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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Lüde vom Liede im Sudan.

es entsetzen konnten, und die Hoffnung, es wiederznnehmen, ist nunmehr auf¬
gegeben. Wollen und Nichtkönnen war die Signatur des ganzen Unternehmens.
So geht die Rede von Bazar zu Bazar, von Post zu Post in der muham-
medanischen Welt, und die Folgen können nicht ausbleiben. Je weiter weg
vom Schauplatze dieser Niederlage der britischen Politiker und Generale, desto
größer wird sie erscheinen, desto tiefer wird sie wirken, destomehr wird man von
ihr erwarten. Die öffentliche Meinung in Indien, Persien und Afghanistan
muß sie fast wie die Vernichtung des britischen Heeres in den Chaiberpässen
betrachten, zumal wenn man nichts davon erfährt, daß der Rückzug vor dem
Mahdi wie damals durch Rückkehr in das Land und Rache an den Siegern
wettgemacht wird. Daß die Engländer nicht sowohl vor dem Propheten und
seinen Derwischen als vor dem Klima aus dem Lande weichen, wird diesen Ge¬
fühlen keinen Eintrag thun. Genug, daß sie weichen, daß sie nicht imstande
waren, zu erreichen, was sie erstrebten. Die ausschweifenden Hoffnungen, die
sich an diese Thatsache knüpfen, werden sich nicht erfüllen. Der Mahdi wird
weder die Grenze Nubiens überschreiten, in Ägypten einrücken und Kairo er¬
obern, noch von Suakin über das Rote Meer nach Arabien Vordringen. Aber
der Glaube an die Macht der englischen Waffen ist stark erschüttert worden und
wird lange erschüttert bleiben, vom Nil bis an den Indus und Ganges, und
auf der mit diesem Glauben verbundenen Furcht ruht die Herrschaft Gro߬
britanniens in der ganzen Welt, soweit sie der Halbmond des Islam bescheint.

Jeder, der mit den "Chamsins," den erstickenden Glutwinden Oberägyptens,
Bekanntschaft gemacht hat, weiß, daß dieselben dem Heere Wolseleys, wenn es bis
zur Wiederaufnahme der Operationen gegen den Mahdi, d. h. bis Oktober, in
der Provinz Dongola verblieben wäre, allmählich den Untergang gebracht hätten,
wie einst die Eiswinde Rußlands der großen Armee Napoleons. Schon in der
ersten Woche des März stieg im Lager Wolseleys bei Korti das Thermometer
im Schatten aus 120 Grad Fahrenheit. Diese Hitze herrschte in den Zelten,
unter dem Schutze hoher, brcitwipfcligcr Akazien und angesichts der weiten
Fläche des Stromes und seiner Uferebne, sie währte von früh neun bis abends
fünf Uhr, und die Nacht war nicht viel kühler. Vom Mai an bis Ende Sep¬
tember aber erreicht jene Hitze zehn bis fünfzehn Grad mehr und ist dann selbst
für die Eingebornen kaum erträglich. Europäer aber würden eine so hohe
Temperatur fünf Monate lang selbst dann kaum ohne Schaden aushalten können,
wenn sie mit guten Quartieren, passender Kleidung und reichlicher, dem Klima
angemessener Nahrung versorgt wären. Mit Lebensmitteln aller Art wurde
das Heer Wolseleys eine Zeit lang durch die Firma Cock n. Komp., welche
zu dem Zwecke 20000 Ägypter gemietet und den Nil mit Dampf- und Ruder¬
booten bedeckt hatte, genügend versehen. Das Fallen des Stromes erschwerte
die Verprovicmtirung von Woche zu Woche mehr, und um die Mitte des März
schloß der niedrige Stand desselben jede Hoffnung auf weitere Versorgung des


Das Lüde vom Liede im Sudan.

es entsetzen konnten, und die Hoffnung, es wiederznnehmen, ist nunmehr auf¬
gegeben. Wollen und Nichtkönnen war die Signatur des ganzen Unternehmens.
So geht die Rede von Bazar zu Bazar, von Post zu Post in der muham-
medanischen Welt, und die Folgen können nicht ausbleiben. Je weiter weg
vom Schauplatze dieser Niederlage der britischen Politiker und Generale, desto
größer wird sie erscheinen, desto tiefer wird sie wirken, destomehr wird man von
ihr erwarten. Die öffentliche Meinung in Indien, Persien und Afghanistan
muß sie fast wie die Vernichtung des britischen Heeres in den Chaiberpässen
betrachten, zumal wenn man nichts davon erfährt, daß der Rückzug vor dem
Mahdi wie damals durch Rückkehr in das Land und Rache an den Siegern
wettgemacht wird. Daß die Engländer nicht sowohl vor dem Propheten und
seinen Derwischen als vor dem Klima aus dem Lande weichen, wird diesen Ge¬
fühlen keinen Eintrag thun. Genug, daß sie weichen, daß sie nicht imstande
waren, zu erreichen, was sie erstrebten. Die ausschweifenden Hoffnungen, die
sich an diese Thatsache knüpfen, werden sich nicht erfüllen. Der Mahdi wird
weder die Grenze Nubiens überschreiten, in Ägypten einrücken und Kairo er¬
obern, noch von Suakin über das Rote Meer nach Arabien Vordringen. Aber
der Glaube an die Macht der englischen Waffen ist stark erschüttert worden und
wird lange erschüttert bleiben, vom Nil bis an den Indus und Ganges, und
auf der mit diesem Glauben verbundenen Furcht ruht die Herrschaft Gro߬
britanniens in der ganzen Welt, soweit sie der Halbmond des Islam bescheint.

