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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das sächsische Sibirien.

halb wir hier auf das Buch zu sprechen kommen, hat einen besondern Grund.
Dem Deutschen, der seine Muttersprache wert hält, ohne in einseitige Sprach-
reinigungswnt zu verfallen, muß es eine Freude sein, hier ein Sprachgebiet zu
finden, das sich von dem Einflüsse des Fremden fast gänzlich rein erhalten hat.
Kommen doch ans die 1234 Nummern des Verzeichnisses wenig über ein
Dutzend Fremdwörter und fast ausschließlich solche, die uns anch sonst geläufig
geworden sind. Das ist ein Verhältnis, wie es bei einer Sammlung fach¬
männischer Ausdrücke sich schwerlich ein zweitesmal nachweisen lassen wird. Und
welch ein Reichtum liegt in der Sprache des Bergmanns mit ihrem treuen
Festhalten am guten Alten, ihrer frischen Anschaulichst und Knappheit, die sich
besonders in kühnen, aber bezeichnenden Zusammenschuugen offenbart! Nur
wenige Proben davon. Das brüchige Gestein wird vom Bergmann als "feig"
bezeichnet, die ursprüngliche Bedeutung des Wortes "zum Tode reif" hat sich
also hier noch erhalten. Die .Höhe des Lohnes wird durch Übereinkunft fest¬
gesetzt, eine solche treffen, heißt "ein Gedinge schließen" -- akkordiren sagt jetzt
der Handwerker, der auf "Bildung" hält. Der Lohn ist jedoch mit dem Ver¬
dienst des Arbeiters nicht gleichbedeutend, das "Umgeld" muß noch' in Abzug
gebracht werden, die Auslagen, die -- Spesen! Wer beim Einfahren in die
Teufe (ahd. duckt) das Unglück hatte, "fahrtlos" zu werden, oder wer an der
"Bergsucht," einem Lungenleiden, erkrankte, kann froh sein, wenn er mit dem
Leben davongekommen und mir "bergfertig" geworden ist -- iuvalid würden
wir sagen. Das sind nur einige Beispiele; die ganze Sammlung legt ein glän¬
zendes Zeugnis ab von der soviel verkannten Leistungsfähigkeit der deutscheu
Sprache.

Der Dialekt des Erzgebirges ist in neuerer Zeit auch wiederholt zu lite-
rarischer Verwendung gelangt, so vor allem in den sechs Heften Alte und neue
Gedichte und Geschichten in erzgebirgischer Mundart (Annaberg, Her¬
mann Gräser, 1882--1884). Die für die Interessen des Gebirges so thätige
Verlagshandlung ist mit der Herausgabe dieser Sammlung zunächst einem nnter
der heimatlichen Bevölkerung selbst entstandenen Wunsche entgegengekommen.
Kleine Dichtungen, zum Teil ans dem Anfange unsers Jahrhunderts, in denen
volkstümliche Stoffe mundartlich behandelt waren, hatten sich, meist durch Über¬
lieferung von Mund zu Mund lebendig erhalten, und das Wohlgefallen, welches
man an denselben fand, legte den Gedanken nahe, sie dauernd zu erhalten und
zugleich mit neueren ähnlichen Erzengnissen durch den Druck auch weitere"
Kreisen zugänglich zu macheu. So werdeu denn hier eine Reihe teils sinniger,
zum großem Teil jedoch heiterer Gedichte vorgeführt, welche den biedern Cha¬
rakter des Erzgebirgers, d. h. des Erzgebirgers, soweit er noch eng mit seiner
Scholle verwachsen ist als Waldarbeiter oder Bergmann oder Hansgewerke,
nicht des vielfach entarteten Fabrikarbeiters, widerspiegeln sollen: seine Treu¬
herzigkeit und Derbheit, seine Zufriedenheit in den bescheidensten Verhältnissen,


Das sächsische Sibirien.

halb wir hier auf das Buch zu sprechen kommen, hat einen besondern Grund.
Dem Deutschen, der seine Muttersprache wert hält, ohne in einseitige Sprach-
reinigungswnt zu verfallen, muß es eine Freude sein, hier ein Sprachgebiet zu
finden, das sich von dem Einflüsse des Fremden fast gänzlich rein erhalten hat.
Kommen doch ans die 1234 Nummern des Verzeichnisses wenig über ein
Dutzend Fremdwörter und fast ausschließlich solche, die uns anch sonst geläufig
geworden sind. Das ist ein Verhältnis, wie es bei einer Sammlung fach¬
männischer Ausdrücke sich schwerlich ein zweitesmal nachweisen lassen wird. Und
welch ein Reichtum liegt in der Sprache des Bergmanns mit ihrem treuen
Festhalten am guten Alten, ihrer frischen Anschaulichst und Knappheit, die sich
besonders in kühnen, aber bezeichnenden Zusammenschuugen offenbart! Nur
wenige Proben davon. Das brüchige Gestein wird vom Bergmann als „feig"
bezeichnet, die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „zum Tode reif" hat sich
also hier noch erhalten. Die .Höhe des Lohnes wird durch Übereinkunft fest¬
gesetzt, eine solche treffen, heißt „ein Gedinge schließen" — akkordiren sagt jetzt
der Handwerker, der auf „Bildung" hält. Der Lohn ist jedoch mit dem Ver¬
dienst des Arbeiters nicht gleichbedeutend, das „Umgeld" muß noch' in Abzug
gebracht werden, die Auslagen, die — Spesen! Wer beim Einfahren in die
Teufe (ahd. duckt) das Unglück hatte, „fahrtlos" zu werden, oder wer an der
„Bergsucht," einem Lungenleiden, erkrankte, kann froh sein, wenn er mit dem
Leben davongekommen und mir „bergfertig" geworden ist — iuvalid würden
wir sagen. Das sind nur einige Beispiele; die ganze Sammlung legt ein glän¬
zendes Zeugnis ab von der soviel verkannten Leistungsfähigkeit der deutscheu
Sprache.

