik
der phidiasischen Zeit und der spätern alexandrinisch-römischen mit ihrer Freude
an stofflicher Pracht und naturalistischer Nachbildung. Doch wir wollten ja
den historischen Standpunkt dieser Frage gegenüber ganz beiseite lassen, da
faktisch erwiesen ist, daß die polychrome Plastik in Hellas ebenso historisch ge¬
worden nud ansgebildet worden ist, wie in der neuern Kunst seit dem bekannten
"archäologischen Mißverständnisse" sich die monochrome Plastik historische Be¬
rechtigung erworben hat. Oder dürften für eine solche nicht die Statuen eines
Michelangelo, Giovanni da Bologna bis herab zu Thorwaldsen, Canova, Rauch
und Rietschel sprechen?

Nicht weniger aber als der Gegenstand der Darstellung beeinflußt die
Bestimmung des Kunstwerkes seinen Stil. In die Umgebung polychromer
Architektur gehört allerdings eine harmonisch gefärbte Skulptur, wobei wohl
zwischen dekorativer und naturalistischer Färbung zu unterscheiden ist. Zu
welchem Zwecke man z. B. in die naturfarbige Saudsteinfassade eines moderne"
Baues, dessen Einfarbigkeit durchaus nicht übel empfunden wird, polychrome
Statuen einfügen sollte, ist nicht einzusehen, es würde sogar ein grober stilistischer
Mißgriff sein, wollte mau naturalistisch gefärbte Figuren in tektonischen Sinne
verwerten, denn die tektonische Bestimmung der Plastik verlangt unbedingte
Unterordnung derselben im Dienste der Architektur. Polychrome Architektur
aber zur Regel zu machen, stieße außer auf ästhetische Bedenken anch auf
materielle Schwierigkeiten in unserm rauhen und heftigem Temperaturwechsel
ausgesetzten Klima. Die farbige Architektur und Skulptur ist unter südlichem


Sollen wir unsre Statuen bemalen?

sei letztere um eine künstlerische oder eine außerhalb dieser Sphäre gelegene.
Zunächst ist die Plastik einzig befähigt, gewisse abstrakte Vorwürfe zu gestalten,
die einer polychromen Behandlung widersprechen. Nicht nur Allegorien sind
hierunter zu verstehen, solider» auch Jdealbildungen, die erst durch die Abstraktion
vou der äußern Lebenswahrheit zu solchen werden. Goethe bezeichnet es sogar
einmal als die höchste Aufgabe jeder Kunst, „dnrch den Schein die Täuschung
einer höhern Wirklichkeit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, so fährt er
fort, den Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur noch das Gemeine
übrig bleibt." (Wahrheit und Dichtung, III.) Keine archäologische Untersuchung
wird mich belehren, daß unsre Vorstellungen von den Idealgestalten griechischer
Götter sich mit größerm ästhetischen Erfolg in farbiges, derb irdisches Gewand
kleiden, als dnrch den Adel reiner, ungetrübter Formenschönheit ausdrücken lassen.
Wenn Phidias seinen olympischen Zeus in den Glanz chryselephantiner Farben¬
pracht hüllte, so war nicht dieser Materialprunk, der sich schließlich auf
orientalische Tradition zurückführen läßt, als vielmehr das Mächtige der Formen
und Maße das künstlerische Mittel, welches die Begeisterung religiöser Ver¬
ehrung belebte und steigerte. In den erhaltenen Resten griechischer polychromer
Plastik findet sich übrigens ein entschiedenes Abnehmen der Bemalung zwischen
der teilweise noch unter traditionellen Banne stehenden chryselephcmtiueu Technik
der phidiasischen Zeit und der spätern alexandrinisch-römischen mit ihrer Freude
an stofflicher Pracht und naturalistischer Nachbildung. Doch wir wollten ja
den historischen Standpunkt dieser Frage gegenüber ganz beiseite lassen, da
faktisch erwiesen ist, daß die polychrome Plastik in Hellas ebenso historisch ge¬
worden nud ansgebildet worden ist, wie in der neuern Kunst seit dem bekannten
„archäologischen Mißverständnisse" sich die monochrome Plastik historische Be¬
rechtigung erworben hat. Oder dürften für eine solche nicht die Statuen eines
Michelangelo, Giovanni da Bologna bis herab zu Thorwaldsen, Canova, Rauch
und Rietschel sprechen?

