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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Ende vom Liede im Sudan.

Lagers mit mehr als dem unbedingt notwendigen aus. Mit der Bekleidung
der Truppen war es noch schlimmer bestellt, und von einigermaßen geräumigen
und luftigen Gebäuden zur Unterbringung derselben war nicht die Rede. Sie
gingen in zerlumpten Uniformen und zerrissenen Stiefeln umher, ihr Bett war
der nackte Erdboden, als Dach schützte sie gegen die Backofenhitze der Sonne
meist nur eine wollne Dicke, die auf vier Durrahhalmen als Pfosten ruhte,
oder eine Hütte aus solchem Material; denn die Zelte, die später eintrafen,
waren zu gering an Zahl und überdies nicht zweckmäßig eingerichtet -- man
weiß ja, daß die Verwaltung der englischen Intendanturen und Kommissariate
immer viel zu wünschen übrig ließ. Der britische Soldat ist an reichliche Ver¬
köstigung gewöhnt, hier aber ging es in diesem Punkte knapp zu: es gab die
gewöhnliche Kommißration, meist Fleisch ans Blechbüchsen, dann frisches, das bei
der Hitze rasch verdarb, grobes Brot aus dem Getreide des Landes, Durrah
und Gerste, gemischt mit Linsenmehl, eine Hand voll komprimirtes grünes Ge¬
müse, etwas Thee in Nilwasser gekocht und etwas Zucker. Umgeben von einer
Bevölkerung, welche die "Ungläubigen" in gleichem Maße haßte, wie sie den
Mcchdi fürchtete, befanden sich die Truppen Wolseleys in einer Lage, die an
dumpfe Verzweiflung grenzte. Sie hatten, als das Heer sich noch bewegte,
noch ein nahes Ziel vor sich hatte, tapfer gekämpft und gelitten, angegriffen
und sich gewehrt, starke Märsche gemacht und Verschanzungen gebaut. Ver¬
trauen auf ihre Führer hob und trug sie, die tägliche Gefahr stählte ihre
Nerven. Jetzt hatten sie dem Ziele den Rücken gekehrt, ihre Gefechte, ihre
Strapatzen waren vergeblich gewesen. Eine eintönige Ruhe von fünf Monaten
lag vor ihnen, wechsellos und thatenlos, ohne Interesse. Täglich schwand die
Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der Operationen und der Glaube, in Chartum
den endlichen und entscheidenden Sieg zu feiern, für den soviel geopfert und,
geduldet worden war. Dazu immer und immer wieder die sengende Sonne der
Tropen, der unbarmherzige Moloch, und dazu endlich umsichgreifende Krank¬
heiten und zahlreiche Todesfälle, hervorgegangen ebensosehr aus physischen als
aus moralischen Ursachen. Folgen der Ausdünstungen der Schlammbänke, die
der einschrumpfende Nil auftauchen ließ, Erzeugnisse von Fieberluft und Sonnen¬
brand, aber auch Folgen von Enttäuschung. Abspannung und gezwungene Still¬
liegen ohne Aussicht auf baldige neue Thätigkeit. Schon im März gab es
unter den Truppen bei Korti viele Kranke, die an Typhus und Dysenterie
litten, sodaß die Lazarete für sie nicht ausreichten, und die Liste der Sterbe¬
fälle wurde jede Woche größer. Schon damals erklärten Mitglieder des medi¬
zinischen Stabes Wolseleys, daß vierzig bis fünfzig Prozent seiner Soldaten
und Offiziere sterben oder als Invaliden heimkehren würden, wenn man die
Armee den Sommer über im Sudan verweilen ließe.

"Es ist gewiß nicht anzunehmen, schreibt später ein Augenzeuge nach London,
daß die öffentliche Meinung, die Regierung und die militärischen Behörden


Das Ende vom Liede im Sudan.

Lagers mit mehr als dem unbedingt notwendigen aus. Mit der Bekleidung
der Truppen war es noch schlimmer bestellt, und von einigermaßen geräumigen
und luftigen Gebäuden zur Unterbringung derselben war nicht die Rede. Sie
gingen in zerlumpten Uniformen und zerrissenen Stiefeln umher, ihr Bett war
der nackte Erdboden, als Dach schützte sie gegen die Backofenhitze der Sonne
meist nur eine wollne Dicke, die auf vier Durrahhalmen als Pfosten ruhte,
oder eine Hütte aus solchem Material; denn die Zelte, die später eintrafen,
waren zu gering an Zahl und überdies nicht zweckmäßig eingerichtet — man
weiß ja, daß die Verwaltung der englischen Intendanturen und Kommissariate
immer viel zu wünschen übrig ließ. Der britische Soldat ist an reichliche Ver¬
köstigung gewöhnt, hier aber ging es in diesem Punkte knapp zu: es gab die
gewöhnliche Kommißration, meist Fleisch ans Blechbüchsen, dann frisches, das bei
der Hitze rasch verdarb, grobes Brot aus dem Getreide des Landes, Durrah
und Gerste, gemischt mit Linsenmehl, eine Hand voll komprimirtes grünes Ge¬
müse, etwas Thee in Nilwasser gekocht und etwas Zucker. Umgeben von einer
Bevölkerung, welche die „Ungläubigen" in gleichem Maße haßte, wie sie den
Mcchdi fürchtete, befanden sich die Truppen Wolseleys in einer Lage, die an
dumpfe Verzweiflung grenzte. Sie hatten, als das Heer sich noch bewegte,
noch ein nahes Ziel vor sich hatte, tapfer gekämpft und gelitten, angegriffen
und sich gewehrt, starke Märsche gemacht und Verschanzungen gebaut. Ver¬
trauen auf ihre Führer hob und trug sie, die tägliche Gefahr stählte ihre
Nerven. Jetzt hatten sie dem Ziele den Rücken gekehrt, ihre Gefechte, ihre
Strapatzen waren vergeblich gewesen. Eine eintönige Ruhe von fünf Monaten
lag vor ihnen, wechsellos und thatenlos, ohne Interesse. Täglich schwand die
Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der Operationen und der Glaube, in Chartum
den endlichen und entscheidenden Sieg zu feiern, für den soviel geopfert und,
geduldet worden war. Dazu immer und immer wieder die sengende Sonne der
Tropen, der unbarmherzige Moloch, und dazu endlich umsichgreifende Krank¬
heiten und zahlreiche Todesfälle, hervorgegangen ebensosehr aus physischen als
aus moralischen Ursachen. Folgen der Ausdünstungen der Schlammbänke, die
der einschrumpfende Nil auftauchen ließ, Erzeugnisse von Fieberluft und Sonnen¬
brand, aber auch Folgen von Enttäuschung. Abspannung und gezwungene Still¬
liegen ohne Aussicht auf baldige neue Thätigkeit. Schon im März gab es
unter den Truppen bei Korti viele Kranke, die an Typhus und Dysenterie
litten, sodaß die Lazarete für sie nicht ausreichten, und die Liste der Sterbe¬
fälle wurde jede Woche größer. Schon damals erklärten Mitglieder des medi¬
zinischen Stabes Wolseleys, daß vierzig bis fünfzig Prozent seiner Soldaten
und Offiziere sterben oder als Invaliden heimkehren würden, wenn man die
Armee den Sommer über im Sudan verweilen ließe.

