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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das sächsische Sibirien.

Pmheia! Mei Madcle, schlof gor el'!
De klein Engeln linnene rei',
Se setze" sich ope miet in dei' Wieg',
Un spieln nochert miet dir, un harzer biens.
Poihcia! Mei Muti schiefe im el'.
Sell us n Muti our Zucker sei'!
Do schlof, un schlof nu in Gottes Orni,
Jens setz der derweil dei' Aiilich worin.

Eine zweite Erscheinung derselben Art führt den Titel: Aus den Bauer¬
stuben des Zschopauthales. Charakteristische Bilder in mittelsächsischer
Mundart von Wilhelm Werner (Mittweida, Reinh. Schnitze, 1882). Der
Verfasser ist selbst in einem Dorfe des Zschopauthales, in der Nähe von Mitt¬
weida, aufgewachsen und schreibt daher in der ihm von Kindheit auf geläufigen
Mundart. Wie die Sprache, so soll auch die Lebens- und Anschauungsweise
der Landbevölkerung in diesen kleinen Dichtungen zur Geltung kommen. Sitten
und Gebräuche werden mir bei der Schilderung des Hauptfestes auf dem Lande,
der "Karaß" (Kirmes), vorgeführt. Drei Tage lang halten da die Bauern,
die sonst das ganze Jahr hindurch alles zusammengenommen und zu Gelde ge¬
macht haben, offnes Haus für Nachbarn und "Große aus der Stadt," wie
z, B. die Kaufmannsfrau und einige Freundinnen, deren Männer Schreiber sind,
und es ist die Hauptsorge der Hausfrauen, das; ihre Vorräte aus Küche und
Keller, vor allem Kaffee und Kuchen, in gehörigen Massen abgehen. Freilich
laufen gelegentlich auch etwas sauersüße Empfindungen bei Ausübung dieser
Gastfreundschaft mit unter. Freunde ländlichen Humors werden das Heftchen,
wiewohl es auf dichterischen Wert keinen Anspruch erhebt, mit Vergnügen lesen.

Was die oben besprochene Sammlung alter und neuer Geschichten beab¬
sichtigte, den Charakter der erzgebirgische" Bevölkerung wiedcrzuspiegelu, das
wird in der That erreicht durch die Volkslieder aus dem Erzgebirge,
gesammelt und herausgegeben von Dr. Alfred Müller (Annaberg, Hermann
Gräser, 1883). Der Herausgeber, selbst ein Obererzgebirger und von warmer
Liebe zur Heimat beseelt, führt uns hier eine stattliche Zahl von Liedern und
Reimen vor, welche er unmittelbar aus dem Vvlksmunde aufgezeichnet hat, und
zwar soll das hier Gebotene nur der Vorläufer einer späteren vollständigeren
Aufgabe der erzgebirgische" Volkslieder sein, für welche er Mitarbeiter zu werben
sucht. Die vaterländischen und Kriegslieder, welche den Reigen eröffnen, sind
meist jüngeren Ursprungs. Die Soldatenlieder, die von den zur Reserve ent¬
lassenen Mannschaften mit in die Heimat gebracht und dort weiter gesungen
werden, sind zum größer" Teile Gemeingut aller sächsischen Truppen, manche
von ihnen -- natürlich mit gewissen Abänderungen -- sogar des deutschen
Heeres. Soweit sie Kriegserlcbnissc besingen, beziehen sie sich namentlich auf
deu 1866 er Krieg und ans die Jahre 1870/71 , nur wenige gehen auf die Frei-


Das sächsische Sibirien.

Pmheia! Mei Madcle, schlof gor el'!
De klein Engeln linnene rei',
Se setze» sich ope miet in dei' Wieg',
Un spieln nochert miet dir, un harzer biens.
Poihcia! Mei Muti schiefe im el'.
Sell us n Muti our Zucker sei'!
Do schlof, un schlof nu in Gottes Orni,
Jens setz der derweil dei' Aiilich worin.

Eine zweite Erscheinung derselben Art führt den Titel: Aus den Bauer¬
stuben des Zschopauthales. Charakteristische Bilder in mittelsächsischer
Mundart von Wilhelm Werner (Mittweida, Reinh. Schnitze, 1882). Der
Verfasser ist selbst in einem Dorfe des Zschopauthales, in der Nähe von Mitt¬
weida, aufgewachsen und schreibt daher in der ihm von Kindheit auf geläufigen
Mundart. Wie die Sprache, so soll auch die Lebens- und Anschauungsweise
der Landbevölkerung in diesen kleinen Dichtungen zur Geltung kommen. Sitten
und Gebräuche werden mir bei der Schilderung des Hauptfestes auf dem Lande,
der „Karaß" (Kirmes), vorgeführt. Drei Tage lang halten da die Bauern,
die sonst das ganze Jahr hindurch alles zusammengenommen und zu Gelde ge¬
macht haben, offnes Haus für Nachbarn und „Große aus der Stadt," wie
z, B. die Kaufmannsfrau und einige Freundinnen, deren Männer Schreiber sind,
und es ist die Hauptsorge der Hausfrauen, das; ihre Vorräte aus Küche und
Keller, vor allem Kaffee und Kuchen, in gehörigen Massen abgehen. Freilich
laufen gelegentlich auch etwas sauersüße Empfindungen bei Ausübung dieser
Gastfreundschaft mit unter. Freunde ländlichen Humors werden das Heftchen,
wiewohl es auf dichterischen Wert keinen Anspruch erhebt, mit Vergnügen lesen.

