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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Goethe und Levezow.

gesetzt hat. Die Feier, welche das ganze gebildete Berlin vereinigte und aufs
glänzendste verlief, wurde durch Mendelssohns Trompeten ouverture in L eröffnet,
dann folgte eine Festrede und hierauf die fünf Viertelstunden andauernde lyrisch¬
musikalische Dichtung. Dieselbe beginnt mit einem Preise Nürnbergs, rühmt
Dürers Naturstudium, sein ausgebreitetes Wissen, seinen zähen Fleiß, seine viel¬
seitige Fähigkeit, zu charakterisiren, und verweilt länger bei den weihevollen Dar¬
stellungen aus der heiligen Geschichte, auf deren vorzüglichste im einzelnen hin-
gewiesen wird. Beim Anblick dieser Werke fühle das reuegcquälte Herz deu
Trost der göttlichen Gnade; Dürer sei der würdige Freund. Strebens- und
Zeitgenosse Raffaels. und mit schwungvollen Versen werden das große Jcchr-
huudert und die Göttin der Malerei gefeiert. Die Dichtung atmet echte Be¬
geisterung und ist als durchans zweckentsprechend und wohlgelungen zu be¬
trachten.

Von den größern Werken Levezvws sind zwei fünfaktige Dramen unter
dem deutlichen Einflüsse seiner klassischen Studien entworfen und ausgeführt
worden. Das erste handelt von Jphigeniens Opferung, das zweite von der
Heimkehr des Odysseus. Die "Iphigenia in Antis" ist besonders geeignet, das
dichterische Vermögen unsers Verfassers genauer erkennen zu lassen, denn eine
Leistung wird immer dann besser gewürdigt werden, wenn man sie mit andern
ähnlichen vergleichen und sie hierdurch in einem größern Zusammenhange er¬
blicken kann. Es ist in der That eine reizvolle Aufgabe, zu verfolgen, wie ein
klassischer Vertreter der griechischen und französischen Literatur und wie ein
Schüler und Zeitgenosse der klassischen Dichter Deutschlands denselben Gegenstand
behandelt haben. Es soll daher hier zunächst der Inhalt des Levezowschen
Dramas erzählt und sodann die Würdigung desselben mit einem Vergleich
des Euripideischen und Raeincschcn Meisterwerkes verbunden werden.

Der erste Akt zeigt uns die Verzweiflung der griechischen Heerführer über
die andauernde Windstille, welche die Schiffe in Antis zurückhält. Agamemnon
hat Kalchas beauftragt, den Grund, weshalb die Götter zllruen. zu erforschen;
er schwört zur Sühnung des Frevels alles zu thun, muß aber bald von dem
Seher erfahren, daß durch seine eigne Schuld das Unglück veranlaßt worden
sei: er habe einst in Dianens Hain eine der Göttin geweihte Hindin getötet
und sich gerühmt: "Diana selbst würd' sichrer nicht den Speer geworfen haben."
Hierüber erzürnt, habe die Göttin Rache vou Zeus erfleht, wodurch nun das
ganze Griechenheer leide. Als Sühne aber fordern die Götter durch Kalchas'
Mund die Opferung der Iphigenie. Natürlich herrscht allgemeiner Jammer,
aber alle Helden, mit Ausnahme des Achill, drängen den König, das Un¬
vermeidliche zu thun; dieser aber, aufs tiefste ergriffen, kaun sobald den furcht-



') Das Werk befindet sich in Mendelssvhnö ungedruckten Nachlasse. Über die Aufsicht
rung vergl. S. Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729--1847, S. Auflage, 1, S. 179 f.
Goethe und Levezow.

gesetzt hat. Die Feier, welche das ganze gebildete Berlin vereinigte und aufs
glänzendste verlief, wurde durch Mendelssohns Trompeten ouverture in L eröffnet,
dann folgte eine Festrede und hierauf die fünf Viertelstunden andauernde lyrisch¬
musikalische Dichtung. Dieselbe beginnt mit einem Preise Nürnbergs, rühmt
Dürers Naturstudium, sein ausgebreitetes Wissen, seinen zähen Fleiß, seine viel¬
seitige Fähigkeit, zu charakterisiren, und verweilt länger bei den weihevollen Dar¬
stellungen aus der heiligen Geschichte, auf deren vorzüglichste im einzelnen hin-
gewiesen wird. Beim Anblick dieser Werke fühle das reuegcquälte Herz deu
Trost der göttlichen Gnade; Dürer sei der würdige Freund. Strebens- und
Zeitgenosse Raffaels. und mit schwungvollen Versen werden das große Jcchr-
huudert und die Göttin der Malerei gefeiert. Die Dichtung atmet echte Be¬
geisterung und ist als durchans zweckentsprechend und wohlgelungen zu be¬
trachten.

Von den größern Werken Levezvws sind zwei fünfaktige Dramen unter
dem deutlichen Einflüsse seiner klassischen Studien entworfen und ausgeführt
worden. Das erste handelt von Jphigeniens Opferung, das zweite von der
Heimkehr des Odysseus. Die „Iphigenia in Antis" ist besonders geeignet, das
dichterische Vermögen unsers Verfassers genauer erkennen zu lassen, denn eine
Leistung wird immer dann besser gewürdigt werden, wenn man sie mit andern
ähnlichen vergleichen und sie hierdurch in einem größern Zusammenhange er¬
blicken kann. Es ist in der That eine reizvolle Aufgabe, zu verfolgen, wie ein
klassischer Vertreter der griechischen und französischen Literatur und wie ein
Schüler und Zeitgenosse der klassischen Dichter Deutschlands denselben Gegenstand
behandelt haben. Es soll daher hier zunächst der Inhalt des Levezowschen
Dramas erzählt und sodann die Würdigung desselben mit einem Vergleich
des Euripideischen und Raeincschcn Meisterwerkes verbunden werden.