„Es ist gewiß nicht anzunehmen, schreibt später ein Augenzeuge nach London,
daß die öffentliche Meinung, die Regierung und die militärischen Behörden


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[0552] Das Ende vom Liede im Sudan. Lagers mit mehr als dem unbedingt notwendigen aus. Mit der Bekleidung der Truppen war es noch schlimmer bestellt, und von einigermaßen geräumigen und luftigen Gebäuden zur Unterbringung derselben war nicht die Rede. Sie gingen in zerlumpten Uniformen und zerrissenen Stiefeln umher, ihr Bett war der nackte Erdboden, als Dach schützte sie gegen die Backofenhitze der Sonne meist nur eine wollne Dicke, die auf vier Durrahhalmen als Pfosten ruhte, oder eine Hütte aus solchem Material; denn die Zelte, die später eintrafen, waren zu gering an Zahl und überdies nicht zweckmäßig eingerichtet — man weiß ja, daß die Verwaltung der englischen Intendanturen und Kommissariate immer viel zu wünschen übrig ließ. Der britische Soldat ist an reichliche Ver¬ köstigung gewöhnt, hier aber ging es in diesem Punkte knapp zu: es gab die gewöhnliche Kommißration, meist Fleisch ans Blechbüchsen, dann frisches, das bei der Hitze rasch verdarb, grobes Brot aus dem Getreide des Landes, Durrah und Gerste, gemischt mit Linsenmehl, eine Hand voll komprimirtes grünes Ge¬ müse, etwas Thee in Nilwasser gekocht und etwas Zucker. Umgeben von einer Bevölkerung, welche die „Ungläubigen" in gleichem Maße haßte, wie sie den Mcchdi fürchtete, befanden sich die Truppen Wolseleys in einer Lage, die an dumpfe Verzweiflung grenzte. Sie hatten, als das Heer sich noch bewegte, noch ein nahes Ziel vor sich hatte, tapfer gekämpft und gelitten, angegriffen und sich gewehrt, starke Märsche gemacht und Verschanzungen gebaut. Ver¬ trauen auf ihre Führer hob und trug sie, die tägliche Gefahr stählte ihre Nerven. Jetzt hatten sie dem Ziele den Rücken gekehrt, ihre Gefechte, ihre Strapatzen waren vergeblich gewesen. Eine eintönige Ruhe von fünf Monaten lag vor ihnen, wechsellos und thatenlos, ohne Interesse. Täglich schwand die Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der Operationen und der Glaube, in Chartum den endlichen und entscheidenden Sieg zu feiern, für den soviel geopfert und, geduldet worden war. Dazu immer und immer wieder die sengende Sonne der Tropen, der unbarmherzige Moloch, und dazu endlich umsichgreifende Krank¬ heiten und zahlreiche Todesfälle, hervorgegangen ebensosehr aus physischen als aus moralischen Ursachen. Folgen der Ausdünstungen der Schlammbänke, die der einschrumpfende Nil auftauchen ließ, Erzeugnisse von Fieberluft und Sonnen¬ brand, aber auch Folgen von Enttäuschung. Abspannung und gezwungene Still¬ liegen ohne Aussicht auf baldige neue Thätigkeit. Schon im März gab es unter den Truppen bei Korti viele Kranke, die an Typhus und Dysenterie litten, sodaß die Lazarete für sie nicht ausreichten, und die Liste der Sterbe¬ fälle wurde jede Woche größer. Schon damals erklärten Mitglieder des medi¬ zinischen Stabes Wolseleys, daß vierzig bis fünfzig Prozent seiner Soldaten und Offiziere sterben oder als Invaliden heimkehren würden, wenn man die Armee den Sommer über im Sudan verweilen ließe. „Es ist gewiß nicht anzunehmen, schreibt später ein Augenzeuge nach London, daß die öffentliche Meinung, die Regierung und die militärischen Behörden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/552>, abgerufen am 22.07.2024.