Der Dialekt des Erzgebirges ist in neuerer Zeit auch wiederholt zu lite-
rarischer Verwendung gelangt, so vor allem in den sechs Heften Alte und neue
Gedichte und Geschichten in erzgebirgischer Mundart (Annaberg, Her¬
mann Gräser, 1882—1884). Die für die Interessen des Gebirges so thätige
Verlagshandlung ist mit der Herausgabe dieser Sammlung zunächst einem nnter
der heimatlichen Bevölkerung selbst entstandenen Wunsche entgegengekommen.
Kleine Dichtungen, zum Teil ans dem Anfange unsers Jahrhunderts, in denen
volkstümliche Stoffe mundartlich behandelt waren, hatten sich, meist durch Über¬
lieferung von Mund zu Mund lebendig erhalten, und das Wohlgefallen, welches
man an denselben fand, legte den Gedanken nahe, sie dauernd zu erhalten und
zugleich mit neueren ähnlichen Erzengnissen durch den Druck auch weitere»
Kreisen zugänglich zu macheu. So werdeu denn hier eine Reihe teils sinniger,
zum großem Teil jedoch heiterer Gedichte vorgeführt, welche den biedern Cha¬
rakter des Erzgebirgers, d. h. des Erzgebirgers, soweit er noch eng mit seiner
Scholle verwachsen ist als Waldarbeiter oder Bergmann oder Hansgewerke,
nicht des vielfach entarteten Fabrikarbeiters, widerspiegeln sollen: seine Treu¬
herzigkeit und Derbheit, seine Zufriedenheit in den bescheidensten Verhältnissen,


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[0617] Das sächsische Sibirien. halb wir hier auf das Buch zu sprechen kommen, hat einen besondern Grund. Dem Deutschen, der seine Muttersprache wert hält, ohne in einseitige Sprach- reinigungswnt zu verfallen, muß es eine Freude sein, hier ein Sprachgebiet zu finden, das sich von dem Einflüsse des Fremden fast gänzlich rein erhalten hat. Kommen doch ans die 1234 Nummern des Verzeichnisses wenig über ein Dutzend Fremdwörter und fast ausschließlich solche, die uns anch sonst geläufig geworden sind. Das ist ein Verhältnis, wie es bei einer Sammlung fach¬ männischer Ausdrücke sich schwerlich ein zweitesmal nachweisen lassen wird. Und welch ein Reichtum liegt in der Sprache des Bergmanns mit ihrem treuen Festhalten am guten Alten, ihrer frischen Anschaulichst und Knappheit, die sich besonders in kühnen, aber bezeichnenden Zusammenschuugen offenbart! Nur wenige Proben davon. Das brüchige Gestein wird vom Bergmann als „feig" bezeichnet, die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „zum Tode reif" hat sich also hier noch erhalten. Die .Höhe des Lohnes wird durch Übereinkunft fest¬ gesetzt, eine solche treffen, heißt „ein Gedinge schließen" — akkordiren sagt jetzt der Handwerker, der auf „Bildung" hält. Der Lohn ist jedoch mit dem Ver¬ dienst des Arbeiters nicht gleichbedeutend, das „Umgeld" muß noch' in Abzug gebracht werden, die Auslagen, die — Spesen! Wer beim Einfahren in die Teufe (ahd. duckt) das Unglück hatte, „fahrtlos" zu werden, oder wer an der „Bergsucht," einem Lungenleiden, erkrankte, kann froh sein, wenn er mit dem Leben davongekommen und mir „bergfertig" geworden ist — iuvalid würden wir sagen. Das sind nur einige Beispiele; die ganze Sammlung legt ein glän¬ zendes Zeugnis ab von der soviel verkannten Leistungsfähigkeit der deutscheu Sprache. Der Dialekt des Erzgebirges ist in neuerer Zeit auch wiederholt zu lite- rarischer Verwendung gelangt, so vor allem in den sechs Heften Alte und neue Gedichte und Geschichten in erzgebirgischer Mundart (Annaberg, Her¬ mann Gräser, 1882—1884). Die für die Interessen des Gebirges so thätige Verlagshandlung ist mit der Herausgabe dieser Sammlung zunächst einem nnter der heimatlichen Bevölkerung selbst entstandenen Wunsche entgegengekommen. Kleine Dichtungen, zum Teil ans dem Anfange unsers Jahrhunderts, in denen volkstümliche Stoffe mundartlich behandelt waren, hatten sich, meist durch Über¬ lieferung von Mund zu Mund lebendig erhalten, und das Wohlgefallen, welches man an denselben fand, legte den Gedanken nahe, sie dauernd zu erhalten und zugleich mit neueren ähnlichen Erzengnissen durch den Druck auch weitere» Kreisen zugänglich zu macheu. So werdeu denn hier eine Reihe teils sinniger, zum großem Teil jedoch heiterer Gedichte vorgeführt, welche den biedern Cha¬ rakter des Erzgebirgers, d. h. des Erzgebirgers, soweit er noch eng mit seiner Scholle verwachsen ist als Waldarbeiter oder Bergmann oder Hansgewerke, nicht des vielfach entarteten Fabrikarbeiters, widerspiegeln sollen: seine Treu¬ herzigkeit und Derbheit, seine Zufriedenheit in den bescheidensten Verhältnissen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/617>, abgerufen am 25.08.2024.