Was die oben besprochene Sammlung alter und neuer Geschichten beab¬
sichtigte, den Charakter der erzgebirgische» Bevölkerung wiedcrzuspiegelu, das
wird in der That erreicht durch die Volkslieder aus dem Erzgebirge,
gesammelt und herausgegeben von Dr. Alfred Müller (Annaberg, Hermann
Gräser, 1883). Der Herausgeber, selbst ein Obererzgebirger und von warmer
Liebe zur Heimat beseelt, führt uns hier eine stattliche Zahl von Liedern und
Reimen vor, welche er unmittelbar aus dem Vvlksmunde aufgezeichnet hat, und
zwar soll das hier Gebotene nur der Vorläufer einer späteren vollständigeren
Aufgabe der erzgebirgische» Volkslieder sein, für welche er Mitarbeiter zu werben
sucht. Die vaterländischen und Kriegslieder, welche den Reigen eröffnen, sind
meist jüngeren Ursprungs. Die Soldatenlieder, die von den zur Reserve ent¬
lassenen Mannschaften mit in die Heimat gebracht und dort weiter gesungen
werden, sind zum größer» Teile Gemeingut aller sächsischen Truppen, manche
von ihnen — natürlich mit gewissen Abänderungen — sogar des deutschen
Heeres. Soweit sie Kriegserlcbnissc besingen, beziehen sie sich namentlich auf
deu 1866 er Krieg und ans die Jahre 1870/71 , nur wenige gehen auf die Frei-


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[0619] Das sächsische Sibirien. Pmheia! Mei Madcle, schlof gor el'! De klein Engeln linnene rei', Se setze» sich ope miet in dei' Wieg', Un spieln nochert miet dir, un harzer biens. Poihcia! Mei Muti schiefe im el'. Sell us n Muti our Zucker sei'! Do schlof, un schlof nu in Gottes Orni, Jens setz der derweil dei' Aiilich worin. Eine zweite Erscheinung derselben Art führt den Titel: Aus den Bauer¬ stuben des Zschopauthales. Charakteristische Bilder in mittelsächsischer Mundart von Wilhelm Werner (Mittweida, Reinh. Schnitze, 1882). Der Verfasser ist selbst in einem Dorfe des Zschopauthales, in der Nähe von Mitt¬ weida, aufgewachsen und schreibt daher in der ihm von Kindheit auf geläufigen Mundart. Wie die Sprache, so soll auch die Lebens- und Anschauungsweise der Landbevölkerung in diesen kleinen Dichtungen zur Geltung kommen. Sitten und Gebräuche werden mir bei der Schilderung des Hauptfestes auf dem Lande, der „Karaß" (Kirmes), vorgeführt. Drei Tage lang halten da die Bauern, die sonst das ganze Jahr hindurch alles zusammengenommen und zu Gelde ge¬ macht haben, offnes Haus für Nachbarn und „Große aus der Stadt," wie z, B. die Kaufmannsfrau und einige Freundinnen, deren Männer Schreiber sind, und es ist die Hauptsorge der Hausfrauen, das; ihre Vorräte aus Küche und Keller, vor allem Kaffee und Kuchen, in gehörigen Massen abgehen. Freilich laufen gelegentlich auch etwas sauersüße Empfindungen bei Ausübung dieser Gastfreundschaft mit unter. Freunde ländlichen Humors werden das Heftchen, wiewohl es auf dichterischen Wert keinen Anspruch erhebt, mit Vergnügen lesen. Was die oben besprochene Sammlung alter und neuer Geschichten beab¬ sichtigte, den Charakter der erzgebirgische» Bevölkerung wiedcrzuspiegelu, das wird in der That erreicht durch die Volkslieder aus dem Erzgebirge, gesammelt und herausgegeben von Dr. Alfred Müller (Annaberg, Hermann Gräser, 1883). Der Herausgeber, selbst ein Obererzgebirger und von warmer Liebe zur Heimat beseelt, führt uns hier eine stattliche Zahl von Liedern und Reimen vor, welche er unmittelbar aus dem Vvlksmunde aufgezeichnet hat, und zwar soll das hier Gebotene nur der Vorläufer einer späteren vollständigeren Aufgabe der erzgebirgische» Volkslieder sein, für welche er Mitarbeiter zu werben sucht. Die vaterländischen und Kriegslieder, welche den Reigen eröffnen, sind meist jüngeren Ursprungs. Die Soldatenlieder, die von den zur Reserve ent¬ lassenen Mannschaften mit in die Heimat gebracht und dort weiter gesungen werden, sind zum größer» Teile Gemeingut aller sächsischen Truppen, manche von ihnen — natürlich mit gewissen Abänderungen — sogar des deutschen Heeres. Soweit sie Kriegserlcbnissc besingen, beziehen sie sich namentlich auf deu 1866 er Krieg und ans die Jahre 1870/71 , nur wenige gehen auf die Frei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/619>, abgerufen am 23.07.2024.