Jeder, der mit den „Chamsins," den erstickenden Glutwinden Oberägyptens,
Bekanntschaft gemacht hat, weiß, daß dieselben dem Heere Wolseleys, wenn es bis
zur Wiederaufnahme der Operationen gegen den Mahdi, d. h. bis Oktober, in
der Provinz Dongola verblieben wäre, allmählich den Untergang gebracht hätten,
wie einst die Eiswinde Rußlands der großen Armee Napoleons. Schon in der
ersten Woche des März stieg im Lager Wolseleys bei Korti das Thermometer
im Schatten aus 120 Grad Fahrenheit. Diese Hitze herrschte in den Zelten,
unter dem Schutze hoher, brcitwipfcligcr Akazien und angesichts der weiten
Fläche des Stromes und seiner Uferebne, sie währte von früh neun bis abends
fünf Uhr, und die Nacht war nicht viel kühler. Vom Mai an bis Ende Sep¬
tember aber erreicht jene Hitze zehn bis fünfzehn Grad mehr und ist dann selbst
für die Eingebornen kaum erträglich. Europäer aber würden eine so hohe
Temperatur fünf Monate lang selbst dann kaum ohne Schaden aushalten können,
wenn sie mit guten Quartieren, passender Kleidung und reichlicher, dem Klima
angemessener Nahrung versorgt wären. Mit Lebensmitteln aller Art wurde
das Heer Wolseleys eine Zeit lang durch die Firma Cock n. Komp., welche
zu dem Zwecke 20000 Ägypter gemietet und den Nil mit Dampf- und Ruder¬
booten bedeckt hatte, genügend versehen. Das Fallen des Stromes erschwerte
die Verprovicmtirung von Woche zu Woche mehr, und um die Mitte des März
schloß der niedrige Stand desselben jede Hoffnung auf weitere Versorgung des


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[0551] Das Lüde vom Liede im Sudan. es entsetzen konnten, und die Hoffnung, es wiederznnehmen, ist nunmehr auf¬ gegeben. Wollen und Nichtkönnen war die Signatur des ganzen Unternehmens. So geht die Rede von Bazar zu Bazar, von Post zu Post in der muham- medanischen Welt, und die Folgen können nicht ausbleiben. Je weiter weg vom Schauplatze dieser Niederlage der britischen Politiker und Generale, desto größer wird sie erscheinen, desto tiefer wird sie wirken, destomehr wird man von ihr erwarten. Die öffentliche Meinung in Indien, Persien und Afghanistan muß sie fast wie die Vernichtung des britischen Heeres in den Chaiberpässen betrachten, zumal wenn man nichts davon erfährt, daß der Rückzug vor dem Mahdi wie damals durch Rückkehr in das Land und Rache an den Siegern wettgemacht wird. Daß die Engländer nicht sowohl vor dem Propheten und seinen Derwischen als vor dem Klima aus dem Lande weichen, wird diesen Ge¬ fühlen keinen Eintrag thun. Genug, daß sie weichen, daß sie nicht imstande waren, zu erreichen, was sie erstrebten. Die ausschweifenden Hoffnungen, die sich an diese Thatsache knüpfen, werden sich nicht erfüllen. Der Mahdi wird weder die Grenze Nubiens überschreiten, in Ägypten einrücken und Kairo er¬ obern, noch von Suakin über das Rote Meer nach Arabien Vordringen. Aber der Glaube an die Macht der englischen Waffen ist stark erschüttert worden und wird lange erschüttert bleiben, vom Nil bis an den Indus und Ganges, und auf der mit diesem Glauben verbundenen Furcht ruht die Herrschaft Gro߬ britanniens in der ganzen Welt, soweit sie der Halbmond des Islam bescheint. Jeder, der mit den „Chamsins," den erstickenden Glutwinden Oberägyptens, Bekanntschaft gemacht hat, weiß, daß dieselben dem Heere Wolseleys, wenn es bis zur Wiederaufnahme der Operationen gegen den Mahdi, d. h. bis Oktober, in der Provinz Dongola verblieben wäre, allmählich den Untergang gebracht hätten, wie einst die Eiswinde Rußlands der großen Armee Napoleons. Schon in der ersten Woche des März stieg im Lager Wolseleys bei Korti das Thermometer im Schatten aus 120 Grad Fahrenheit. Diese Hitze herrschte in den Zelten, unter dem Schutze hoher, brcitwipfcligcr Akazien und angesichts der weiten Fläche des Stromes und seiner Uferebne, sie währte von früh neun bis abends fünf Uhr, und die Nacht war nicht viel kühler. Vom Mai an bis Ende Sep¬ tember aber erreicht jene Hitze zehn bis fünfzehn Grad mehr und ist dann selbst für die Eingebornen kaum erträglich. Europäer aber würden eine so hohe Temperatur fünf Monate lang selbst dann kaum ohne Schaden aushalten können, wenn sie mit guten Quartieren, passender Kleidung und reichlicher, dem Klima angemessener Nahrung versorgt wären. Mit Lebensmitteln aller Art wurde das Heer Wolseleys eine Zeit lang durch die Firma Cock n. Komp., welche zu dem Zwecke 20000 Ägypter gemietet und den Nil mit Dampf- und Ruder¬ booten bedeckt hatte, genügend versehen. Das Fallen des Stromes erschwerte die Verprovicmtirung von Woche zu Woche mehr, und um die Mitte des März schloß der niedrige Stand desselben jede Hoffnung auf weitere Versorgung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/551>, abgerufen am 07.01.2025.