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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Lüde vom Liede im Sudan.

gola absehen, da er nach Vollendung der Bahn befürchten müßte, sich plötzlich
den Rückzug nach dem Süden abgeschnitten zu sehen.

Diese Betrachtungen hatten manches für sich, aber die Regierung in London
hat anders beschlossen, und wenn England dadurch Schaden an seinem Ansehen
erleidet, so wird vielleicht größerer Schaden verhütet. Die Unternehmung gegen
den Sudan war von vornherein eine verfehlte Maßregel, wenn sie nicht von
einem entschlossenen Geiste getragen wurde, wenn man nicht klar wußte, was
man wollte und konnte. Gladstone trägt nicht die Hauptschuld. Diese fällt
vielmehr auf die Schulter" der Opposition, die ihm den Feldzug abdrang. und
auf die Rechnung Wolselehs, der sich das Nilthal zum Wege nach Chartum
wählte, ohne genau zu wissen, wie der Strom und das Land beschaffen waren.
Der rechte Weg war trotz alledem, ivas sich gegen ihn sagen ließ, der von
Suatin durch die Wüste nach Berber, sobald eine Eisenbahn, die sich, energisch
angegriffen, in nicht zu langer Frist vollenden ließ, fertig war. Hier konnte
die Seemacht Englands zu voller Geltung gebracht werden. Auch ans dem
andern Wege wäre Erfolg zu hoffen gewesen, menn man ihn eher betreten hätte.
Gladstone aber war anfangs gegen jeden größern Feldzug, und dann nur mit
halbem Herzen dabei. Ihn interessirte überhaupt mehr die Demokratisirnng
Englands als dessen Macht an den Peripherien des Reiches. Die Demokraten
in seiner Umgebung sympathisirten mit der Erhebung im Sudan, weil sie eine
freiheitliche war, und weil die Freiheit siegen muß, wenn auch alles dabei über
den Hansen fällt. Der Chedive wurde gezwungen, den Sudan aufzugeben.
Dann sollte Gordon das Land auf friedlichem Wege rekonstruiren, mit Geld
und guten Worte" eine neue Ordnung herstellen. Daß dies nicht wohl möglich
war, Hütte man wissen können; denn es fehlte in London nicht an sachkundigen
Ratgebern. Es mißlang denn anch, Gordon mußte Gewalt brauchen, und nicht
lange währte es, so war er in Chartum ein Belagerter. Seine Bitten um
Hilfe blieben in London monatelang unerhört, und erst als sich die öffentliche
Meinung energisch der Hilflosigkeit des Generals, der England vertrat, annahm,
die Opposition sich aus der Sache eine Waffe machte und Gladstones Stellung
bei längeren Zögern sehr unsicher geworden wäre, setzte sich, nachdem Vor¬
bereitungen noch einige Wochen weggenommen hatten, Wolseleys Heer in Be¬
wegung. Die Parole lautete auch jetzt nur: Nesoue- WÄ rktiro, Gordon retten
und dann umkehren. Die natürlichen Schwierigkeiten, die im Wege standen,
waren größer, als man gerechnet hatte. Man kam erst in die Nähe Chartnms,
als es gefallen und Gordon tot war. Die Macht des Mcchdi war bedeutender,
als berichtet worden war. Man mußte sich von Gnbat wieder nach Korti und von
da nach der Provinz Dongola zurückziehen. Neue Parole von London: Wir
bleiben den Sommer hindurch, wo wir jetzt sind, und ziehen zum Herbst wieder
gegen Chartum, um Gordons Untergang zu rächen und seine Aufgaben zu er¬
füllen. Wir bauen die Eisenbahn vom Noten Meere nach Berber, werfen Osman


Das Lüde vom Liede im Sudan.

gola absehen, da er nach Vollendung der Bahn befürchten müßte, sich plötzlich
den Rückzug nach dem Süden abgeschnitten zu sehen.

Diese Betrachtungen hatten manches für sich, aber die Regierung in London
hat anders beschlossen, und wenn England dadurch Schaden an seinem Ansehen
erleidet, so wird vielleicht größerer Schaden verhütet. Die Unternehmung gegen
den Sudan war von vornherein eine verfehlte Maßregel, wenn sie nicht von
einem entschlossenen Geiste getragen wurde, wenn man nicht klar wußte, was
man wollte und konnte. Gladstone trägt nicht die Hauptschuld. Diese fällt
vielmehr auf die Schulter» der Opposition, die ihm den Feldzug abdrang. und
auf die Rechnung Wolselehs, der sich das Nilthal zum Wege nach Chartum
wählte, ohne genau zu wissen, wie der Strom und das Land beschaffen waren.
Der rechte Weg war trotz alledem, ivas sich gegen ihn sagen ließ, der von
Suatin durch die Wüste nach Berber, sobald eine Eisenbahn, die sich, energisch
angegriffen, in nicht zu langer Frist vollenden ließ, fertig war. Hier konnte
die Seemacht Englands zu voller Geltung gebracht werden. Auch ans dem
andern Wege wäre Erfolg zu hoffen gewesen, menn man ihn eher betreten hätte.
Gladstone aber war anfangs gegen jeden größern Feldzug, und dann nur mit
halbem Herzen dabei. Ihn interessirte überhaupt mehr die Demokratisirnng
Englands als dessen Macht an den Peripherien des Reiches. Die Demokraten
in seiner Umgebung sympathisirten mit der Erhebung im Sudan, weil sie eine
freiheitliche war, und weil die Freiheit siegen muß, wenn auch alles dabei über
den Hansen fällt. Der Chedive wurde gezwungen, den Sudan aufzugeben.
Dann sollte Gordon das Land auf friedlichem Wege rekonstruiren, mit Geld
und guten Worte» eine neue Ordnung herstellen. Daß dies nicht wohl möglich
war, Hütte man wissen können; denn es fehlte in London nicht an sachkundigen
Ratgebern. Es mißlang denn anch, Gordon mußte Gewalt brauchen, und nicht
lange währte es, so war er in Chartum ein Belagerter. Seine Bitten um
Hilfe blieben in London monatelang unerhört, und erst als sich die öffentliche
Meinung energisch der Hilflosigkeit des Generals, der England vertrat, annahm,
die Opposition sich aus der Sache eine Waffe machte und Gladstones Stellung
bei längeren Zögern sehr unsicher geworden wäre, setzte sich, nachdem Vor¬
bereitungen noch einige Wochen weggenommen hatten, Wolseleys Heer in Be¬
wegung. Die Parole lautete auch jetzt nur: Nesoue- WÄ rktiro, Gordon retten
und dann umkehren. Die natürlichen Schwierigkeiten, die im Wege standen,
waren größer, als man gerechnet hatte. Man kam erst in die Nähe Chartnms,
als es gefallen und Gordon tot war. Die Macht des Mcchdi war bedeutender,
als berichtet worden war. Man mußte sich von Gnbat wieder nach Korti und von
da nach der Provinz Dongola zurückziehen. Neue Parole von London: Wir
bleiben den Sommer hindurch, wo wir jetzt sind, und ziehen zum Herbst wieder
gegen Chartum, um Gordons Untergang zu rächen und seine Aufgaben zu er¬
füllen. Wir bauen die Eisenbahn vom Noten Meere nach Berber, werfen Osman


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/554>, abgerufen am 22.07.2024.