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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Ende vom Liede im Sudan.

Digmci und seine Hadendowa, die uns daran hindern wollen, nieder und greifen
den Mahdi auch von dieser Seite an. Das Klima nötigte, auch diese Pläne
aufzugeben. Wolseley wird Gordo" nicht rächen, seine Truppen werden bis
auf eine mäßige Abteilung, die bei Wadi Half" nicht fern von der Grenze des
eigentlichen Ägyptens Stellung nehmen wird, nach Kairo und Alexandrien zurück¬
kehren, um dann entweder nach England oder nach Indien zu gehen. Grcchams
Armee hat Suakin zum größeren Teile schon geräumt, die angefangene Eisen¬
bahn nach Berber bleibt unvollendet, Osman Digma sich selbst überlassen wie
sein Prophet und Gebieter in Chnrtnm. Zum erstenmale seit Jahrzehnten ge¬
steht die englische Politik thatsächlich ein, daß sie nicht allmächtig ist. Mehr
Voraussicht, mehr Sinn für die auswärtigen Fragen, mehr Konsequenz und
Entschlossenheit, weniger Abhängigkeit von den Parteien, weniger Anhänglich¬
keit an die Stellung beim Staatsruder hätten dem obersten Leiter dieser Politik
wahrscheinlich dieses Geständnis erspart. Er mußte gegen den Sudan ohne
Verzug oder garnicht Gewalt brauchen. Jetzt hat er Millionen an Geld ge¬
opfert und -- der fromme Friedensfreund! -- viel Blut vergossen, englisches
Söldnerblut und -- der Freund der Völkerfreiheit! -- sudanesisches Patrioten¬
blut. Jetzt hat er Großbritannien in den Augen des Orients schwer herunter¬
gebracht. Und die Lage im Sudan bleibt, als ob nichts geschehen, nichts von
englischer Seite versucht und geopfert worden wäre, sie ist in allem Wesentlichen
dieselbe wie in der Zeit zwischen der Niederlage der Ägypter unter Hicks Pascha
und der Sendung Gordons, des ersten Mißgriffs in der langen Kette von Mi߬
griffen, welche die Engländer begangen haben, seit sie in Ägypten zu regieren
begannen.

England ist mit der Schwierigkeit im Sudan so wenig allein fertig ge¬
worden, wie mit den Schwierigkeiten, die ihm mit seinen Ansprüchen in Ägypten
erwachsen sind. Hier wird es sich mit den übrigen Großmächten nachgiebig
verständigen, dort wird es sich die Meinung des deutschen Reichskanzlers, die
derselbe wiederholt geäußert hat, aneignen, d. h. versuchen müssen, mit dem
Sultan zusammenzuwirken. Das scheint jetzt, wenn die konservative Presse Lon¬
dons nicht irrt, von der öffentlichen Meinung in England begriffen zu sein.
Nur im Einvernehmen mit Stambul wird Gladstone oder sein Nachfolger das
Rätsel lösen, welches die ägyptische Sphinx in betreff des Sudan aufgiebt.
Nur mit Erlaubnis oder Beistand des Padischah, des Nachfolgers der Chalifen,
kann England seine Interessen am Suezkanal sicherstellen und den gespenstigen
Schrecken bannen, den die Möglichkeit eines Vordringens des Mahdi nach dem
untern Nilthale wie einen riesenhaften Schatten vor sich herwirft. Vielleicht ist's
nur ein rasch vorübergehender, bald verfließender Wolkenschatten. Wir wissen
wenig Bestimmtes über den Mahdi. Vielleicht ist es wahr, wenn englische Blätter
melden, er sei von einem Nebenbuhler bedrängt und bereits einmal geschlagen.
Er kaun sinken, während jener steigt, um dann wieder zu fallen und einem


Das Ende vom Liede im Sudan.

Digmci und seine Hadendowa, die uns daran hindern wollen, nieder und greifen
den Mahdi auch von dieser Seite an. Das Klima nötigte, auch diese Pläne
aufzugeben. Wolseley wird Gordo» nicht rächen, seine Truppen werden bis
auf eine mäßige Abteilung, die bei Wadi Half« nicht fern von der Grenze des
eigentlichen Ägyptens Stellung nehmen wird, nach Kairo und Alexandrien zurück¬
kehren, um dann entweder nach England oder nach Indien zu gehen. Grcchams
Armee hat Suakin zum größeren Teile schon geräumt, die angefangene Eisen¬
bahn nach Berber bleibt unvollendet, Osman Digma sich selbst überlassen wie
sein Prophet und Gebieter in Chnrtnm. Zum erstenmale seit Jahrzehnten ge¬
steht die englische Politik thatsächlich ein, daß sie nicht allmächtig ist. Mehr
Voraussicht, mehr Sinn für die auswärtigen Fragen, mehr Konsequenz und
Entschlossenheit, weniger Abhängigkeit von den Parteien, weniger Anhänglich¬
keit an die Stellung beim Staatsruder hätten dem obersten Leiter dieser Politik
wahrscheinlich dieses Geständnis erspart. Er mußte gegen den Sudan ohne
Verzug oder garnicht Gewalt brauchen. Jetzt hat er Millionen an Geld ge¬
opfert und — der fromme Friedensfreund! — viel Blut vergossen, englisches
Söldnerblut und — der Freund der Völkerfreiheit! — sudanesisches Patrioten¬
blut. Jetzt hat er Großbritannien in den Augen des Orients schwer herunter¬
gebracht. Und die Lage im Sudan bleibt, als ob nichts geschehen, nichts von
englischer Seite versucht und geopfert worden wäre, sie ist in allem Wesentlichen
dieselbe wie in der Zeit zwischen der Niederlage der Ägypter unter Hicks Pascha
und der Sendung Gordons, des ersten Mißgriffs in der langen Kette von Mi߬
griffen, welche die Engländer begangen haben, seit sie in Ägypten zu regieren
begannen.

England ist mit der Schwierigkeit im Sudan so wenig allein fertig ge¬
worden, wie mit den Schwierigkeiten, die ihm mit seinen Ansprüchen in Ägypten
erwachsen sind. Hier wird es sich mit den übrigen Großmächten nachgiebig
verständigen, dort wird es sich die Meinung des deutschen Reichskanzlers, die
derselbe wiederholt geäußert hat, aneignen, d. h. versuchen müssen, mit dem
Sultan zusammenzuwirken. Das scheint jetzt, wenn die konservative Presse Lon¬
dons nicht irrt, von der öffentlichen Meinung in England begriffen zu sein.
Nur im Einvernehmen mit Stambul wird Gladstone oder sein Nachfolger das
Rätsel lösen, welches die ägyptische Sphinx in betreff des Sudan aufgiebt.
Nur mit Erlaubnis oder Beistand des Padischah, des Nachfolgers der Chalifen,
kann England seine Interessen am Suezkanal sicherstellen und den gespenstigen
Schrecken bannen, den die Möglichkeit eines Vordringens des Mahdi nach dem
untern Nilthale wie einen riesenhaften Schatten vor sich herwirft. Vielleicht ist's
nur ein rasch vorübergehender, bald verfließender Wolkenschatten. Wir wissen
wenig Bestimmtes über den Mahdi. Vielleicht ist es wahr, wenn englische Blätter
melden, er sei von einem Nebenbuhler bedrängt und bereits einmal geschlagen.
Er kaun sinken, während jener steigt, um dann wieder zu fallen und einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/555>, abgerufen am 22.07.2024.