Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Die Form, in welcher eine Anzahl dieser Lieder noch erhalten ist, zeigt, daß Für das Erzgebirge besonders charakteristisch ist der zweite Teil der Samm¬
Wie aus den zusammengehörigen beiden letzten hervorgeht, sind auch hier ernste Diese Volkslieder ans dem Erzgebirge müssen jedem gefallen; sie gehen Die Form, in welcher eine Anzahl dieser Lieder noch erhalten ist, zeigt, daß Für das Erzgebirge besonders charakteristisch ist der zweite Teil der Samm¬
Wie aus den zusammengehörigen beiden letzten hervorgeht, sind auch hier ernste Diese Volkslieder ans dem Erzgebirge müssen jedem gefallen; sie gehen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196010"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2280" prev="#ID_2279"> Die Form, in welcher eine Anzahl dieser Lieder noch erhalten ist, zeigt, daß<lb/> es höchste Zeit war, sie aufzuzeichnen; lassen doch manche rätselhafte Gedanken-<lb/> sprünge, Unklarheiten und einzelne triviale Wendungen deutlich erkennen, daß<lb/> sie bereits jetzt vielfach entstellt sind, und schon aus diesem Grunde muß man<lb/> es dem Verfasser Dank missen, daß er sich der mühsamen Aufgabe mit soviel<lb/> Umsicht und Feingefühl unterzogen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2281"> Für das Erzgebirge besonders charakteristisch ist der zweite Teil der Samm¬<lb/> lung, die „Tschnmperlicdeln," die Wiegenlieder, die von den Kindern bei ihren<lb/> Spielen gesungenen Liedchen, die Auszählverse und andre Reime aus der<lb/> Kinderwelt und endlich die Zählversc der Spitzenklöpplerinnen, durch welche der<lb/> Fleiß der Arbeitenden angespornt wird. Die „Tschumperliedeln," zu denen<lb/> Dr. Müller im „Glückauf" kürzlich eine reiche Nachlese veröffentlicht hat,<lb/> sind ganz den bairischen Schuaderhüvfeln zu vergleiche». Junge Leute gesellen<lb/> sich, besonders auf dem Tanzsaal während der Pansen, zu einander und fangen<lb/> nun an, durch Verschen, wie sie ihnen gerade in den Sinn kommen, sich gegen¬<lb/> seitig zu necken, und auch beim Tanzen selbst wird diese Unterhaltung gern noch<lb/> fortgesetzt, wozu dann die Tanzmusik die Melodie hergeben muß. Aus diesen<lb/> kunstlosen, aber frisch und warm empfundenen Reimen, die zum größern Teile<lb/> ganz im Dialekt vorgeführt werden, tritt uns das ganze Liebesleben der erz-<lb/> gebirgischen Jugend in all seinen Entwicklungsstufen entgegen. Wir greifen ein<lb/> paar Proben heraus, wenn die Wahl auch schwer wird:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l> Je hoch'r d'r Turm,<lb/> Dcste scheun'r 's Geleit,<lb/> Je weit'r zun Schatz'l,<lb/> Desie gress'r de, Freid. —</l> <l> Ich lieb, was fein is,<lb/> Wenn's auch nich mein is,<lb/> Mein auch nich werden kann,<lb/> Hab ich doch meine Freude dran. —</l> <l> Ach wenn'r meer käm',<lb/> Daß er miech nahm',<lb/> Daß ich doch endlich<lb/> Vom Kupp'lsack Ka'!</l> <l> Nu is'r lumine<lb/> Un hat miech genumma,<lb/> Nu bin ich noch Sarner (hehrer, mehr)<lb/> Zur Kupp'lsack kumme.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2282"> Wie aus den zusammengehörigen beiden letzten hervorgeht, sind auch hier ernste<lb/> Töne nicht ausgeschlossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2283" next="#ID_2284"> Diese Volkslieder ans dem Erzgebirge müssen jedem gefallen; sie gehen<lb/> zum Herzen, weil sie vom Herzen kommen. Die in ihnen ausgesprochenen Em¬<lb/> pfindungen sind so einfach, wahr und allgemein menschlich, daß sie in jedem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0621]
Die Form, in welcher eine Anzahl dieser Lieder noch erhalten ist, zeigt, daß
es höchste Zeit war, sie aufzuzeichnen; lassen doch manche rätselhafte Gedanken-
sprünge, Unklarheiten und einzelne triviale Wendungen deutlich erkennen, daß
sie bereits jetzt vielfach entstellt sind, und schon aus diesem Grunde muß man
es dem Verfasser Dank missen, daß er sich der mühsamen Aufgabe mit soviel
Umsicht und Feingefühl unterzogen hat.
Für das Erzgebirge besonders charakteristisch ist der zweite Teil der Samm¬
lung, die „Tschnmperlicdeln," die Wiegenlieder, die von den Kindern bei ihren
Spielen gesungenen Liedchen, die Auszählverse und andre Reime aus der
Kinderwelt und endlich die Zählversc der Spitzenklöpplerinnen, durch welche der
Fleiß der Arbeitenden angespornt wird. Die „Tschumperliedeln," zu denen
Dr. Müller im „Glückauf" kürzlich eine reiche Nachlese veröffentlicht hat,
sind ganz den bairischen Schuaderhüvfeln zu vergleiche». Junge Leute gesellen
sich, besonders auf dem Tanzsaal während der Pansen, zu einander und fangen
nun an, durch Verschen, wie sie ihnen gerade in den Sinn kommen, sich gegen¬
seitig zu necken, und auch beim Tanzen selbst wird diese Unterhaltung gern noch
fortgesetzt, wozu dann die Tanzmusik die Melodie hergeben muß. Aus diesen
kunstlosen, aber frisch und warm empfundenen Reimen, die zum größern Teile
ganz im Dialekt vorgeführt werden, tritt uns das ganze Liebesleben der erz-
gebirgischen Jugend in all seinen Entwicklungsstufen entgegen. Wir greifen ein
paar Proben heraus, wenn die Wahl auch schwer wird:
Je hoch'r d'r Turm,
Dcste scheun'r 's Geleit,
Je weit'r zun Schatz'l,
Desie gress'r de, Freid. — Ich lieb, was fein is,
Wenn's auch nich mein is,
Mein auch nich werden kann,
Hab ich doch meine Freude dran. — Ach wenn'r meer käm',
Daß er miech nahm',
Daß ich doch endlich
Vom Kupp'lsack Ka'! Nu is'r lumine
Un hat miech genumma,
Nu bin ich noch Sarner (hehrer, mehr)
Zur Kupp'lsack kumme.
Wie aus den zusammengehörigen beiden letzten hervorgeht, sind auch hier ernste
Töne nicht ausgeschlossen.
Diese Volkslieder ans dem Erzgebirge müssen jedem gefallen; sie gehen
zum Herzen, weil sie vom Herzen kommen. Die in ihnen ausgesprochenen Em¬
pfindungen sind so einfach, wahr und allgemein menschlich, daß sie in jedem
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