Der erste Akt zeigt uns die Verzweiflung der griechischen Heerführer über
die andauernde Windstille, welche die Schiffe in Antis zurückhält. Agamemnon
hat Kalchas beauftragt, den Grund, weshalb die Götter zllruen. zu erforschen;
er schwört zur Sühnung des Frevels alles zu thun, muß aber bald von dem
Seher erfahren, daß durch seine eigne Schuld das Unglück veranlaßt worden
sei: er habe einst in Dianens Hain eine der Göttin geweihte Hindin getötet
und sich gerühmt: „Diana selbst würd' sichrer nicht den Speer geworfen haben."
Hierüber erzürnt, habe die Göttin Rache vou Zeus erfleht, wodurch nun das
ganze Griechenheer leide. Als Sühne aber fordern die Götter durch Kalchas'
Mund die Opferung der Iphigenie. Natürlich herrscht allgemeiner Jammer,
aber alle Helden, mit Ausnahme des Achill, drängen den König, das Un¬
vermeidliche zu thun; dieser aber, aufs tiefste ergriffen, kaun sobald den furcht-



') Das Werk befindet sich in Mendelssvhnö ungedruckten Nachlasse. Über die Aufsicht
rung vergl. S. Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729—1847, S. Auflage, 1, S. 179 f.
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[0572] Goethe und Levezow. gesetzt hat. Die Feier, welche das ganze gebildete Berlin vereinigte und aufs glänzendste verlief, wurde durch Mendelssohns Trompeten ouverture in L eröffnet, dann folgte eine Festrede und hierauf die fünf Viertelstunden andauernde lyrisch¬ musikalische Dichtung. Dieselbe beginnt mit einem Preise Nürnbergs, rühmt Dürers Naturstudium, sein ausgebreitetes Wissen, seinen zähen Fleiß, seine viel¬ seitige Fähigkeit, zu charakterisiren, und verweilt länger bei den weihevollen Dar¬ stellungen aus der heiligen Geschichte, auf deren vorzüglichste im einzelnen hin- gewiesen wird. Beim Anblick dieser Werke fühle das reuegcquälte Herz deu Trost der göttlichen Gnade; Dürer sei der würdige Freund. Strebens- und Zeitgenosse Raffaels. und mit schwungvollen Versen werden das große Jcchr- huudert und die Göttin der Malerei gefeiert. Die Dichtung atmet echte Be¬ geisterung und ist als durchans zweckentsprechend und wohlgelungen zu be¬ trachten. Von den größern Werken Levezvws sind zwei fünfaktige Dramen unter dem deutlichen Einflüsse seiner klassischen Studien entworfen und ausgeführt worden. Das erste handelt von Jphigeniens Opferung, das zweite von der Heimkehr des Odysseus. Die „Iphigenia in Antis" ist besonders geeignet, das dichterische Vermögen unsers Verfassers genauer erkennen zu lassen, denn eine Leistung wird immer dann besser gewürdigt werden, wenn man sie mit andern ähnlichen vergleichen und sie hierdurch in einem größern Zusammenhange er¬ blicken kann. Es ist in der That eine reizvolle Aufgabe, zu verfolgen, wie ein klassischer Vertreter der griechischen und französischen Literatur und wie ein Schüler und Zeitgenosse der klassischen Dichter Deutschlands denselben Gegenstand behandelt haben. Es soll daher hier zunächst der Inhalt des Levezowschen Dramas erzählt und sodann die Würdigung desselben mit einem Vergleich des Euripideischen und Raeincschcn Meisterwerkes verbunden werden. Der erste Akt zeigt uns die Verzweiflung der griechischen Heerführer über die andauernde Windstille, welche die Schiffe in Antis zurückhält. Agamemnon hat Kalchas beauftragt, den Grund, weshalb die Götter zllruen. zu erforschen; er schwört zur Sühnung des Frevels alles zu thun, muß aber bald von dem Seher erfahren, daß durch seine eigne Schuld das Unglück veranlaßt worden sei: er habe einst in Dianens Hain eine der Göttin geweihte Hindin getötet und sich gerühmt: „Diana selbst würd' sichrer nicht den Speer geworfen haben." Hierüber erzürnt, habe die Göttin Rache vou Zeus erfleht, wodurch nun das ganze Griechenheer leide. Als Sühne aber fordern die Götter durch Kalchas' Mund die Opferung der Iphigenie. Natürlich herrscht allgemeiner Jammer, aber alle Helden, mit Ausnahme des Achill, drängen den König, das Un¬ vermeidliche zu thun; dieser aber, aufs tiefste ergriffen, kaun sobald den furcht- ') Das Werk befindet sich in Mendelssvhnö ungedruckten Nachlasse. Über die Aufsicht rung vergl. S. Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729—1847, S. Auflage, 1, S. 179 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/572>, abgerufen am 22.07.2024.