Nicht weniger aber als der Gegenstand der Darstellung beeinflußt die
Bestimmung des Kunstwerkes seinen Stil. In die Umgebung polychromer
Architektur gehört allerdings eine harmonisch gefärbte Skulptur, wobei wohl
zwischen dekorativer und naturalistischer Färbung zu unterscheiden ist. Zu
welchem Zwecke man z. B. in die naturfarbige Saudsteinfassade eines moderne»
Baues, dessen Einfarbigkeit durchaus nicht übel empfunden wird, polychrome
Statuen einfügen sollte, ist nicht einzusehen, es würde sogar ein grober stilistischer
Mißgriff sein, wollte mau naturalistisch gefärbte Figuren in tektonischen Sinne
verwerten, denn die tektonische Bestimmung der Plastik verlangt unbedingte
Unterordnung derselben im Dienste der Architektur. Polychrome Architektur
aber zur Regel zu machen, stieße außer auf ästhetische Bedenken anch auf
materielle Schwierigkeiten in unserm rauhen und heftigem Temperaturwechsel
ausgesetzten Klima. Die farbige Architektur und Skulptur ist unter südlichem


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[0635] Sollen wir unsre Statuen bemalen? sei letztere um eine künstlerische oder eine außerhalb dieser Sphäre gelegene. Zunächst ist die Plastik einzig befähigt, gewisse abstrakte Vorwürfe zu gestalten, die einer polychromen Behandlung widersprechen. Nicht nur Allegorien sind hierunter zu verstehen, solider» auch Jdealbildungen, die erst durch die Abstraktion vou der äußern Lebenswahrheit zu solchen werden. Goethe bezeichnet es sogar einmal als die höchste Aufgabe jeder Kunst, „dnrch den Schein die Täuschung einer höhern Wirklichkeit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, so fährt er fort, den Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur noch das Gemeine übrig bleibt." (Wahrheit und Dichtung, III.) Keine archäologische Untersuchung wird mich belehren, daß unsre Vorstellungen von den Idealgestalten griechischer Götter sich mit größerm ästhetischen Erfolg in farbiges, derb irdisches Gewand kleiden, als dnrch den Adel reiner, ungetrübter Formenschönheit ausdrücken lassen. Wenn Phidias seinen olympischen Zeus in den Glanz chryselephantiner Farben¬ pracht hüllte, so war nicht dieser Materialprunk, der sich schließlich auf orientalische Tradition zurückführen läßt, als vielmehr das Mächtige der Formen und Maße das künstlerische Mittel, welches die Begeisterung religiöser Ver¬ ehrung belebte und steigerte. In den erhaltenen Resten griechischer polychromer Plastik findet sich übrigens ein entschiedenes Abnehmen der Bemalung zwischen der teilweise noch unter traditionellen Banne stehenden chryselephcmtiueu Technik der phidiasischen Zeit und der spätern alexandrinisch-römischen mit ihrer Freude an stofflicher Pracht und naturalistischer Nachbildung. Doch wir wollten ja den historischen Standpunkt dieser Frage gegenüber ganz beiseite lassen, da faktisch erwiesen ist, daß die polychrome Plastik in Hellas ebenso historisch ge¬ worden nud ansgebildet worden ist, wie in der neuern Kunst seit dem bekannten „archäologischen Mißverständnisse" sich die monochrome Plastik historische Be¬ rechtigung erworben hat. Oder dürften für eine solche nicht die Statuen eines Michelangelo, Giovanni da Bologna bis herab zu Thorwaldsen, Canova, Rauch und Rietschel sprechen? Nicht weniger aber als der Gegenstand der Darstellung beeinflußt die Bestimmung des Kunstwerkes seinen Stil. In die Umgebung polychromer Architektur gehört allerdings eine harmonisch gefärbte Skulptur, wobei wohl zwischen dekorativer und naturalistischer Färbung zu unterscheiden ist. Zu welchem Zwecke man z. B. in die naturfarbige Saudsteinfassade eines moderne» Baues, dessen Einfarbigkeit durchaus nicht übel empfunden wird, polychrome Statuen einfügen sollte, ist nicht einzusehen, es würde sogar ein grober stilistischer Mißgriff sein, wollte mau naturalistisch gefärbte Figuren in tektonischen Sinne verwerten, denn die tektonische Bestimmung der Plastik verlangt unbedingte Unterordnung derselben im Dienste der Architektur. Polychrome Architektur aber zur Regel zu machen, stieße außer auf ästhetische Bedenken anch auf materielle Schwierigkeiten in unserm rauhen und heftigem Temperaturwechsel ausgesetzten Klima. Die farbige Architektur und Skulptur ist unter südlichem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/635>, abgerufen am 22.07.2024.